Interview zur Schmerzbehandlung Michael Küster spricht über Probleme, die in die Isolation führen können

Bad godesberg · Rund zwölf Millionen Menschen in Deutschland leiden unter chronischen Schmerzen, allein in NRW sind zweieinhalb Millionen Patienten betroffen. Doch nur ein Bruchteil von ihnen erhält eine wirksame Schmerztherapie, beklagt der Bonner Mediziner Dr. Michael Küster.

 Will Menschen, die unter Schmerzen leiden, helfen: Michael Küster.

Will Menschen, die unter Schmerzen leiden, helfen: Michael Küster.

Foto: Barbara Frommann

Anlässlich des deutschlandweiten Aktionstages gegen den Schmerz berichtet der Arzt über die Krankheit und Therapien.

Herr Dr. Küster, wann gilt jemand als Schmerzpatient?
Michael Küster: Anders als bei akuten Schmerzen, die in der Regel eine Warnfunktion haben, sprechen wir von chronischen Schmerzen, wenn sich der akute Schmerz verselbstständigt und über drei Monate bestehen bleibt.

In welcher Verfassung sind die Patienten, die zu Ihnen kommen?
Küster: Das ist natürlich unterschiedlich. Im Extremfall ist der Leidensdruck extrem hoch. Im Durchschnitt leiden die Betroffenen seit neun Jahren unter den Beschwerden und haben rund 20 Ärzte konsultiert, bis sie zu einem Schmerztherapeuten finden. Dies erzeugt viel Frustration.

Inwiefern sind dabei physische mit psychischen Belastungen verbunden?
Küster: Es kommt durchaus häufig vor, dass Patienten völlig verzweifelt ihr Leben fristen, weil die Belastung durch ihre Krankheit dazu geführt hat, dass sich Lebenspartner abgewendet haben, dass Arbeitsstellen verloren gingen. Die Folge solcher menschlichen Schicksale ist vielfach soziale Isolation. Dies gilt jedenfalls für schwerere Krankheitsbilder. So führt etwa die Fibromyalgie dazu, dass der Patient am ganzen Körper Schmerzen hat, begleitet von Schlafstörungen und letztlich auch Depression. Die Fibromyalgie wurde früher in vielen Fällen mit dem Begriff Rheuma beschrieben. Heute weiß man, dass 15 Prozent der Frauen und fünf Prozent der Männer davon betroffen sind. Allerdings handelt es sich um eine Erkrankung, für die es bei der richtigen Behandlung gute Therapiemöglichkeiten gibt.

Womit wir bei Ihrer Arbeit wären. Fachärzte gibt es doch reichlich. Warum bedarf es eines Schmerzzentrums wie Ihrem?
Küster: Hier ist zunächst der Umstand zu nennen, dass die Schmerztherapie bislang in der universitären Ausbildung vernachlässigt wurde. Dies ändert sich erst jetzt, auch der Facharzt für Schmerztherapie ist im Gespräch. Bislang aber stoßen viele Kollegen an ihre Grenzen. Zugleich besteht aber auch auf ärztlicher Seite ein Hemmnis, dies einzugestehen, weil es fälschlicherweise als "Kapitulation" verstanden wird.

Wie gehen Sie vor?
Küster: Wichtig ist der multimodale Ansatz. Das bedeutet, dass an der Therapie eines Patienten mehrere Kollegen beteiligt sind. In unserem Falle sind es der Schmerz-, der Physio- und der Psychotherapeut, die ihre Erkenntnisse zusammenführen. Wenn etwa die psychischen Beeinträchtigungen nicht mitbehandelt werden, wird die Heilung umso schwieriger. Ähnlich verhält es auf der physiologischen Seite. Mittels der internen Fallkompetenz im Schmerzzentrum gelingt es uns, ein engmaschiges Konzept für das Therapieprogramm zu knüpfen.

Was sind bei der Behandlung Ihre ersten Schritte?
Küster: Wir schauen uns zunächst die bisherigen Befunde an. Bei der ersten Untersuchung des Patienten ist es erforderlich, den gesamten Bewegungsapparat zu betrachten. Schmerzen in bestimmten Bereichen des Bewegungsapparates können aus weit entfernten Abschnitten der Wirbelsäule oder peripheren Gelenken stammen, daher ist die Analyse des gesamten Bewegungsapparates wichtig. Schließlich stellen wir ein Therapiekonzept auf.

Wie steht es um die Versorgung auf Ihrem Gebiet?
Küster: Etwa 5000 bis 6000 Schmerzmediziner wären in Deutschland erforderlich. Doch tatsächlich gibt es kaum mehr als 1000, Tendenz weiter fallend. In Bonn gibt es neben uns Dreien noch drei weitere niedergelassene Kollegen und zwei in Kliniken.

Woran liegt es?
Küster: Gründe sind überbordende Bürokratie, rigide Auflagen und eine ungenügende Honorierung. Wäre die Schmerzmedizin ein eigenständiges Fachgebiet, könnte der Rückgang mittels der Bedarfsplanung aufgefangen werden.

Zur Person:

Vor nicht ganz 50 Jahren wurde Dr. Michael Küster in Bonn geboren, wo er auch aufwuchs und zur Schule ging. Nach dem Abitur am Bad Godesberger Aloisiuskolleg studierte er in Bonn Medizin. Heute ist er Facharzt für Innere und Allgemeinmedizin sowie für Anästhesiologie und trägt fünf Zusatzbezeichnungen, darunter die für spezielle Schmerztherapie. Der Chef des Regionalen Schmerzzentrums am Weißdornweg auf dem Heiderhof veranstaltet im Januar 2014 zum siebten Mal den Bonner Schmerztag in der Bad Godesberger Stadthalle. Küster ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt mit der Familie in Beuel.

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