Folgen des Hochwassers in Bonn und der Region Zwei Wochen danach ist nichts mehr, wie es war

Bonn/Region · Die Aufräumarbeiten in Bad Godesberg, Wachtberg, Grafschaft und an der Ahr sind in vollem Gange. Die meisten Keller sind wieder trocken, aber Müll und Schwemmgut türmen sich noch an den Ufern der einst überfluteten Bäche. Bürger und Institutionen helfen den Opfern mit Finanzspritzen. Eine Bestandsaufnahme.

Etwas über zwei Wochen ist das verheerende Unwetter in Bad Godesberg, Grafschaft, an der Ahr und in Wachtberg nun schon her, und mittlerweile sieht Horst Poell im wahrsten Sinne des Wortes wieder Land: Rund zwei Meter hoch hatten die braunen Fluten in dem Keller des Mehrfamilienhauses an der Pecher Hauptstraße Nummer 2L, dessen Miteigentümer Poell ist, gestanden.

Keiner im Ort kann sich an ein solches Hochwasser erinnern, das unter anderem auch die Brücke auf der Pecher Hauptstraße direkt vor Poells Haustür weggerissen hatte. In einem beispielhaften Miteinander der Hausbewohner, über das der General-Anzeiger bereits berichtet hatte, war dann zwei Wochen lang acht Stunden am Tag Schlammschieben, Saubermachen und Ausräumen angesagt. Auch viele Pecher hatten geholfen, so Proell.

Denn fast alles, was im Keller stand, landete inzwischen auf dem Sperrmüll. Neben rund einem Dutzend Trocknern und Waschmaschinen der Bewohner auch Containerweise Hausrat. Doch damit nicht genug: Auch nicht mehr zu retten waren laut Poell die Gasheizungen für die Wohnungen. Ferner muss nun der Keller austrocknen können. Damit das klappt, muss Georg Dern, Juniorchef einer Bergheimer Spezialfirma, zuvor aufwendig den gesamten Kunststoffanstrich auf dem Estrich abtragen.

Insgesamt schätzt Miteigentümer Horst Poell den Schaden auf zwischen 70 000 und 100 000 Euro. Was ihn dabei ein Stückweit beruhigt: "Gott sei Dank habe ich anders als einige Nachbarn eine Elementarschadenversicherung für das Gebäude." Dabei bleibt allerdings die bange Frage, ob die Versicherung den Schaden nicht zum Anlass für eine Kündigung nimmt.

Burg Gudenau: Wiederaufbau unter geänderten Vorzeichen

An das ganz große Aufräumen nach dem Unwettersamstag ist wenige Kilometer Luftlinie entfernt auf der Burg Gudenau noch nicht zu denken: Zu groß sind die Schäden, die eine wahre Flutwelle, die aus Richtung des Grimmersdorfer Hofes und Arzdorf kam, anrichtet hatte. Wie berichtet, war nicht nur der barocke Park großflächig überflutet, sondern auch die Mauer des Burggrabens zu großen Teilen zerstört worden. Burgherrin Henriette Gräfin Strasoldo will den Wiederaufbau zwar unverzüglich angehen, allerdings unter geänderten Prämissen.

So soll zunächst ein "wasserlaufgerechtes Konzept" mit allen Beteiligten ausgehandelt werden, sagt sie; dabei versteht sie sich selbst als Schwungrad eines solchen Runden Tisches. Wie Strasoldo mitteilte, ist ein erster Termin bereits anberaumt. Erst wenn ein solches naturnahes Konzept steht, macht für Gräfin Strasoldo auch der Wiederaufbau von Park und Burggraben Sinn. Wobei bereits feststeht, dass das ohne die Mittel des Denkmalschutzes nicht gelingen kann. Laut Strasoldo gibt es aber auch hier Gespräche noch in dieser Woche.

Grafschaft: Von Normalität keine Spur

Wer in diesen Tagen durch Nierendorf fährt, stößt in allen Straßen rund um den Leimersdorfer Bach auf Handwerkerfahrzeuge, Raupen, Bagger, Container. Ob Heizungs- und Sanitärbetriebe, Parkett- oder Laminatverleger, Fliesenleger oder Gartenbaubetriebe: Das Handwerk hat in den Grafschafter Höhengemeinden gerade Hochkonjunktur. Vor allem in der 850-Seelen-Gemeinde Nierendorf. Der Ort war vom Starkregen des 4. Juni schließlich ganz besonders hart betroffen. Nun werden die großen Schäden beseitigt.

