Seit 15 Jahren im Bett gefangen 28-jähriger Beueler bekommt keinen Rollstuhl

Beuel · Der Beueler Maurice Nieske, Opfer einer genetisch bedingten Nervenkrankheit, ist rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen. Sein Vater pflegt ihn. Nun hofft er auf einen neuen Rollstuhl.

Die Hitze ist schier unerträglich. „Warm hier?“, schmunzelt Maurice Nieske schelmisch. „Selbst nachts haben wir hier 30 Grad.“ Daran ändert auch der altersschwache Ventilator nichts, der stundenlang rattert und bläst. „Ich schmore hier in meiner eigenen Auflaufform“, lacht der 28-Jährige in einer Mischung aus Galgenhumor und grenzenloser Verzweiflung.

Seit rund 15 Jahren hat er sein Bett nicht mehr verlassen können. Ob sich daran in Zukunft etwas ändert? „Wissen wir nicht“, beantwortet Vater Friedhelm Nieske resigniert die Frage. Denn der Antrag auf einen Rollstuhl ist abgelehnt worden. Ob der Widerspruch etwas ändern wird, steht derzeit in den Sternen. „Wenn ich keinen neuen Rollstuhl bekomme, dann werde ich wohl auch die nächsten 15 Jahre so verbringen. In meinem Gefängnis.“ Wut, Verzweiflung, Hilfslosigkeit – die Gefühlswelt von Vater und Sohn ist kaum zu beschreiben.

Maurice, im April 1990 geboren, leidet an einer genetisch bedingten Nervenkrankheit bei der die Muskelmasse des Körpers in Fett umgewandelt wird. „Schon als ich ihn als Säugling gewickelt habe, habe ich bemerkt, dass irgendetwas nicht stimmt“, erzählt Friedhelm Nieske. Bis er allerdings eine genaue Diagnose erhielt dauerte es Jahre.

Auf staatliche Unterstützung angewiesen

Zwar wurde Maurice regulär eingeschult, doch nach rund dreieinhalb Jahren wurde er von der Schulpflicht befreit. „Dann musste ich mich selbst darum kümmern und habe über Jahre hinweg Nachhilfelehrer gesucht und bezahlt“, ergänzt der Vater. Seit mehr als 20 Jahren kümmert er sich rund um die Uhr um seinen Sohn. „Manchmal bin ich PaMa und manchmal MaPa. Je nach dem welche Aufgaben ich übernehme“, lächelt er. Trotz ihres Schicksals haben beide ihren Humor nicht verloren.

Die häusliche Situation ist an Vater Friedhelm Nieske allerdings nicht spurlos vorbeigegangen. Obwohl er zwei Berufsausbildungen hat und in der Region aus Musiker bekannt ist, hat er sein altes Leben komplett umgestellt. Nachts steht er mehrmals auf um seinen Sohn zu drehen. Tagsüber ist er Pfleger, Vertrauensperson, Assistent, Koch und Gesprächspartner in einem. „Das schlaucht ganz schön“, gesteht der 64-Jährige, der selbst gesundheitlich angeschlagen ist.

Aufgrund der Betreuung kann er nicht arbeiten, ist auf staatliche Unterstützung angewiesen. „Aber als Hartz-IV-Empfänger ist man gesellschaftlich der letzte Dreck. Egal welche Gründe vorliegen“, reagiert er enttäuscht. „Es frustriert und ermüdet, wenn man um jede Unterstützung kämpfen und um jede Hilfe betteln muss“, sagt er. „Wir fühlen uns einfach im Stich gelassen. Wir wissen nicht, an wen wir uns mit unseren Sorgen und Nöten wenden können“, fügt Maurice Nieske hinzu.

Großer Motorsportfan

Doch es gibt auch Positives. So hat der 28-Jährige noch immer Kontakt zu einigen Mitschülern, mit denen er damals in die Ennertschule ging. Selbst als er Anfang des Jahres wegen einer Notoperation sieben Wochen lang im Krankenhaus lag kam ihn jeden Tag einer seiner Freunde besuchen. „Dafür bin ich wirklich sehr dankbar. Über meine Sozialkontakte kann ich mich nicht beklagen“, lächelt der junge Mann. Manchmal trifft man sich zum Grillen, dann wird das Pflegebett einfach auf die Terrasse geschoben.

Von Normalität ist das Leben im Hause Nieske jedoch weit entfernt. „Ob ich schon mal verreist bin?“, fragt Maurice und überlegt. „Ja, als kleiner Junge war ich einmal eine Woche weg. Danach nicht mehr.“ Dabei hat auch er Träume, die er sich gerne erfüllen würde. „Ich bin ein absoluter Motorsportfan“, strahlt er über das ganze Gesicht. „Für mich wäre es einfach das Größe einmal beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans dabei zu sein.“ Für Vater Friedhelm Nieske würde es schon reichen, wenn er wenigstens teilweise Hilfe bei der Pflege und Betreuung seines Sohnes bekommen würde. „Seit Jahren leiste ich das allein. Doch jetzt fällt es mir immer schwerer.“

Demnächst wird „PaMa“ von persönlichen Assistenten unterstützt. Ganz aus der Hand wird Friedhelm Nieske die Betreuung seines Sohnes jedoch nicht geben. „Ich werde auch weiterhin im gleichen Zimmer schlafen, um jederzeit da zu sein wenn er mich braucht“, versichert er.

Jetzt hoffen beide gemeinsam, dass sie doch noch einen Rollstuhl bekommen, der nach den speziellen Bedürfnissen von Maurice gebaut wird. „So könnte ich endlich mal wieder aus dem Bett und wäre autark. Für mich wäre das ein enormer Schritt in Richtung Selbstständigkeit. Dann könnte ich vielleicht sogar Konzerte besuchen. Denn wir sind hier ein sehr musikalischer Haushalt.“ Mobil ist er bisher nur im Internet unterwegs. „Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass ich das irgendwann mit einem Rollstuhl im realen Leben sein werde.“

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