Junges Theater Bonn Barbara Reike und Jan Wolf dolmetschen in Gebärdensprache

BEUEL · Damit auch gehörlose Kinder und Erwachsene Zugang zu den Inszenierungen haben, lässt das Junge Theater Bonn (JTB) mit Unterstützung der Soziallotterie Aktion Mensch jetzt regelmäßig Stücke simultan in Gebärdensprache übersetzen. Mit den beiden Dolmetschern Barbara Reike und Jan Wolf sprach Johanna Heinz über Gebärdensprache, Schauspielerei und Ausgrenzung.

 Jan Wolf übersetzt das Telefonat des Königs im Lummerland bei der Jim-Knopf-Aufführung im Jungen Theater.

Jan Wolf übersetzt das Telefonat des Königs im Lummerland bei der Jim-Knopf-Aufführung im Jungen Theater.

Foto: Roland Kohls

Wie bereiten Sie sich auf ein Theaterstück oder Musical vor?
Barbara Reike: Wir bekommen eine DVD von der Premiere, die ich mir einmal ganz anschaue. Außerdem schreibe ich mir raus, bei welchen Szenen es Lieder gibt. Die gucke ich mir dann noch einmal gezielter an.
Jan Wolf: Die Lieder sind natürlich der Knackpunkt beim Musical-Dolmetschen, gerade in der Gebärdensprache erfordert Liedersingen nun einmal ganz andere Wege als in der Lautsprache.
Reike: Bei bestimmten Szenen und Liedern müsste man sich eigentlich treffen, müsste sich ganz gezielt Bilder suchen. Dafür haben wir aber leider keine Zeit.
Wolf: Dementsprechend läuft es meist auf spontanes Improvisieren heraus. Aber das ist ja etwas, das uns alltäglich begegnet. Normalerweise wissen wir ja auch nicht immer, was der Redner gleich sagen wird.

Worauf müssen Sie noch achten?
Reike: Wenn wir einen Vortrag dolmetschen, dann steht da einer - steif - und redet. Im Theater gibt es ein Bühnenbild, verkleidete Leute, die sich bewegen. Da tritt der Text für uns teilweise in den Hintergrund. Gerade in Bezug auf die Liedtexte nehme ich mich auch ein bisschen zurück, weil ich den Schauspielern nicht die Schau stehlen will. Ich versuche, inhaltlich zu transportieren, was gesungen wird, aber die Hauptattraktion sollen die Schauspieler sein, nicht wir. Wir sind keine Schauspieler.
Wolf: Wobei es meiner Meinung nach nicht schaden kann, nah dran zu sein. Wir passen uns dem an, was wir dolmetschen. Wenn jemand einen trockenen Vortrag hält, dann ist unser Text auch trocken. Und wenn jemand Kunst macht, dann machen wir Kunst.
Reike: Normalerweise dolmetschen wir ein oder zwei unterschiedliche Redner. Beim Theater oder Musical ist das Anspruchsvolle, dass zum Teil 15 verschiedene Personen auf der Bühne sind. In ein und derselben Szene bin ich Pünktchen, die Köchin, das Kindermädchen und der Polizist. Dafür brauche ich für jeden Charakter eine besondere Körperhaltung.
Wolf: Zumal die Dialoge schnell hin- und herspringen. Für den Zuschauer muss aber immer klar sein, wer gerade spricht. Wenn er darüber rätseln muss, macht das Zuschauen keinen Spaß mehr.

Und wenn auf der Bühne gerade kein Text passiert?
Wolf: Dann stehen wir dekorativ daneben und gucken souverän.

Warum sind Sie immer zu zweit bei den Aufführungen?
Wolf: Das ist beim Gebärdensprachen-Dolmetschen so üblich wenn eine Veranstaltung länger als eine Stunde dauert. Das Übersetzen fordert durchgängig 100 Prozent Konzentration. Länger geht das einfach nicht. Wenn wir zu zweit sind, wechseln wir bei Vorträgen alle 15 Minuten. Im Theater machen wir das natürlich passend zum Szenenwechsel.
Reike: Wenn du eine Veranstaltung alleine dolmetschst, die für 45 Minuten angesetzt ist, und dann doch anderthalb Stunden dauert, merkst du: Am Ende reichen deine Kapazitäten einfach nicht. Da sinkt die Qualität sehr ab.