Von Normalität im Alltagsleben keine Spur. "Hier regiert nur noch die Angst davor, dass sich so etwas wiederholen könnte. Bei jeder kleinen Regenwolke am Himmel steht man kurz vor der Panik", so Heiko Eggerichs. Er wohnt in der Straße "Am Hang". Dort hatte sich der parallel verlaufende kleine Bach während des Unwetters im Blitztempo in einen reißenden Fluß verwandelt und eine Schneise der Verwüstung hinterlassen.

So etwas habe er noch nicht erlebt, so der 67-jährige Eggerichs. Sein höhergelegenes Haus sei zwar nicht in Mitleidenschaft gezogen worden, jedoch habe er mit ansehen müssen, wie die gegenüberliegenden Gebäude überflutet wurden. Für Monate werden sie nicht mehr bewohnbar sein. Zu groß sind die Schäden, zu aufwendig deren Behebung.

Beispielsweise das schmucke Einfamilienhaus eines 58-jährigen Betriebswirts, der zwar gerne Rede und Antwort steht, mit Namen aber nicht genannt werden möchte. Der Dozent an einer Kölner Fachhochschule verflucht nach eigenem Bekunden den Tag, an dem er das Haus am kleinen Leimersdorfer Bach gekauft hat. Nun sitzt er auf einem Schaden von geschätzten 85.000 Euro. "Eine Elementarversicherung habe ich erst jetzt abgeschlossen. Quasi als Lehre, die ich aus diesem Unwetter gezogen habe", sagt der Nierendorfer, der erst vor anderthalb Jahren in den Ort gezogen ist. 700 Euro bezahlt er nun im Jahr an Versicherungsprämien. "Ein Klacks im Vergleich zu dem, was ich nun zu bezahlen habe." Nie und nimmer habe er sich träumen lassen, dass der Bach ein solches Ausmaß annehmen und einen solchen Schaden hervorrufen könne: "Was hier passiert ist, war für mich unvorstellbar." Mit seiner Familie hat er nun eine Ferienwohnung in Ahrweiler bezogen. Sein Haus ist unbewohnbar. "Vor Ende Oktober geht hier nix", meint er resigniert. Er hat sich Urlaub genommen, um die Immobilie wieder auf Vordermann zu bringen. Soweit es ihm in Eigenregie überhaupt möglich ist. Ohne Fachfirmen, so der Betriebswirt, werde das kaum gelingen.

Der gesamte Parterrebereich mit Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche und einem Hauswirtschaftsraum fiel den Fluten zum Opfer. Wie im Nachbarhaus krachte auch bei ihm ein dicker Baumstamm durch das Fenster bis ins Wohnzimmer und legte sich dort quer.

Die Folge: Das Wasser staute sich zwischen Sofa und Fernsehgerät. Vom Balkon aus, auf den die Familie flüchtete, blickten die Neu-Nierendorfer auf ihren vorbeischwimmenden Hausrat. "Die Wassermassen hatten Kühlschrank, Waschmaschine, Tische und Stühle durch das Erdgeschoss ins Freie gedrückt. Angeschwemmt wurde stattdessen Hausrat, der uns überhaupt nicht gehört", berichtet der 58-Jährige. Wie auch ein randvoll gefüllter Gastank, der aus einem Keller eines ein paar Häuser oberhalb stehenden Grundstücks in den Garten des Dozenten geschossen kam.

Derzeit surren fünf Bautrockner in seinem Haus. 266 Stück hatten die Gemeinde und eine Grafschafter Bauunternehmung besorgt. Es riecht nach Desinfektionsmittel. "Alle Böden und Wände müssen bearbeitet werden, damit sich kein Schimmel bildet", sagt er. Er müsse sich damit abfinden, dass er halt bis zur Mitte des Herbstes kein Zuhause mehr habe.

Das haben auch Silke Olesen und Sabine Peter nicht mehr. Rund 150 000 Euro wird es kosten, bis ihr Haus am Bach wieder so hergestellt ist, wie es vor der Flutkatastrophe war.

Das Paar wird jedoch nicht in sein Haus zurückkehren. Nach drei dramatischen Hochwassern ist für sie in Nierendorf ein für allemal Schluss: "Wir schlafen hier keine Nacht mehr", beschloss das Paar. Sobald das Haus wieder instand gesetzt ist, soll es verkauft werden.

