Sparliste der Stadt Bonn Rotstift in der Ganztagsschule

BONN · Die Stadt will Zuschüsse zur Betreuung kürzen und jährlich bis zu 782 000 Euro sparen. Die Mitarbeiter fürchten massive Qualitätsverluste.

Eifrig basteln Lilith, Amina, Amelie und Lorena in der Offenen Ganztagsschule (OGS) der Grundschule Heiderhof mit buntem Krepp lustige Drachen, Igel und Blätter. "Wir müssen gleich Hausaufgaben machen", erklärt Rosali, eine "Erdmännchen"-Zweitklässlerin. Und freut sich, denn eine Erzieherin wird ihr alle Fragen beantworten. Linsensuppe und Schokoladenpudding gab es eben zu Mittag. Und wenn alle Matheaufgaben gelöst sind, kann es bis 16.30 Uhr raus zu Spaß und Spiel in den Schulhof oder zu einem der kreativen Angebote gehen.

"Wir leisten Beziehungsarbeit, bieten Verlässlichkeit. Und kein Kind bleibt ohne Mittagessen", erläutert OGS-Leiterin Eva Ropertz. Brigitte Mohn und Rainer Braun-Paffhausen vom Träger Katholische Jugendagentur ergänzen, dass in den OGS wichtige "Arbeit im Sozialraum" garantiert werde: mit einem hohen Anteil von Fachkräften, langen Öffnungszeiten und Ferienbetreuung. "Diese Qualität sehen wir durch die Sparvorschläge der Stadt massiv bedroht", sagt Braun-Paffenhausen, der als größter Anbieter in Bonn neun OGS verantwortet.

Wie viele OGS-Einrichtungen gibt es, und was leisten sie?
Alle 51 Grundschulen und sechs Förderschulen in Bonn werden als offene Ganztagschulen geführt. Die Organisation liegt bei der Stadt sowie freien und kirchlichen Trägern. In den OGS wird nach dem Unterricht 60 Prozent der Kinder an fünf Tagen die Woche bis 16.30 Uhr ein warmes Mittagessen, Hausaufgabenbegleitung, freies Spiel, Kurse sowie spezielle Förderung geboten. Wichtig ist die Ganztagsbetreuung besonders für Kinder aus dem sozialen Brennpunkt. Viele Grundschulen haben zusätzlich Kurzbetreuung bis 14 Uhr im Programm.

Wie sieht die bisherige Finanzierung der OGS-Plätze aus?
Pro Kind und Jahr stehen den OGS-Trägern 2115 Euro zur Verfügung. Davon zahlt das Land 935 Euro, die Stadt 460 Euro. Der Rest stammt aus Elternbeiträgen, die nach Einkommen gestaffelt sind, aber 150 Euro monatlich nicht übersteigen dürfen. Die freien Träger kritisieren schon am aktuellen Stand, dass die städtische Summe seit 2003 nicht erhöht wurde, obwohl sie als freie Träger seit Jahren mit tariflichen Kostensteigerungen von bis zu 30 Prozent zu kämpfen hätten. Sie fordern statt einer Kürzung 317 Euro pro Kind und Jahr mehr, um den OGS-Leistungsstandard halten zu können.

Wie will die Stadt die OGS-Plätze finanzieren?
Die Verwaltung will den Zuschuss von 460 Euro auf 350 Euro pro Platz senken und das in den Haushaltsberatungen so verabschieden. Man will also jeden OGS-Platz mit 2005 Euro jährlich berechnen, woran sich das Land und die Eltern beteiligen. Das sei im Vergleich zu anderen NRW-Städten immer noch ein "Spitzenwert". Der OGS-plus-Zuschuss bleibe mit 500 000 Euro jährlich "weitgehend erhalten", verspricht die Stadt. OGS-plus sind Sondermittel zur Unterstützung von Schulen mit einem hohen Anteil an Kindern aus sozial schwachen Familien.

Wann sollen die Kürzungen greifen, wenn der Rat zustimmt?
Die Verwaltung strebt die Kürzungen erst für das kommende Schuljahr 2015/16 an.

Was würde die Stadt sparen?
Im zweiten Halbjahr 2015 sollen 332 291 Euro weniger Kosten anfallen, 2016 insgesamt 782 792 Euro und in den darauffolgenden Jahren leicht abfallende Beträge.

Welche sonstigen OGS-Kosten kommen auch so auf Bonn zu?
Die Verwaltung sieht Baumaßnahmen für 540 000 Euro als unumgänglich an. Räumlicher Zusatzbedarf entsteht besonders durch den geplanten OGS-Ausbau von jährlich 150 Plätzen. Die Stadt will den Versorgungsgrad von 60 auf 80 Prozent ausbauen.