Was sind Unterschiede zwischen den beiden Sprachen?
Wolf: Gebärden sind Sprache in 3 D. Die Lautsprache ist linear, ein Wort wird an das andere gereiht. Gebärdensprache findet in ganz vielen Dimensionen gleichzeitig statt. Je nachdem, wie ich mich im Raum bewege, wie meine Körperhaltung ist, meine Mimik, kann eine Gebärde ganz unterschiedliche Bedeutungen haben. Auch dass komplizierte abstrakte Sachverhalte nicht übersetzt werden können, ist ein Trugschluss.
Reike: In der Gebärdensprache liegt in einer einzigen Bewegung ein ganzer Satz, "Das Gefühl kenne ich" oder "Dazu habe ich keine Lust". Dadurch und durch den grammatischen Einsatz der Mimik und Körperhaltung wird Gebärdensprache sehr schnell und ist manchmal extrem schwer in die langsamere Lautsprache zu übersetzen. Was Gehörlose bei Vorträgen auch gerne unter Beweis stellen und so den Dolmetscher in die Bredouille bringen (lacht).

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Gebärdensprachen-Dolmetscher zu werden?
Reike: Ich habe 15 Jahre lang als Krankenschwester gearbeitet, irgendwann aber festgestellt, dass der Beruf unter den heutigen Bedingungen nicht mehr das ist, was ich machen wollte. Ich wollte mit Menschen arbeiten, nicht mit Computern. Ich habe mich dann umorientiert, auch weil ich im privaten Umfeld jemanden kannte, der gehörlos ist.
Wolf: Ich habe meinen Zivildienst in einer Einrichtung für schwerst mehrfachbehinderte Menschen gemacht, die gehörlos waren. So habe ich einfach im alltäglichen Umgang die ersten 500 Gebärden gelernt. Dann wollte ich aber auch die Grammatik lernen und bin so in den Beruf hineingerutscht.

Es wird oft thematisiert, dass Menschen mit und ohne Gehör in sehr unterschiedlichen, abgetrennten Welten leben. Wie erleben Sie das?
Wolf: Das ist auf jeden Fall so. Es herrscht einfach sehr, sehr wenig Bewusstsein für Gehörlosigkeit und die damit verbundenen Barrieren. Ich höre ganz oft, dass jemand, wenn er erfährt, dass ein anderer gehörlos ist, sagt: Wie schrecklich, dass er oder sie niemals die Vögel wird zwitschern hören. Das ist nicht das Problem! Das Problem ist, völlig abgeschnitten von jeglicher Kommunikation zu sein.
Reike: Blindheit trennt von den Dingen, Taubheit von den Menschen. So hat es schon Helen Keller ausgedrückt und es stimmt.
Wolf: Aus der gemeinsamen Erfahrung der Ausgrenzung hat sich eine eingeschworene Gemeinschaft gebildet, die inzwischen auch sehr selbstbewusst auftritt. Sie sieht sich selbst nicht als Gruppierung mit einer bestimmten Behinderung sondern als sprachliche und kulturelle Minderheit.
Reike: In ganz vielen Bereichen wird viel zu wenig für die Integration von Gehörlosen getan. Wenn gehörlose Eltern sich beispielsweise in der Schule engagieren wollen, geht das nur mit einem Gebärdensprachen-Dolmetscher, aber der wird nicht finanziert. Es ist schön, dass wir gehörlosen Menschen den Zugang zum Theater ermöglichen können. In ganz vielen anderen Bereichen gibt es da aber ganz großen Nachholbedarf.

Zur Person

Barbara Reike, 52, arbeitet seit 2005 als Gebärdensprachen-Dolmetscherin, seit 2007 ist sie selbstständig. Sie wohnt in Königswinter, ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

Jan Wolf, 34, ist durch den Zivildienst das erste Mal mit Gebärdensprache in Berührung gekommen. Seit 2008 arbeitet er selbstständig als Dolmetscher. Er lebt in Euskirchen.

Die nächsten Aufführungen

Die nächste Aufführung in Gebärdensprache findet am Samstag, 20. Dezember, um 18.30 Uhr im Kuppelsaal der Thalia-Buchhandlung im Metropol am Marktplatz statt. Dort wird "Der kleine Prinz" nach der bekannten Erzählung des französischen Autors Antoine de Saint-Exupéry gespielt.

Michael Endes Abenteuerroman "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" wird am Freitag, 13. Februar, ab 15 Uhr im Jungen Theater Bonn, Hermannstraße 50 gezeigt. Am Samstag, 27. März, kommen die Dolmetscher zur Aufführung von "Pünktchen und Anton" ab 18.30 Uhr ins JTB.

Karten aus einem speziellen Kontingent extra für gehörlose Zuschauer sind per E-Mail an info@jt-bonn.de bestellbar.

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