Public Viewing im Brückenforum 7:1 - und der ganze Saal tobte

BONN · Die schwarz-rot-gelbe Farbe des Gesichtstattoos rinnt in einem verwaschenen Grauton die Wangen herunter, von der ehemals gestylten Frisur ist nicht mehr viel zu sehen.

 Tor für Deutschland: Dass sie gleich sieben Mal aufspringen und jubeln dürfen, hätte keiner zu träumen gewagt.

Tor für Deutschland: Dass sie gleich sieben Mal aufspringen und jubeln dürfen, hätte keiner zu träumen gewagt.

Foto: Barbara Frommann

Trotzdem könnte das Leben gerade nicht schöner sein: Nadine, Lara und Sophie verfolgen am Dienstagabend gemeinsam mit 1250 weiteren Fußballfans im Beueler Brückenforum das grandiose Spiel der deutschen Elf. Tanzen, singen, schunkeln. Fußball? Karneval? Das ist nach dem dritten Tor von Jogis Jungs nicht mehr zu unterscheiden. Und spätestens nach dem Treffer von Sami Khedira in der 29. Minute geht der Karneval am Rhein so richtig ab. Bei Humba-Humba-Täterä und "Su lang mer noch am Lääve sin" von den Brings tobt der ganze Saal.

"Waaaaahnsinn", freuen sich die drei Mädchen und stimmen sofort wieder in den Chor ein: "Finale, oho, Finale, oho." Dabei können die Schülerinnen froh sein, dass sie das Spiel im Trockenen verfolgen. Denn schon 20 Minuten vor Anpfiff wurden die Türen geschlossen. "Alles voll", weisen Sicherheitskräfte die Fans ab.

[kein Linktext vorhanden]Etwas abseits beobachtet Jakob Thies das Geschehen. "Natürlich hätte ich es zu Hause bequemer. Dort steht ein bequemes Sofa, ein großer Bildschirm, und der Kühlschrank ist auch gefüllt", erzählt der 76-Jährige. "Aber ist die Stimmung hier nicht einmalig. Fast wie in einem Stadion. Da tausche ich gerne meinen Sessel gegen einen Stehplatz." Währenddessen greifen Müller, Lahm & Özil an.

Public Viewing im Brückenforum beim historischen 7:1
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Geschickter Spielaufbau der drei Jungs im Deutschland-Trikot mit Namensaufdruck. Müller täuscht an, von hinten zieht Özil vorbei, Lahm nimmt Maß - vorbei: "Drei Bier", drängen sich die drei vor, zahlen schnell und gehen wieder zurück. "Sorry, aber wir müssen wieder aufs Spielfeld", erklären sie jenen, die bereits länger vor der Theke warten.

Mit dem 5:0 kann die zweite Halbzeit dann entspannter beginnen. Während Schiedsrichter Marco Rodriguez aus Mexiko in Belo Horizonte längst wieder angepfiffen hat, tummeln sich noch ein paar hundert Fans im Vorraum des Brückenforums.

Dort ist die Luft besser und man steht nicht so eng beieinander. Auch Nadine, Lara und Sophie haben die Pause genutzt, um ihr Outfit aufzuhübschen. Die Fahne wurde neu aufgemalt, die langen Haare mit der Hawaiikette einfach zu einem Zopf gebunden. Mal ehrlich, kennt ihr euch beim Fußball aus? "Nö", antwortet Nadine und lacht. "Ich weiß noch nicht 'mal was Abseits ist. Aber die Stimmung bei den Fußballspielen ist so toll, dass wir nur deshalb zum Public Viewing kommen."

[kein Linktext vorhanden]Währenddessen freut sich Roberto und sein Lächeln wird mit jedem Tor breiter. Weshalb? "Ich habe mit Freunden vor der WM gewettet. Ich hab' 100 Euro für ein Endspiel Deutschland-Niederlande getippt", erzählt der Koch-Lehrling. "Wenn sich jetzt auch noch die Niederlande qualifizieren bekomme ich 1500 Euro."

Wo schauen Sie das Endspiel?
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Schadenfreude ist auch im Fußball offenbar die schönste Freude. Denn gerade wurde noch Humba-Humba gegrölt, schon heben sich mitleidig die Arme der Fans in die Höhe. Zu Andrea Bocellis "Time To Say Goodbye" schicken die Bonner die Brasilianer nach Hause.

Kurz vor Mitternacht knallen dann im Bürgerforum noch einmal die Sektkorken. Geschäftsführer Jürgen Harder hat Geburtstag. Während der Fußballübertragung stand eine Flasche Sekt vor ihm: "Die wird erst aufgemacht, wenn Deutschland gewonnen hat", erzählt er vor dem Anpfiff. Glück gehabt, denn als er schließlich den Korken knallen lässt, hatte er nur noch ein paar Minuten Geburtstag.

Wenige Meter weiter am Bertha-von-Suttner-Platz: In Belo Horizonte wird abgepfiffen, Polizeihauptkommissar Jürgen Anders gibt den Einsatzbefehl. Mit 60 Beamten ist er zur Stelle und sperrt den Cityring ab, damit die Fans, die nun zu Fuß aus Beuel kommen, nicht gefährdet werden. "Alles im grünen Bereich", zieht er nachts um ein Uhr Bilanz. "Die Fans waren vernünftig, die Autofahrer waren vernünftig. Es gab nichts für uns zu tun."

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