Was steht im Brief des Oberbürgermeisters an die OGS-Eltern, der kürzlich verteilt wurde?
Jürgen Nimptsch erklärt darin, dass die "dramatische Haushaltslage" die Verwaltung zwinge, auch im OGS-Bereich zu streichen. Die Stadt werde "zeitnah mit den OGS-Trägern in die notwendigen Gespräche eintreten, um zu klären, wie die künftige Angebots-Leistungs- und Finanzierungsstruktur so angepasst werden kann, dass sie den veränderten finanziellen Rahmenbedingungen gerecht wird." Eltern zeigen sich dem GA gegenüber verwundert, dass der OB vor dem nötigen Ratsbeschluss schon von vollendeten Tatsachen auszugehen scheint.

Würde die Stadt trotz Kürzung "weit über dem Landesdurchschnitt" zahlen, wie sie sagt?
Einerseits ja: Die Basisversorgung pro OGS-Platz und Jahr muss laut Landesvorgabe in NRW nur 1345 Euro kosten. Andererseits aber nein: Hier wird nur eine Betreuung an vier Tagen bis 15 Uhr vorausgesetzt, und die Ferienbetreuung kann separat als stadtweites Angebot laufen. Bonn will künftig von einer Summe von 2005 Euro pro OGS-Platz ausgehen. Bislang beinhalten die Vereinbarungen der Stadt mit den Trägern, dass die OGS an fünf Tagen bis 16.30 Uhr und in den Ferien sechs bis sieben Wochen betreuen müssen. In Bonn sollen ausdrücklich Fachkräfte eingesetzt werden. "Die Stadt vergleicht Äpfel mit Birnen", kritisiert Stephan Dülberg, Sprecher des Arbeitskreises OGS.

Welche OGS-Konditionen bieten andere Städte an, zum Beispiel Sankt Augustin?
Laut Stadtsprecherin Eva Stocksiefen erhalten die OGS-Träger dort pro Kind und Schuljahr knapp 2000 Euro. Enthalten seien Betreuungspauschalen des Landes, Elternbeiträge und ein Stadtzuschuss von 343 Euro. Das ist also fast genau der Betrag, auf den die Stadt Bonn ab Sommer 2015 ihre Zahlung kürzen will.

Was bietet die OGS in Sankt Augustin in den finanziell entscheidenden Punkten?
Der Personalschlüssel richte sich nach Vorgaben des Landes: Die OGS- und die Gruppenleitungen müssen pädagogische Fachkräfte sein, so Eva Stocksiefen. Geöffnet sei die OGS von Montag bis Donnerstag bis 16 Uhr, freitags bis 15 Uhr. In den Ferien seien die OGS-Einrichtungen zu, denn die Stadt finanziere OGS-Kindern spezielle Ferienspielwochen. In diesem Punkt leisten Bonner OGS mehr: Sie decken mindestens sechs Wochen Ferienbetreuung ab.

Gibt es Städte, die beim OGS-Standard der Stadt Bonn mehr Zuschüsse zahlen würden?
Mülheim an der Ruhr stellt für eine solche landesweit gesehen hohe Versorgungsqualität 3300 Euro pro Platz bereit. In Bonn soll das mit 2005 Euro zu schaffen sein. Stephan Dülberg vom Arbeitskreis OGS: "Das ist unmöglich."

Wo sehen die OGS-Träger Sparpotenziale, wenn der Rat den Vorschlag bewilligt?
Es werde einen massiven Qualitätsverlust geben, so die freien Träger. Man werde Stundenanteile kürzen und Betreuungszeiten beschneiden. Man werde kein vernünftiges Fachpersonal mehr finden, weil die Arbeitsplätze unattraktiv würden. Auch die Ferienbetreuung werde es in bisheriger Form nicht mehr geben. "Das geht alles nur, wenn wir die OGS in eine Verwahranstalt umwandeln, statt individueller Förderung und Zuwendung eben Massenkinderhaltung", sagt Dülberg.

Kürzungen: Die Stadt hat wenig Spielraum

Die Stadtverwaltung hat zahlreiche Kürzungsvorschläge gemacht, die in den kommenden Jahren Einsparsummen von bis zu 48 Millionen Euro pro Jahr ergeben sollen. Zusammen mit einer massiven Grundsteuererhöhung und einer angekündigten Entlastung durch den Bund sollen die Bonner Einnahmen und Ausgaben somit bis 2021 ausgeglichen werden. Kernproblem: Den Großteil ihrer Ausgaben, etwa die gesetzlich geregelten Sozialleistungen, kann die Stadt kaum beeinflussen. Freiwillige - also kürzbare - Leistungen wie Zuschüsse machen nur rund 10 Prozent des Haushalts aus. Darum will die Stadt auch an einen der größten Kostenblöcke heran: die eigenen Personalkosten. Die Verwaltung soll um 500 Mitarbeiter verkleinert werden.

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