Godesberger Originale: Christel Zachert Ihr Buch brach das Tabu Krebs bei Kindern

BAD GODESBERG · Isabell war 16, als sie 1982 in Bonn an Krebs starb. Über ihren einjährigen Kampf gegen die Krankheit, die zahlreichen Chemotherapien, ihre Erfahrungen, Begegnungen und Gespräche in diesen zwölf Monaten führte sie Tagebuch.

"Das Tagebuch schreibe ich für euch", sagte Isabell damals ihrer Mutter Christel Zachert. Anfang der 90er Jahre verarbeitete die Mutter das Manuskript zu einem Buch. Es wurde unter dem Namen "Wir treffen uns wieder in meinem Paradies" ein Welterfolg.

Christel Zachert wurde 1940 in Berlin geboren: ein Kriegskind. Vier Kinder hatte ihre Mutter in diesen Kriegsjahren. "Ich denke manchmal, welchen Mut und welche Zukunftszuversicht unsere Eltern gehabt haben müssen, in jener schwierigen Zeit an Nachwuchs zu denken", fügt sie an. Der Vater wurde nicht eingezogen und die Familie überlebte 1945 in einer Holzhütte im Süden Berlins.

Dem Vater, "ein echter Pioniergeist", wie ihn Christel Zachert beschreibt, galt ihre Bewunderung, und als sie ihm einmal vorwarf, sie sei ja nur ein Mädchen und könne nie werden wie er, meinte er nur: "Mädchen, was die Jungs können, kannst du schon lange." Dies sollte auch der Titel ihrer Biographie werden, ihres zweiten Buchs.

Der Vater baute in den Nachkriegsjahren eine große Weinhandlung in Berlin auf. Christel Zachert machte eine kaufmännische Ausbildung, auch im Familienbetrieb, verlor aber ihre Eltern 1959 innerhalb von sechs Monaten. Der Vater starb an einem Schlaganfall, die Mutter an Krebs. Sie machte schon früh Bekanntschaft mit schweren Erkrankungen.

Eine Reise ins Ungewisse

Christel Zachert zog dann unmittelbar danach mit ihrem Mann, dem späteren Präsidenten des Bundeskriminalamtes, von Schöneberg nach Vilich, vom pulsierenden Leben Berlins in die ländliche Abgeschiedenheit der Schäl Sick. 408 Mark bekam sie als Vollwaisenrente und hiervon lebten sie "eher schlecht als recht", ohne Telefon, Fernsehen, Zeitung, geschweige denn Auto, während Hans-Ludwig, ihr Mann, noch fertig studierte.

Die Familie wuchs, zog nach Sankt Augustin in eine größere Bleibe und schließlich 1969 nach Bad Godesberg in die Friedrichallee, in eine geräumige, helle und in warmen Farbtönen gehaltene Wohnung, fußläufig zur Arbeitsstelle ihres Mannes. "Ich bin sehr pragmatisch. Ich überlege immer zuerst, was ist machbar, was ist realisierbar. Jeder hat Träume und kann sich ja alles noch viel schöner, viel besser vorstellen, aber ich möchte eben auch ein Ziel erreichen", erklärt Christel Zachert.

Drei Kinder zog sie in Bad Godesberg auf und teilte die Sorgen vieler Mütter von damals und heute: Gesundheitsprobleme, Schulprobleme, Entwicklungsstörungen. Am Tag nach der Einschulung ihres jüngsten Sohnes war sie auf dem Arbeitsamt und hatte bereits am Nachmittag eine Arbeitsstelle: erst im Deutschen Musikrat und später bei Dolorgiet in Rüngsdorf, wo sie bald in der neugegründeten Abteilung für Finanzen und Controlling unterkam.

Die klaren Zahlen sind ihre Welt. Bis 2010 war sie ebenfalls als selbstständige Finanzberaterin tätig und hatte große Freude an der Klärung vertrackter finanzieller Verhältnisse, doch vor allem an der damit einhergehenden Gelegenheit, "Einblicke in das Leben anderer Menschen zu haben und festzustellen, dass es in jeder Familie Schicksale gibt".

