Symposium der Bürgerstiftung Rheinviertel Plädoyers für die Zivilgesellschaft

BAD GODESBERG · Timotheus Höttges, Udo Di Fabio und Wolfgang Schäuble sprechen beim Symposium "Neue Zivilgesellschaft - Mit Einander Gestalten" der Bürgerstiftung Rheinviertel.

 Lesepatin mit Patenkind: Dies ist nur eine der Möglichkeiten für zivilgesellschaftliches Engagement, die die Bürgerstiftung Rheinviertel in Bad Godesberg bietet.

Lesepatin mit Patenkind: Dies ist nur eine der Möglichkeiten für zivilgesellschaftliches Engagement, die die Bürgerstiftung Rheinviertel in Bad Godesberg bietet.

Foto: BÜRGERSTIFTUNG RHEINVIERTEL

"Neue Zivilgesellschaft - Mit Einander Gestalten": Unter diesem Thema steht das Symposium, zu dem die Bürgerstiftung Rheinviertel anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens einlädt. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, Telekom-Chef Timotheus Höttges und Professor Udo Di Fabio, Staatsrechtler an der Universität Bonn und ehemaliger Verfassungsrichter, haben ihr Kommen zugesagt. Ayla Jacob und Rüdiger Franz sprachen mit ihnen über soziale Verantwortung, sozialwissenschaftliche Aspekte und die großen Herausforderungen, vor denen Deutschland steht.

Wie definieren Sie als Vorstandsvorsitzender soziale Verantwortung in Ihrem Unternehmen vor Ort?

Timotheus Höttges: Soziale Verantwortung wahrzunehmen, gehört für mich zum Unternehmertum. Der Staat stößt an Grenzen. Umso wichtiger ist es, dass der Zusammenhalt in den Familien, in der Nachbarschaft und in den Gemeinden stark ist. Wir brauchen eine funktionierende Zivilgesellschaft. Unternehmen tragen dazu bei. Die Telekom versteht sich als "Bürger von Bonn". Darum engagieren wir uns hier vor Ort zum Beispiel bei der Bildung, beim Sport, und der Kultur.

Welche ideellen Werte erachten Sie als Unternehmer als ökonomisch gewinnbringend? Welche Werte sollte man zum Beispiel zur Telekom mitbringen, um dabei zu sein? Sind diese Werte auf Gesellschaft und Politik übertragbar?

Höttges: Die Werte, die in einem Unternehmen gelebt werden, werden ja weitergetragen, zum Beispiel in die Familien unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Damit verbunden ist die Verantwortung von Unternehmen, Werte zu definieren, die auch für den Zusammenhalt einer freien und demokratischen Gesellschaft insgesamt wichtig sind. Insofern schauen wir nicht darauf, ob Werte materiellen Gewinn bringen, sondern ob sie ideell richtig sind. Oft passt dann sogar beides. Für die Telekom sind zum Beispiel Aufrichtigkeit und Authentizität wichtig. Ebenso Integrität, Verantwortungs- und Leistungsbereitschaft, aber auch Offenheit für Neues und Veränderung. Uns ist bewusst: Werte sind ein wichtiger Stabilitätsanker. Ohne Werte fehlen sowohl einer Gesellschaft als auch einem Unternehmen das Fundament, die Identität und damit die Zukunftsperspektive. Es ist eben nicht ausschließlich Zweck von Unternehmen, Gewinne zu machen.

In welcher Relation stehen Ihrer Meinung nach soziale Verantwortung und Führungsgehälter in globalen Unternehmen?

Höttges: Ich glaube, dass gut geführte Unternehmen ihrer sozialen Verantwortung am besten nachkommen können. Zunächst natürlich der Verantwortung für die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie deren Familien. Darüber hinaus aber natürlich auch der Verantwortung, die sich in sozialen und gesellschaftlichen Aktivitäten ausdrückt. Ohne Gewinne ist ein solches Engagement eben nicht machbar. Gute Führung wiederum beruht auf Leistung, die in meinen Augen angemessen honoriert sein sollte. Bodenhaftung, Maß und Mitte müssen allerdings auch hier der Maßstab sein.

Ist die "Zivilgesellschaft" eine Errungenschaft - oder doch eher ein Notnagel, weil der Staat seinen Aufgaben nicht mehr gewachsen ist?

Udo Di Fabio: Von Zivilgesellschaft reden wir, wenn Amnesty International auf das Schicksal politischer Gefangener hinweist und damit ein wichtiger Teil der öffentlichen Meinungsbildung ist. Aber die neue Zivilgesellschaft entsteht auch im Lebensalltag der Menschen, denn hier ist manchmal in Familien und Vereinen etwas weggebrochen, was nicht alles vom Staat ersetzt werden kann. Die Überforderung des Staates hat gesellschaftliche Ursachen. Hier ergänzt und hilft das Engagement der Bürger, sie nehmen selbst etwas in die Hand.