Birresdorf: Behelfsbrücke als nächstes Ziel

Mit Stahlelementen ist zurzeit die Abbruchstelle an der früheren Brücke zwischen Birresdorf und Leimersdorf gegen weiteres Abrutschen abgesichert.

Das Bauwerk im Zuge der Landesstraße 79 war am 4. Juni nach einem Starkregen von den Fluten des angeschwollenen Leimersdorfer Baches weggerissen worden. Samt Abwasserkanal und Trinkwasserleitung. 900 Kilo schwere Betonrohre waren wie Baumstämme mehr als 50 Meter weit fortgeschwemmt worden.

Aktuell wird der Kanal erneuert. Dicke PVC-Rohre wurden über ein Gerüst aus 19 Meter langen Stahlträgern gelegt, um die Abwasserentsorgung wiederherzustellen. Die Trinkwasserleitung folgt über dieselbe Konstruktion.

Nächstes Ziel ist dann eine Behelfsbrücke, um Birresdorf wieder an die Grafschaft anzuschließen. Auch Pendler müssen derzeit, kommen sie aus Richtung Wachtberg, Umleitungen über den Bad Neuenahr-Ahrweiler Stadtteil Kirchdaun oder Gelsdorf in Kauf nehmen. Über den Neubau einer Brücke verhandelt die Gemeinde mit dem Land Rheinland-Pfalz und hat auch entsprechende Wünsche.

So soll eine neue Brücke mit Rad- und Fußgängerweg höher liegen als die bisherige und den bislang engen Kurvenverlauf entschärfen. Wichtigstes Argument bei einem Neubau ist jedoch der Hochwasserschutz. Denn durch ein neues Bauwerk könnte aus Richtung Leimersdorf zusätzlich Rückhalteraum für Niederschlagswasser entstehen. Und so dem Regenrückhaltebecken Nierendorf eine weitere Staufläche vorgeschaltet werden.

Bad Godesberg: "Schlimmer als wir gedacht haben"

Erst am Dienstag hatten die Behörden den Weg für die Geschäftsleute der Fronhofer Galeria frei gemacht, damit diese sich endlich ein umfassendes Bild von den Zerstörungen durch das Hochwasser machen konnten. Darunter befanden sich auch Raimund und Marion Himmrich, deren Optikfachgeschäft in der Galeria den Fluten zum Opfer gefallen war. "Es sieht schlimmer aus, als wir gedacht haben", meinten die Eheleute, die im Schutzanzug und mit Mundschutz soeben ihr Ladenlokal begutachtet hatten.

Ihr Fazit: "Die komplette Ladenfläche von rund 150 Quadratmetern muss erneuert werden. Zuerst muss ein neuer Boden rein, der dann mindestens vier Wochen trocknen muss", meinte Raimund Himmrich. "Unsere Spezialgeräte werden wir erst einmal prüfen müssen, ob diese noch zu gebrauchen sind. Schlamm und Feuchtigkeit haben fast alles zerstört. Leider sind wir fast zwei Wochen machtlos gewesen. Für uns als kleine Unternehmer ist das wirklich sehr schlimm." Immerhin verfügen die Himmrichs über eine Elementarversicherung. "Wir gehen im Moment davon aus, dass wir erst im September wieder eröffnen können", meinten beide.

Ein bisschen weiter runter Richtung Theaterplatz war Stefan Stuch gleich mit zwei Ladenlokalen Am Michaelshofs 6 unter Wasser gekommen. Bis zum Hochwasser am 4. Juni war er mit den Vorbereitungen für sein neues Ladenlokal im früheren "Bit am Theater", einer Kombination aus Ladengeschäft und Fischbistro, "schon relativ weit gekommen. Wir hatten alles entkernt, neue Toiletten eingerichtet, eine große Theke eingesetzt, kurz: alles erneuert."

Durch das Hochwasser sei leider "kein Stein auf dem anderen geblieben, der Schaden lässt sich nur schwer beziffern", so Stuch. Mehr Glück hatte er mit seinem alten Ladenlokal gleich um die Ecke. Dank "einer tollen Teamleistung" seiner Mitarbeiter konnte das Fischfachgeschäft bereits nach drei Tagen wieder öffnen. Sei neues Bistro wird Stuch jetzt voraussichtlich im September eröffnen. "Wir gucken jetzt nach vorne und freuen uns auf die neue Filiale mit Bistro." So hat das Unglück auch eine gute Seite.

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