Diagnose: Krebs

Isabell, ihre mittlere Tochter, erkrankte 1981 an Krebs. "Da war mein Leben von einem Tag auf den nächsten ein anderes. Da haben wir wirklich mit vereinten Kräften, die ganze Familie, alles getan, um ihr zu helfen, zu kämpfen, dem Leben noch ein paar schöne Tage, schöne Stunden, schöne Minuten abzuringen. Das war sehr intensiv."

Ob sie Isabell sehr bald die Wahrheit gesagt habe? "Ja. Von Anfang an. Das kann man nur durchstehen, wenn man in Wahrheit miteinander lebt. Wir haben nie von Krebs gesprochen, sondern von einem bösartigen Tumor, an dem man auch sterben kann. Das wusste sie. Dass es ein sehr schwerer Tumor ist. Man hat ihr nichts Falsches versprochen, aber man hat ihr auch nie die Hoffnung genommen."

Isabell starb im November 1982. Sie selbst bestimmte den Zeitpunkt ihrer Sedierung. Sie verabschiedete sich noch bei vollem Bewusstsein von jedem einzelnen Familienmitglied. Und in diesen Stunden, als die Familie die ins Koma versetzte Isabell begleitete, öffnete Christel Zachert zum ersten Mal das Tagebuch ihrer Tochter und las es laut vor.

Tabubruch

Zehn Jahre brauchte die Mutter, um Abstand zu gewinnen, doch dann nur zehn Tage, um das Tagebuch in Buchform umzusetzen. Es erschien 1992 beim Lübbe Verlag und wurde in über 30 Sprachen übersetzt. "Dieses Buch hat enorm viel bewirkt. Auch, dass dieses Tabu Krebs gebrochen wurde", sagt die Autorin. In den 1980er Jahren habe man Krebs bei Kindern nicht erwähnen dürfen.

"Durch das Buch wurde dann darüber gesprochen, auch in den Familien." Isabells Tagebuch führte zum Buch, das Buch zur Stiftung. Mit dem Erlös aus dem Verkauf und Spenden gründete Christel Zachert 1994 mit rund 50 000 Mark die Isabell-Zachert-Stiftung, eine private Treuhandstiftung unter dem Dach der Deutschen Kinderkrebsstiftung. Weitere drei Bücher und zahlreiche Aktivitäten, wie die Besteigung des Kilimandscharo 2007 oder die jährlichen, gemeinsam mit der International Police Association (IPA) durchgeführten Fahrradtouren, erbrachten beträchtliche Sponsorengelder und Spenden, dank derer das Stammkapital auf 1,5 Millionen Euro anstieg. Am Sonntag ist eine einwöchige IPA-Radtour in Münster gestartet.

Mit einem Großteil dieser Mittel wird das Waldpiraten-Camp bei Heidelberg finanziert. Diese besondere Urlaubsmöglichkeit für krebskranke Kinder bringt Christel Zachert ins Schwärmen: "Sie sollten mal sehen, wie die Kinder dort aufleben. Ein Erlebnisurlaub: Zehn Tage, die sie mit Gleichgesinnten und das gleiche Schicksal teilenden Kindern erleben, mit allen Schönheiten und allen Risiken. Sie machen Dinge, an die die Kinder in einer Therapie nie denken können - und dann stehen sie auch die nächste Therapie durch." Die Mutter weiß: "Das wäre Isabells Traum gewesen, wenn es das damals gegeben hätte."

Bücher und Stiftung

Vier Bücher hat Christel Zachert geschrieben. Sie sind alle im Lübbe Verlag erschienen und auch als E-Book erhältlich:

  • Wir treffen uns wieder in meinem Paradies, 1992, (jetzt auch als Hörbuch erschienen)
  • Mädchen, was die Jungs können, kannst du schon lange! 1999 (Autobiografie)
  • Puppchen, aus dir wird noch was, 2002 (die Biografie als Taschenbuch)
  • Mein Weg auf den Kilimandscharo, 2009

Auf www.kinderkrebsstiftung.de gibt es mehr Informationen über die Isabell-Zachert-Stiftung und das Waldpiraten-Camp.

GA-Serie

In der Serie Godesberger Originale stellen wir ganz unterschiedliche Menschen aus dem Stadtbezirk vor. Die Porträtierten müssen nicht Ur-Godesberger sein, um zum Godesberger Original zu werden. Originale können auch Menschen mit originellen Ideen sein oder Godesberger, die wegen ihrer besonderen Tätigkeit bekannt sind.

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