Inwieweit droht der Rückzug des Staates aus Bereichen der Daseinsvorsorge, die Abkehr vom Staat und damit die Entfremdung vom Gemeinwesen zu befördern?

Di Fabio: Der deutsche Sozialstaat ist bei Existenzrisiken im Alltag präsent und zieht sich keineswegs zurück. Eine Gefahr sehe ich eher, dass die Bürger den Staat nicht als ihre Vereinigung verstehen, sondern als ein gut geöltes Dienstleistungsunternehmen. Man kann nicht alles über Sozialversicherungen, Leistungsgesetze erreichen, menschliche Nähe, Hilfe und der Zusammenhalt vor Ort kann nicht gesetzlich angeordnet werden.

Welche Chancen hat die "Zivilgesellschaft" außerhalb der Gemeindegrenzen des Rheinviertels - also in "ganz normalen" oder sozial schwachen Gegenden?

Di Fabio: Schon im Rheinviertel und in kirchlichen Gemeinden spielen soziale Barrieren eine geringe Rolle. Alle sind eingeladen nach ihren Fähigkeit und Kräften. Der große Spender ist nicht mehr wert als die jugendlichen Helfer bei einer Benefizveranstaltung. Es geht überall mehr, als wir denken. Zupacken ist ansteckend.

Wie beurteilen Sie die Verantwortung von Staat und Regierungshandeln für die gegenwärtigen Herausforderungen?

Wolfgang Schäuble: Ich bin sicher: Wir werden erleben, dass Staat und Regierung ihrer Verantwortung angesichts der großen Herausforderung durch die gegenwärtige Flüchtlingssituation, die uns alle so sehr beschäftigt, gerecht werden. Neben der akuten Bewältigung von Aufnahme, Unterbringung und beginnender Integration der Flüchtlinge stehen wir jetzt vor drei wichtigen Aufgaben: Erstens die Kontrolle der europäischen Außengrenzen. Gemeinsam müssen wir in Europa dafür sorgen, dass ein unkontrollierter Zugang nach Europa nicht mehr möglich ist. Und gegenüber den Herkunftsregionen der Flüchtlinge muss deutlich werden, dass die Aufnahmekapazitäten von Europa endlich sind. Zweitens: Die nationalen Standards des Asylrechts in Europa sind zu unterschiedlich. Wir brauchen jetzt rasch eine stärkere Vereinheitlichung. Drittens müssen wir den Nachbarländern der Kriegsgebiete im Nahen Osten helfen, die die größten Lasten tragen: der Türkei, dem Libanon, Jordanien. Und wir müssen als Europa mehr tun zur Lösung des Syrienkonflikts. An all dem arbeiten die Bundeskanzlerin und die gesamte Bundesregierung intensiv.

Viele Bürger sehen sich an maßgeblichen Entscheidungsprozessen nicht beteiligt. Wie wollen Sie die Bevölkerung vor diesem Hintergrund zu mehr "bürgerschaftlichem Engagement" motivieren?

Schäuble: Wir leben in einer repräsentativen Demokratie - und die lebt vom Gedanken der Stellvertretung. Diese demokratischen Verfahren sind transparent, jeder kann sie verfolgen. Es werden in diesen Verfahren über die Abgeordneten und Amtsträger hinaus viele weitere Personen hinzugezogen, viele Meinungen gehört und berücksichtigt. Ich denke, wir haben uns in unserem Land auf diese Weise in den vergangenen Jahrzehnten ganz gut selbst regiert. Und das bürgerschaftliche Engagement war dabei auch stets beeindruckend, gerade dann, wenn es akut darauf ankam - wie wir zurzeit wieder in der Flüchtlingskrise sehen.

Die Situation der öffentlichen Finanzen wird in den Kommunen besonders sichtbar. Infrastruktur wird tendenziell abgebaut, während die Abgabenlast für die Bürger steigt. In welcher Form zeigt sich die "Krise als Fortschrittstreiber"?

Schäuble: Sichtbar wird doch in dieser Zeit, dass der Zustand der öffentlichen Finanzen gar nicht schlecht ist. Wir haben in den vergangenen Jahren solide gehaushaltet, weswegen wir die neuen Herausforderungen auch im nächsten Jahr ohne neue Schulden und ohne Steuererhöhungen bewältigen wollen. Die Zahlen machen aber auch deutlich: Die Schere zwischen finanzstarken und finanzschwachen Kommunen öffnet sich weiter. Deshalb unterstützt der Bund die Kommunen trotz der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung, nach der die Länder für die Kommunen zuständig sind, seit der letzten Legislaturperiode so stark wie nie zuvor. Das versetzt die Kommunen schon heute in die Lage, mehr zu investieren - und sie tun es auch.

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