Inklusion im Sonja-Kill-Kindergarten Nach dem Abriss wird alles größer und schöner

PLITTERSDORF · Das rote Backsteingebäude samt Außengelände des Sonja-Kill-Kindergartens wirkt verlassen. Kein Wunder. Schließlich sind die Kinder samt Erzieherinnen in Container im Schatten der Kirche St. Thomas More Heilig Kreuz umgezogen. Dort werden sie auch länger bleiben: Denn der Sonja-Kill-Kindergarten wird neu gebaut - und ist dann der erste Inklusions-Kindergarten in Bonn.

"Als klar war, dass wir nicht in dem Gebäudekubus bleiben können, haben wir uns überlegt, dass wir einen Schritt weitergehen - den Inklusionsschritt", sagt Dechant Wolfgang Picken. "Wir", das ist die Bürgerstiftung Rheinviertel, die das Pilotprojekt stemmen möchte. "Wir hoffen, dass wir im November mit dem Abriss beginnen können", sagt Picken.

Das eingeschossige Gebäude mit einer Fläche von rund 320 Quadratmetern, das in den 60er Jahren gebaut wurde, muss weichen, weil die Aufteilung laut Picken nicht den Vorgaben für einen Inklusionskindergarten entspricht. "Bisher betreuen wir Kinder ab zwei Jahren in zwei Gruppen. Jede Gruppe hat eineinhalb Räume zur Verfügung. In Zukunft werden es drei sein", so der Dechant.

Der neue Kindergarten wird größer als sein Vorgänger: Es gibt dann ein 365 Quadratmeter großes Erdgeschoss, ein 310 Quadratmeter großes Obergeschoss und eine 56,48 Quadratmeter große Spielterrasse. Es wird Küche und Therapieräume, Gruppen- und Ruhezimmer, neue sanitäre Anlagen, Platz für Personal und Leiterin Cordula Hambücher geben.

Gearbeitet wird mit einem offenen Konzept. Soll heißen, dass verschiedene Räume verschiedene Bestimmungen haben. So gibt es ein Atelier, in dem die Kinder mit einer Kunsttherapeutin arbeiten, sagt Kindergartenkoordinatorin Sonja Velten. Oder ein Zimmer, in dem Psychomotorik, der Schwerpunkt des Sonja-Kill-Kindergartens, auf dem Programm steht.

Insgesamt werden 1,5 Millionen Euro investiert. "Das Problem ist, dass Pläne im Bereich Inklusion nicht investiv gefördert werden", sagt Picken. So gibt es finanzielle Unterstützung erst, wenn der Betrieb läuft. Somit muss die Bürgerstiftung in Vorleistung treten. Hilfe kommt allerdings von der Stiftung der Aktion Mensch und der Stiftung Wohlfahrtspflege.

An öffentlicher Unterstützung kommen 153 000 Euro für die Einführung der U 3-Plätze. "Diese Hilfe plus die Mittel der Stiftungen sind rund ein Drittel der Baukosten", so Picken. Bleiben eine Million Euro, die die Bürgerstiftung aufbringen muss. Ein Teil kommt laut Picken aus den Rücklagen für Kindergärten, die extra für diese Zwecke gebildet worden sind. Weitere rund 120 000 Euro sind bereits an Spenden eingegangen. "Aber es bleibt noch gut was übrig", sagt Picken.

Der Dechant hofft, dass der Betrieb im Inklusionskindergarten zum nächsten Kindergartenjahr, am 1. September 2013, aufgenommen werden kann. Dann ist Platz für 45 Kinder (bisher sind es 40), die in drei Gruppen betreut werden.

Dazu gehören auch 15 Kinder unter drei Jahren und zwölf mit Behinderung. Laut Hambücher wird das Erziehungsteam ab November von vier auf fünf Personen aufgestockt. Außerdem werden therapeutische Mitarbeiter, etwa Physiotherapeuten und Logopäden, tätig sein. Das macht dann insgesamt 15 Mitarbeiter. "Durch die Erhöhung auf drei Gruppen, die U 3-Betreuung und die Inklusion ist der Personalschlüssel höher", sagt Picken.

Auch die Eltern der Kinder, die zurzeit in der Plittersdorfer Einrichtung betreut werden, stehen hinter dem Projekt, haben in Workshops mitgewirkt. außerdem wurden die Kinder nach ihren Wünschen gefragt, gaben zum Beispiel das gemeinsame Essen an. Deswegen wird es ein Kinderrestaurant geben. Ein weiterer Vorschlag war ein Baumhaus, in dem alle zusammen sein können.

