Beuel und der Nationalsozialismus Auf den Spuren Beueler Juden

Beuel · Ein Geschichtsprojekt der Integrierten Gesamtschule Beuel führt Schüler zu Stationen zweier NS-Opfer: Die Schüler befassen sich mit dem Leben von Ruth Herz und Margot Barnard.

 Jan Heinen berichtet Mitschülern am Synagogenplatz, was aus der Beueler Jüdin Margot Barnard und ihrer Familie wurde.

Jan Heinen berichtet Mitschülern am Synagogenplatz, was aus der Beueler Jüdin Margot Barnard und ihrer Familie wurde.

Foto: Martin Wein

„Wenn ich auch jetzt im Augenblick sehr viel Arbeit habe, so will ich es nicht versäumen Dir das letzte Mal vor unserer Abreise zu schreiben“, meldete die erst 17 Jahre alte Ruth Herz sich 1942 gefasst bei ihrem geliebten Onkel Theo und ergänzte: „Mit Gottes Hilfe dauert auch diese Zeit nicht mehr allzu lange“. Damit sollte die Beuelerin, die von einer Ausreise nach Palästina träumte, Recht haben, aber anders als erhofft. Die „Abreise“ war ihre Deportation mit rund 1000 anderen Bonner Juden aus dem Sammellager im Endenicher Kloster „Zur ewigen Anbetung“ nach Weißrussland. Und gleich nach der Ankunft in Minsk wurde Ruth Herz ermordet.

Die Historikerin Ruth Schlette hat den bewegenden Briefwechsel der Jugendlichen vor einigen Jahren entdeckt und editiert. 16 Oberstufenschüler der IGS Beuel haben sich damit in der Gedenkstätte für die Bonner Opfer des Nationalsozialismus beschäftigt. Am Freitag führten sie erstmals Mitschüler der Klassenstufe 10 zu Orten im Leben der Beueler Jüdin und ihrer Glaubensgenossin Margot Barnard. Weitere Gruppen folgen in dieser Woche.

Der Onkel wurde von der SA verhaftet

Insgesamt kein leichtes Unterfangen: Auf dem Pausenhof der Paul-Gerhardt-Schule toben Grundschüler zwischen Schildern herum, die neuerdings ein Betreten der Rasenflächen und Spielgeräte für den Winter untersagen. Vor dem Tor steht Marc Wolter im Nieselregen und reibt sich die Hände. Hier sei auch Margot Barnard unterrichtet worden, berichtet Wolter souverän und reicht ein Klassenfoto herum. Mit Juden dürfe man nicht spielen, weil die den Heiland gekreuzigt hätten, bekam Margot, Jahrgang 1919, von ihrer Mitschülerin Luise gleich am ersten Schultag an den Kopf geworfen. Doch die Sache blieb verdrängte Episode, bis die deutsche Jüdin später vom Rassenkundeunterricht ausgeschlossen wurde. „Der Onkel wurde von der SA verhaftet“, erzählt Wolter von den ersten Schicksalsschlägen in der Familie. Die Metzgerei in der Siegburger Straße ging verloren und damit der materielle Wohlstand.

Die Schülergruppe zieht weiter zum Synagogenplatz. 1936 floh Margot mit nur 17 Jahren nach Haifa in Palästina. Sie wollte einen jüdischen Staat mit aufbauen. Doch ihr fehlten Eltern und Freunde in Beuel. Später schlug sie sich mit ihrem britischen Mann auf die Seite der Engländer, setzt Jan Heiner im freien Vortrag die Lebensgeschichte fort. Margot selbst kam mit dem Leben davon, aber ihre Eltern schafften es nicht.

Erinnerungskultur in der Schule

So leicht es fiele, Licht und Dunkel zu separieren, die jungen Stadtteilführer zeigen die Geschichte recht differenziert: Vor Margots Geburtshaus in der Neustraße 6 erzählt Dominik John, wie Margots Bruder erst 1999 sein Schweigen brach. Nie hatte er verwunden, dass die Schwester die Familie in Deutschland zurückgelassen hatte und den Mördern ihrer Eltern nicht hasserfüllt entgegentrat. Stattdessen leistete die alte Dame – was in dem Rundgang noch fehlt – bis zu ihrem Tod 2015 von London aus viel Versöhnungsarbeit, gerade auch in Bonn. Seit 2013 trägt die Realschule in Medinghoven ihren Namen.

„Wenn Erinnerungskultur nicht in der Schule gepflegt wird, wann dann?“, fragt Fachlehrer Dirk Steitzer, der das Projekt zusammen mit Beke Ritgens und Klaus Rosendahl organisiert hat. „Später werden die wenigsten noch mit unserer Geschichte konfrontiert.“ Den aktiven Schülern bringe das Projekt Vermittlungskompetenzen. Den herumgeführten Schülern selbst fällt zum Schicksal der beiden Beuelerinnen nichts ein. Keiner mag sich äußern. Vielleicht hat ihnen das Thema auch schlicht die Sprache verschlagen. „Entschuldigung“, murmelt einer beim Aufbruch.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort