Kriegskinder Wenn das Trauma aufbricht

Zahlreiche Kriegskinder, aber auch Kriegsenkel leiden unter den Folgen der grausamen Ereignisse. In Gesprächskreisen in Bad Godesberg haben sie Gelegenheit, sich auszutauschen. Mit der Leiterin, der Psychologin Cora Kepka, sprach Ebba Hagenberg-Miliu.

Wie kann das sein, dass die Schrecken des Zweiten Weltkriegs heute noch auch in Bonner Bürgern wieder hochkommen?
Cora Kepka: Diejenigen, die von 1927 bis 1945 Kinder waren, erinnern sich im Alter eben wieder an traumatische Erlebnisse. Nach dem Krieg ging es um Wiederaufbau und Funktionieren. Es gab keine Zeit, kein Interesse, kein Bedürfnis, über schreckliche Ereignisse zu reden. Es wurde geschwiegen, Gefühle wurden unterdrückt, Erlebtes verdrängt. Dies gelingt aber in der Regel nicht dauerhaft. Wenn Kriegskinder älter sind, kommen die Erinnerungen wieder hoch. Zum anderen stellen die Nachkriegskinder, geboren zwischen 1946 und 1954, und die Enkel Fragen und bemerken häufig, dass die Geschichte ihrer Eltern Lücken aufweist.

Sie laden in Bad Godesberg zu Gesprächskreisen und Seminaren. Wer sitzt denn da: Kriegskinder oder Kriegsenkel?
Kepka: Es überwiegen die Kriegsenkel. Kriegskinder, die teilnehmen, haben sich bereits mit ihren Erlebnissen auseinandergesetzt und wollen mehr über die Auswirkungen auf ihre Kinder erfahren. Diejenigen, die sich nicht damit auseinandersetzen wollen, erlebe ich nicht. Aber über die Kriegsenkel, die sehr unter der Verschlossenheit, den Depressionen, Ängsten oder der Alkoholsucht ihrer Eltern leiden, werden diese Kriegskinder indirekt Thema. Kriegsenkel suchen oft einen Weg, wie sie Zugang zu ihren kriegstraumatisierten Eltern bekommen und eine Versöhnung erreichen können. Darüber hinaus geht es um das Begreifen der eigenen Lebensgeschichte.

Und was offenbaren die Ängste und Depressionen der Eltern?
Kepka: In der Therapie wird deutlich, dass Traumata aus Kriegszeiten nicht verarbeitet sind, sondern etwa in Alpträumen zum Ausdruck kommen. Häufig ist auch eine gefühlsmäßige Abgestumpftheit vorhanden. Seit einiger Zeit weiß man, dass Traumata in die nächste Generation weitergegeben werden. Das fehlende Einfühlungsvermögen in die Bedürfnisse und Nöte der eigenen Kinder, weil man ja selbst so Schlimmes erlebt hat, führt dazu, dass Kinder wenig emotionale Zuwendung bekommen.

Warum schaffen es die meisten Kriegskinder nicht, über das Erlebte zu sprechen?
Kepka: Weil sie Angst davor haben, von Erinnerungen überwältigt zu werden. Es kann auch sein, dass im Bewusstsein nur Bruchstücke des Erlebten gespeichert sind. Heftig traumatisierte Menschen können sich manchmal sogar gar nicht erinnern.

Was hören Sie in Ihren Gesprächskreisen: Wie war die "normale" Erziehung im Dritten Reich?
Kepka: Sie war geprägt durch das "Ideal", ein Kind möglichst früh körperlich und psychisch abzuhärten. Gezielt wurden Mutter und Kind nach der Geburt 24 Stunden getrennt, um die natürliche Bindung zwischen beiden zu zerstören. Das Kind musste sich auf feste Regeln bezüglich der Nahrungsaufnahme, Sauberkeitserziehung und des Schlafens einstellen. Es wurde zu absolutem Gehorsam gezwungen.

Wie kann die Psychotherapie wenigstens den betroffenen Kriegsenkeln helfen?
Kepka: Sie kommen meist aufgrund von Depressionen, Ängsten oder Burnout in meine Praxis. Erst wenn auch der Hintergrund der Eltern beleuchtet wird, zeigen sich Zusammenhänge. Oft erlebe ich, dass Kriegsenkel sich übermäßig stark um ihre eigenen Eltern kümmern. Sie nehmen die emotionale Bedürftigkeit ihrer Eltern wahr und versuchen etwas wiedergutzumachen, was gar nicht in ihrem Verantwortungsbereich liegt. Diese Erkenntnis kann den Kriegsenkeln helfen, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, aber letztlich auch den Kontakt zu den Eltern zu verbessern.

Was raten Sie Lesern, die jetzt eigene Familienprobleme erkennen? Auch wenn sie nicht so heftig sind?
Kepka: Wenn die Eltern noch leben, sollten Kriegsenkel das Gespräch mit ihnen suchen. Doch wenn die Eltern nicht reden wollen, sollte man das ernst nehmen, weil sie sich damit schützen. Retraumatisierung ist ja auch ein aktuelles Thema in der Pflege. Wenn Kriegskinder von anderen abhängig werden, erleben sie Ohnmachtsgefühle, die sie an die traumatischen Situationen von damals erinnern. Hilfreich können gerade Gesprächskreise sein, in denen man sich mit anderen austauschen kann. Wenn Probleme jedoch gravierend sind, dann würde ich eine Psychotherapie empfehlen.

Sind Sie eigentlich selbst betroffen?
Kepka: Ja, ich selbst bin auch ein Kriegsenkel. Nach dem Tod meiner Mutter fiel mir plötzlich auf, dass ich überhaupt nicht wusste, wo sie geboren war. Ich habe angefangen, mich ins Thema einzulesen und Angehörige zu befragen. Dabei wurde mir auch deutlich, dass mein Vater aufgrund seiner Flucht schwer traumatisiert war. Mit ihm habe ich zum Glück noch viele Gespräche führen können. Ich beschäftige mich seit zehn Jahren mit diesem "Erbe", lese viel darüber, reflektiere mit meinem Mann die Erziehung unserer Kinder und bringe meine Erkenntnisse in meine Tätigkeit als Psychotherapeutin ein.

Eine Anmeldung zu den Gesprächskreisen ist möglich unter 0228/61 95 63 00 oder auf der Homepage www.privatpraxis-im-park.de.

Zur Person

Die Diplom-Psychologin Cora Kepka, Jahrgang 1963, hat sich in ihrer Bad Godesberger Fachklinik auf die Behandlung von Suchtproblemen, traumatischen Erlebnissen wie Gewalt-, Kriegs- oder Missbrauchserfahrungen sowie von beruflichen Problemen wie Mobbing, Stress oder Burnout spezialisiert.

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