Auf die Schnelle noch 'ne Welle

Ein Tag als Schaustellerin auf Pützchens Markt: Raus aus der Redaktion, rein in den fremden Job: In unserer neuen Serie schlüpfen Redakteurinnen und Redakteure des GA für einen Tag in andere Berufsrollen.

 Die Fahrchips bitte: GA-Redakteurin Ayla Jacob sammelt die blauen Plastikmarken von Linda Julkunen und Ralph Richarz ein.

Die Fahrchips bitte: GA-Redakteurin Ayla Jacob sammelt die blauen Plastikmarken von Linda Julkunen und Ralph Richarz ein.

Foto: Max Malsch

Bonn. Raus aus der Redaktion, rein in den fremden Job: In unserer neuen Serie schlüpfen Redakteurinnen und Redakteure des GA für einen Tag in andere Berufsrollen:

Lose Gegenstände bitte an der Kasse abgeben. Der Spruch, der in großen Lettern an der Südseewelle prangt, scheint wie für mich gemacht. Denn genauso fühle ich mich. Wie ein loser Gegenstand. Mein Einsatz als Schaustellerin auf Pützchens Markt steht kurz bevor. Und ich bin so nervös wie schon lange nicht mehr.

Peter Barth - 25, Wellenchef und "Schausteller mit Leib und Seele" - kann das nicht nachvollziehen. Kein Wunder. Schließlich saß er schon als kleiner Junge auf dem Schoß seines Vaters hinter dem Mikro. Barth ist für die nächsten sechs Stunden mein Chef. Und schaut erst einmal prüfend, für was er mich einsetzen kann.

Der Beruf Es gibt mehr als 50 Schausteller, die ihren Wohnsitz in Bonn angemeldet haben, sagt Peter Barth vom Bonner Schaustellerverband. Schausteller ist, wer eine sogenannte Reisegewerbekarte hat, also sein Fahrgeschäft, die Schießbude, die Tombola oder den Imbissstand bundesweit aufbauen darf. Große Fahrgeschäfte wie das Riesenrad stehen im Jahr auf etwa zehn Jahrmärkten, kleinere kommen auf bis zu 25, so Barth.Die Entscheidung fällt schnell. "Erst einmal kannst Du die Fahrchips einsammeln", sagt er, und setzt sich selbst in die "Schaltzentrale", die sich oben, in der Nähe der Gondeln, befindet. Dort wird die Südseewelle gesteuert, dort steht der Computer, auf dem die Musik gespeichert ist. Und dort befindet sich auch das Mikrofon. Der Kassierer sitzt in einem anderen Häuschen - vor der Südseewelle. "Das ginge nicht anders. Wenn hier viel los ist, würde die Schlange zu nah an den Gondeln stehen", erklärt Barth und startet die Südseewelle.

Sein Reich, die Schaltzentrale, ist für mich noch einige Stunden weit weg. Erst einmal muss ich mich in der ersten Disziplin behaupten. Schwer ist es nicht - aber es kostet Überwindung. Die ersten beiden Runden beobachte ich meine Kollegen-für-einen-Tag. Dann fühle ich mich gewappnet, hole tief Luft und sammle die ersten Chips ein. "Wie schnell fährt die Südseewelle denn?", will ein Junge wissen. Genau weiß ich es nicht, Barth schon: "In der Spitze 60 Stundenkilometer."

Die Autorin Ayla Jacob arbeitet als Redakteurin in der Redaktion Bonn. Für den Jahrmarkt ist sie nicht geboren: Ihr wird schon auf dem Kinderkarussell schlecht. Deshalb war der Job eine Herausforderung.Gefühlte 10 000 Chips später bin ich soweit. Ich darf in die Schaltzentrale. Darf die vier Knöpfe drücken, mit denen die Geschwindigkeit der Südseewelle gesteuert wird. Ich entscheide, welches Licht bei der Fahrt eingeschaltet wird, ich darf ans Mikro. Und bin wahnsinnig nervös.

Tanja Weimann kann das verstehen. Die 23-Jährige ist seit zweieinhalb Jahren mit Peter Barth liiert - und Quereinsteigerin in Sachen Südseewelle und Co. Sie ist gelernte Arzthelferin. "Als ich das erste Mal am Mikro saß, habe ich geschaut, dass mich nach Möglichkeit keiner kannte. Peter hab ich weggeschickt."

Mir geht es genauso. Oder besser: Mit wäre es lieber, das Wegschicken würde auch in meinem Fall funktionieren. Tut es aber nicht. Denn Lebensgefährte, beste Freundin, Kollege und Cousin lassen sich nicht davon überzeugen, doch mal ein anderes Fahrgeschäft auszuprobieren. "Wir haben gewartet, jetzt wollen wir auch was hören", ist die einhellige Meinung.

Wahrscheinlich bin ich selbst schuld. Schließlich habe ich groß getönt, wie locker ich alles über die Bühne bekommen werde. Davon ist aber nicht viel zu merken.

Mehrere Schweißausbrüche später lässt mich Peter Barth dann auf den Startknopf drücken. Anschließend lege ich per Knopfdruck etwas Geschwindigkeit drauf - und halte auf einmal das Mikro in der Hand. Von tausenden vorher durchzelebrierten Sprüchen, zum Beispiel "Auf die Schnelle noch 'ne Welle", fällt mir keiner mehr ein. Hilfesuchend blicke ich zu meinem "Chef", der als Souffleur einspringt. "Wollt ihr schneller?", "Halbzeit" und "Die letzte Runde" sind mein Textpart.

Nach rund drei Minuten - so lange dauert eine Fahrt - ist alles vorbei. Die Fahrt, die Ansage und mein Arbeitstag. Schade. Denn wie ein loser Gegenstand fühle ich mich nicht mehr. Eher wie ein Teil der Südseewelle. 2011 schaue ich bestimmt bei "meinem" Fahrgeschäft vorbei. Auch wenn ich keine Chips mehr einsammeln darf. Ayla Jacob

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