Einer Chance für alle:

Ein erster Inklusionkindergarten für Bonn: Um dieses Projekt zu stemmen, kommt auf die Bürgerstiftung Rheinviertel einiges zu. So gibt es zwar öffentliche Zuschüsse zur Einrichtung von U 3-Plätzen, für die Inklusion fließen die Fördergelder aber erst, wenn der Betrieb läuft.

"Wenn die Inklusion zur verbindlichen Vorgabe geworden ist, die Umsetzung aber an einzelnen Trägern hängenbleibt, kann die Inklusion nicht aus dem Quark kommen", sagt Dechant Wolfgang Picken. Deswegen sei die Bürgerstiftung im Großraum Bonn wohl die erste, "die so etwas anpackt. Wirtschaftlich ist die Inklusion noch nicht zu Ende gedacht."

Doch das ist nicht die einzige Herausforderung, die es zu bewältigen gilt. Der Bedarf an Inklusionsplätzen sei da, sagt Kindergartenkoordinatorin Sonja Velten. Zurzeit gehe der Trend dahin, dass "Regelkindergärten die Kinder mit Behinderung aufnehmen".

Das sei eine große Herausforderung für die Erzieherinnen. Denn regelmäßige Unterstützung gibt es nicht. Soll heißen, dass etwa ein Kind mit Autismus zwar meist eine gewisse Stundenzahl eine therapeutische Hilfe zur Seite gestellt bekommt. Den Rest der Zeit aber ist die Unterstützung nicht gewährleistet.

"Wir müssen etwas für Eltern mit Kindern tun, die einen Förderbedarf haben", meint Picken. Zurzeit gibt es laut Velten 258 Plätze für Kinder mit Behinderungen in Bonn, zehn davon für unter Dreijährige. "66 Kinder stehen auf der Warteliste. Das heißt, es besteht eine Unterversorgung von rund 25 Prozent", sagt Velten.

Zuerst habe die Bürgerstiftung den Sonja-Kill-Kindergarten in eine integrative Einrichtung umwandeln wollen - mit einer integrativen und zwei Regelgruppen. Davon aber sei man abgekommen. "Häufig ist die integrative dann die “besondere„ Gruppe", sagt Picken. Das Problem: "Die Kinder wollen nichts Besonderes sein, sie wollen ein Teil sein."

Dann habe man sich die Frage gestellt, was Inklusion überhaupt ist. Das Ergebnis: "Es ist mehr, als nur Plätze für behinderte Kinder zu haben. Es ist eine Einrichtung für alle. Wir wollen allen Kindern den Zugang ermöglichen."

Jedes Kind erhält die Förderung, die es benötigt - und die anderen profitieren ebenfalls. Denn auch Kinder ohne Behinderung erhalten Therapiemöglichkeiten, zum Beispiel eine Sprachtherapie.

Eine Mutter habe erzählt, dass ihr Kind in einer integrativen Einrichtung sei. "Dort geht dann die Tür auf, und das Kind mit Förderbedarf muss raus zur Therapie", beschreibt Picken. Das soll es im Inklusions-Kindergarten nicht geben.

"Man wird nicht herausgenommen, man ist ein Teil. Der Physiotherapeut zum Beispiel kommt in die Gruppe und arbeitet mit allen Kindern." So lernten alle, das behinderte Kind werde zur Chance für die anderen. Ein wichtiger Punkt: "Es gibt wenig Menschen mit Behinderung, die anderen helfen", sagt Velten. "Sie stehen häufig am Ende der Hilfskette.

Diese Kette wollen wir durchbrechen." Denn eine Behinderung heiße nicht, dass der Mensch kein Talent habe. "Wir werfen einen Stein ins Wasser und hoffen, dass er Kreise zieht", sagt Picken. "Es geht nicht nur um die Frage der Behinderung.

Es geht auch um kulturelle und religiöse Unterschiede. Auch das ist Inklusion." Es gehe nicht um Gleichmacherei, wie Kritiker behaupten. "Gerade die Individualität und die Vielfalt werden gefördert." Nicht umsonst steht das Projekt unter dem Motto "Vielfalt leben".

Der Sonja-Kill-Kindergarten soll ein Vorreiter sein: "Wenn ein Kindergarten so ist, dann können auch die anderen nicht so bleiben", meint Picken. Das merke man schon jetzt bei gemeinsamen Treffen. Wichtig sei auch, dass auch die Schulen mit an Bord sind, etwa die Andreas- und die Beethovenschule. "Es braucht gute Beispiele", sagt Velten.

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