Interview zu Extremismus „Der Islam steht immer im Mittelpunkt“

Bonn · Der Verein „Haus der Generationen“ ist eine Anlaufstelle für muslimische Jugendliche. Gemeinsam mit der Otto Benecke Stiftung veranstaltet er im Dezember das „Forum Migration“. Mit der Vorsitzenden Sanaa Elaidi und den Pädagogen Julia Menzhausen und Elias Malek Yahyaoui sprach Dennis Scherer.

 Bei einer Wahlkampfkundgebung der Partei Pro NRW kam es 2012 in Lannesdorf zu schweren Ausschreitungen radikaler Salafisten.

Bei einer Wahlkampfkundgebung der Partei Pro NRW kam es 2012 in Lannesdorf zu schweren Ausschreitungen radikaler Salafisten.

Foto: Roland Kohls

Frau Elaidi, haben Sie Angst als Muslima in Deutschland?

Sanaa Elaidi: Es kommt darauf an, wo ich mich befinde. In Mehlem fühle ich mich wohl.

Werden Sie manchmal angefeindet? Sie tragen ja auch Kopftuch.

Elaidi: Manchmal schon, das muss ich ganz offen sagen. Von Mitbürgern kommt dann: Sie sind in Deutschland. Was soll das?
Julia Menzhausen: Man braucht zum Teil ein dickes Fell. Ich habe auch viele positive Erfahrungen gemacht. Ich bin allerdings auch hier mal zu Arbeit rein, da kam ein Mann mit seiner Tochter vorbei und sagte zu ihr: Schon wieder eine von denen. Das tut dann schon weh im Herzen. Davon muss man sich innerlich distanzieren.

Haben Sie den Eindruck, dass islamfeindliche Einstellungen in Deutschland zunehmen?

Elaidi: Das ist in der Tat so. Der Islam steht als Religion immer im Mittelpunkt. Wenn ein Krimineller etwas anstellt, heißt es direkt: Das war der Muslim. Dass bei sowas alle Muslime in einen Topf geworfen werden, tut weh.
Elias Malek Yahyaoui: Bei einem Terroranschlag werden alle Muslime dann gleich als Terroristen abgestempelt. Der Einfluss der Medien ist in solchen Fällen nicht zu unterschätzen.

Woran liegt es in Ihren Augen, dass diese Tendenzen stärker werden?

Elaidi: Es fehlt an Aufklärung. Und es liegt daran, dass man sich nicht ganz genau geeinigt hat, was Integration bedeutet.

Was bedeutet das für Sie?

Elaidi: Sich der Gesellschaft zugehörig zu fühlen. Nicht nur von den Rechten einer Gesellschaft zu profitieren, sondern auch die Pflichten wahrzunehmen: Etwa dafür zu sorgen, dass meine Kinder in der Schule mitkommen, sie dazu zu erziehen, einen Beruf auszuüben. Das ist Integration.

Um Bildung und Extremismus-Prävention geht es auch in ihrem Projekt. Wie sieht das genau aus?

Elaidi: Wir helfen Jugendlichen, die Gesellschaft mitzugestalten und vermitteln Bildung in alle Richtungen – von Rechtsstaat bis Religion. Da wollen wir zum Beispiel nicht, dass sich die Jugendlichen ihre Infos von irgendeinem Möchtegern-Gelehrten holen.

Die verbreiten ihre Ansichten ja auch im Netz. Welche Rolle spielt es bei der Radikalisierung?

Elaidi: Die Jugendlichen suchen Sinn. Ihnen fehlt oft eine Identität. Schulen und Eltern müssen da noch mehr zusammenarbeiten. Lehrer sagen den Jugendlichen manchmal: Du wirst es niemals schaffen. Die suchen dann etwas, woran sie sich festhalten können und wo sie dazu gehören. Sie gehen ins Internet und versuchen, ihre Religion zu verstehen – verstehen sie aber nicht richtig. Ich bin selber Mutter von fünf Kindern. Manches, was auf Youtube zu finden ist, ist schrecklich. Da kann man oft gar nicht von Wissen sprechen.

Wie gehen Sie dann damit um?

Yahyaoui: Wir sprechen mit den Jugendlichen gezielt über Koran-Verse die Extremisten benutzen. „Töte die Ungläubigen“ ist so einer, der aber total aus dem Kontext gerissen wurde. Wir besprechen den historischen Hintergrund und betrachten den Kontext. Das macht die Jugendlichen weniger anfällig für Radikalisierung. Sie können jederzeit mit ihren religiösen Fragen zu uns kommen.

Menzhausen: Bei uns sollen sie lernen, sowas zu hinterfragen. Und zu fragen: Was sind die Quellen? Extremismus beginnt immer da, wo man andere Überzeugungen oder  einen anderen Glauben nicht respektiert – oder sogar auf sie herabschaut.

Er geht derzeit oft um den Umgang mit IS-Rückkehrern Wie sehen Sie das?

Elaidi: Man muss ihnen eine helfende Hand reichen, sich bemühen, dass diese Leute schnell Fuß fassen und das verarbeiten, was sie erlebt haben. Wir machen oft einen Fehler, wenn wir uns distanzieren. Natürlich distanzieren wir uns von den schlechten Taten, aber nicht von den Menschen selbst. Wenn wir ihnen nicht helfen, wer soll es dann machen?
Menzhausen: Wenn man sie fallen lässt, passiert dasselbe vielleicht wieder.

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