Interview mit Pfarrerin Dagmar Müller Gesellschaftlicher Klimawandel durch Populismus

Bad Godesberg · Dagmar Müller, Leitende Pfarrerin der Evangelischen Frauenhilfe im Rheinland, sieht viele Aufgaben für ihren Verband. Beim doppelten Thema Klimawandel geht es auch um die Erderwärmung.

 Pfarrerin Dagmar Müller leitet die rheinische Frauenhilfe.

Pfarrerin Dagmar Müller leitet die rheinische Frauenhilfe.

Foto: Frauenhilfe

Was genau ist Ihre Aufgabe?

Dagmar Müller: Ich bin verantwortlich für die theologische Ausrichtung unseres Frauenverbands, für die Veröffentlichungen und Veranstaltungen. Als hauptamtlicher Vorstand bin ich zuständig für die Verwaltung des Vermögens, für Rechtsgeschäfte und Baumaßnahmen. Als Geschäftsführerin unserer diakonischen Einrichtungen, die in einer gGmbH organisiert sind, stehe ich für den wirtschaftlichen Erfolg und die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen. Die Aufgabe der letzten Jahre war die Konsolidierung der Finanzen in der gGmbH, was wir als Team erfolgreich bewältigt haben.

Unter Frauenhilfe kann man sich heute kaum etwas vorstellen. Welche Frauen sind organisiert?

Müller: Frauen der Frauenhilfe machen in den Kirchengemeinden Besuchs- und andere Dienste oder arbeiten in der Flüchtlingsarbeit. Es gibt aber auch viele Gruppen, die miteinander alt geworden sind und gemeinsam Vorträge hören und Andachten feiern. Heute kommen aber auch Frauen gezielt zu Veranstaltungen und wollen sich keiner Gruppe anschließen.

Wie haben Sie sich nach Ihrem Mitgliederschwund neu aufgestellt?

Müller: Der Wandel ist in vollem Gange – wir entwickeln neue Veranstaltungsformen wie Pilgertage, Frauenkirchentage und Seminare zu politischen Themen und Frauenförderung. In diesem Jahr ist der Klimawandel unser großes Thema. Wir bieten Veranstaltungen, wie man den populistischen Parolen begegnen kann, aber auch, wie unser Leben ganz konkret nachhaltiger wird. Die größte Herausforderung ist, mit nur sechs Mitarbeiterinnen – fast alle in Teilzeit – ein Konzept für die gesamte Landeskirche zu entwickeln. Wir sehen unsere Arbeit als Angebot für alle evangelischen Frauen im Rheinland, wir sind gut vernetzt.

Was genau leistet der Verband?

Müller: Wir erreichen mit unseren offenen Bildungsveranstaltungen in Bad Godesberg und im Rheinland im Jahr 10 000 Frauen und Männer. Mit von uns erstellten Materialien erreichen wir noch wesentlich mehr Menschen. Sie unterstützen in den Gemeinden bei vielen Veranstaltungen.

Stichwort Mutter und Kind: Wie engagieren Sie sich für Familien?

Müller: Ganz konkret: In unsere Mutter-Kind-Klinik auf Spiekeroog erfahren jedes Jahr über 600 Familien drei Wochen der Heilung und Vorsorge. Die Klinik ist eine Vorsorgeeinrichtung zur Durchführung von Mutter-Kind-Kuren. Wir sind Mitglied beim Müttergenesungswerk, noch so ein Name, der uns antiquiert erscheint, der aber für eine hohe Qualität der Maßnahmen steht. Kostenträger sind die Krankenkassen. Auch die Arbeit unserer Tagespflege in Godesberg unterstützt Familien, die dementiell veränderte Angehörige zu Hause betreuen.

Stichwort Integration: Die Frauenhilfe arbeitet seit über 50 Jahren mit Migrantinnen.

Müller: Wir bieten niedrigschwellige Sprachkurse. Da können dann schon mal 15 Frauen aus zwölf Ländern gemeinsam Deutsch, Gemeinschaft und Selbstständigkeit lernen. Wir gehen mit Sprachkursen auch direkt in Schulen. Zudem bieten wir Integrationskurse. Auch unser Quartiersmanagement in Lannesdorf bringt Migranten und „Ureinwohner“ zusammen.

Stichwort Förderung von Frauen in Beruf und Wiedereinstieg: Wie engagieren Sie sich heute?

Müller: Wir bieten Kurse an, die Frauen in ihrer beruflichen und persönlichen Entwicklung fördern. Dies geschieht im Netzwerk mit den Arbeitsagenturen und Gleichstellungsbeauftragten. Nach der Aufbauphase wird sich da in unserer Einrichtung noch einiges entwickeln.

Ihr Verband arbeitet auch politisch. Wo sehen Sie die aktuellen Themen?

Müller: Im Klimawandel. Und zwar sowohl in der Frage nach der Zukunft des Planeten, da habe ich ein großes Unverständnis für das Nichthandeln der Regierenden. Wir sehen aber auch den gesellschaftlichen Klimawandel durch die Hemmungslosigkeit populistischer Parolen. Mir ist zudem wichtig, dass der Paragraf 219a abgeschafft wird. Ich bin selbst Schwangerschaftskonfliktberaterin, und die Herabwürdigung von Frauen in Notlagen ist in der gegenwärtigen Diskussion zutiefst beschämend. Ein Dauerthema bleibt die soziale Gerechtigkeit in unserem Land.

Und wo geht es mit Ihrem Verband in einer sich wandelnden evangelischen Kirche hin?

Müller: Ich hoffe, dass unsere Kirche in ihrem eigenen massiven Strukturwandel versteht, dass Verbände wie die Frauenhilfe Struktur und Netzwerke bieten, die in Zukunft viel von dem auffangen könnten, was Gemeinden nicht mehr leisten können. In zehn bis 15 Jahren wird die Evangelische Kirche im Rheinland 50 Prozent weniger Pfarrstellen haben. Aber die Verbände fördern zielgruppenorientiert das ehrenamtliche Engagement. Kirche muss neu gedacht werden, wenn die Ortsgemeinde nicht mehr funktioniert. Die Kirche der Zukunft wird wieder mehr eine Kirche der Ehrenamtlichen sein und sein müssen. Die Frauenhilfe hat Geschäftsfelder, die weiter bestehen können. Gerade bauen wir ja das Haus der Frauenhilfe in Lannesdorf zu einem Wohnprojekt „Gemeinsam leben im Alter“ mit 62 barrierefreien Wohnungen um.

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