Interview mit Birgit Ratz "Die Demenz-WG läuft hervorragend"

MEHLEM · Der Verein "LeA - Lebensqualität im Alter" hat sich neu aufgestellt. Seit 2009 initiiert und begleitet er hauptsächlich ehrenamtlich gemeinschaftliche Wohnprojekte für Menschen mit Demenz in Bonn und Umgebung. Mit der Vorsitzenden Birgit Ratz sprach Ebba Hagenberg-Miliu.

 Mit ihrem Team begleitet sie ehrenamtlich gemeinschaftliche Wohnprojekte für Menschen mit Demenz: Birgit Ratz.

Mit ihrem Team begleitet sie ehrenamtlich gemeinschaftliche Wohnprojekte für Menschen mit Demenz: Birgit Ratz.

Foto: Barbara Frommann

Der LeA-Vorstand wurde gerade neu gewählt. Wer ist mit im Boot?
Birgit Ratz: Christiane Eberhardt ist jetzt zweite Vorsitzende. Als Angehörige einer Bewohnerin unserer Demenz-WG vertritt sie energisch die Betroffenenperspektive des bürgerschaftlich orientierten Vereins. Schriftführerin Anne Riegel bringt als Ex-Vorsitzende des Tierschutzvereins, Bridgespielerin und seit 2011 ehrenamtliche Musikerin im LeA-Treff ebenfalls die besten Voraussetzungen mit. Als "Wächterin" der Finanzen wurde Rechtsanwältin Grit Beyreuther wieder gewählt. Und ich wurde als erste Vorsitzende im Amt bestätigt (lacht). Es gab keinen Gegenkandidaten.

LeA will gemeinschaftliche Wohnprojekte für Menschen mit Demenz in Bonn und Umgebung anschieben. Wo stehen Sie aktuell?Ratz: Absichtserklärung hier und großer Zuspruch für die Idee da - wir standen bis Juli kurz davor, ein Riesen-Wohnprojekt in Alfter zu stemmen, in das wir viel Zeit und intensive Diskussionen investiert haben. Letztlich scheiterte es an der Bank, der wir nicht solvent genug waren. Entscheidend im Nachhinein war für uns, dass die Auseinandersetzung auch unser Selbstverständnis geschärft hat und wir noch mal genau darüber nachgedacht haben, wie unsere Ansprüche mit den gesetzten ökonomischen Zwängen und Rahmenbedingungen einhergehen können. Es gibt also viel zu tun!

Und wo wollen Sie hin? Stichwort alternde Gesellschaft.
Ratz: Die Zahl der Demenzkranken wird weiter steigen. Zukünftig werden wir weder genug Fachkräfte noch genug Geld für das System haben, wenn alles so bleibt, wie es ist. Was gebraucht wird, sind Wohnformen, die es den Menschen ermöglichen, so lange wie möglich in ihrem vertrauten Stadtteil zu bleiben. Wir brauchen eine ganz andere Struktur der pflegerischen Versorgung. Gleichzeitig sollten sich die Leute rechtzeitig ums eigene Altern kümmern. Dazu gehört die Frage, wie ich leben möchte, wenn ich alt bin, und wer es bezahlt. Professionelle Pflege und Betreuung kosten Geld - die Kosten für den Pflegebedarf liegen in der Regel über den Beträgen der Pflegekasse. Ach ja, die osteuropäischen Haushaltshilfen werden die Pflegemisere nicht retten.

Sie sagen, die erste Demenz-Wohngemeinschaft Bonns, also Ihre in Pennenfeld, hat richtig Fahrt aufgenommen?
Ratz: Die WG läuft hervorragend, weil wir uns jeder noch so schwierigen Situation stellen und versuchen, gemeinsam mit Angehörigen, Betreuern und Pflegenden eine Lösung zu finden. Wir bieten den Bewohnerinnen ein angemessenes familiäres Umfeld, einen beschützenden Rahmen und viel Freiheit, möglichst so "wunderlich" sein zu können, wie es eben geht mit Demenz. Die Damen leben seit mehr als zwei Jahren zusammen. Der zunehmende Pflege- und Unterstützungsbedarf ist für alle eine Herausforderung, aber wir meistern sie mit Kreativität, Gelassenheit und Flexibilität der LeA-Betreuer und mit professioneller pflegerischer Unterstützung durch das Caritas-Team. Die WG-Bewohnerinnen werden hausärztlich betreut, nehmen Angebote des Nachbarschaftstreffs an. Auch durch das Gartenprojekt gibt es Begegnungen mit den Anwohnern. Wir sind im Stadtteil etabliert und respektiert.

Was macht der Beueler LeA-Treff an der Wolfsburg?
Ratz: Ich freue mich jedes Mal über die tollen Betreuungsnachmittage, die von den Teams mit abwechslungsreichem Programm organisiert werden. Zum Schluss werden die Gäste und Angehörigen herzlich verabschiedet und kommen gerne wieder. Neben den Gruppen, die begleitet werden, gibt es viele Arbeiten drum herum, die auch von Ehrenamtlichen erledigt werden. Alle fühlen sich der LeA-Gemeinschaft verbunden. Viele sind von Anfang an seit 2009 dabei.

Sind konkrete neue Projekte geplant?
Ratz: Wir bauen eine dritte Gruppe für Menschen mit beginnender Demenz in Schwarzrheindorf auf. Außerdem versuchen wir, eine Gruppe Betroffener auf die Beine zu stellen. Im Nachbarschaftszentrum Pennenfeld bieten wir einen Kochen- und Garten-LeA-Treff an. Das sind Angebote, die von den Pflegekassen bezuschusst werden.

Wie sieht es finanziell bei LeA aus?
Ratz: Die LeA-WG ist kein Billigmodell. Das vergangene Jahr haben wir mit einem Defizit abgeschlossen, das wir dank großzügiger Spenden auffangen konnten. 2013 sieht es durch das Pflegeneuausrichtungsgesetz besser aus. Dennoch ist es eng. Da dürfen keine Zimmer leer stehen oder sonstige außergewöhnliche Kosten auf uns zukommen. Der LeA-Treff in Schwarzrheindorf hat sich dank eines Zuschusses der Bonner Stiftung Altenhilfe weiter konsolidiert. Die Gästezahlen steigen.

Sie sagen, Sie brauchen immer wieder neue Ehrenamtliche?
Ratz: Die Betreuungsarbeit ist anstrengend. Deshalb bezahlen wir auch eine kleine Aufwandpauschale. Die Helfer müssen belastbar sein. Dennoch, das Wesentlichste ist die positive Einstellung zum Altern und zu Alten. Wer sich hier angesprochen fühlt, ist jederzeit willkommen. In der WG und im LeA-Teff suchen wir aktuell Ersatz für je zwei Betreuer. Es ist unglaublich schwer, jemanden für ehrenamtliche Vorstandsposten zu gewinnen. Weitere Unterstützung, z um Beispiel für die Pressearbeit, wäre wunderbar.

Hat denn das Ehrenamt heutzutage überhaupt eine Zukunft?
Ratz: Ja. Die Stadt Bonn unterstützt und fördert es mit der Ehrenamtskarte oder der Freiwilligenbörse und mit diversen Veranstaltungen und Preisen. Wichtig für uns ist, dass sich Menschen finden, die eine gemeinsame Sache verbindet, und das ist in unserem Fall die Demenz - die Liebe für den Kranken, Fürsorge, das Helfen. Wir haben seit Juni mit Birgit Steinfath eine Ehrenamtskoordinatorin. Einer muss die Fäden in der Hand haben, muss etwas von Projektmanagement verstehen und die richtigen Menschen zueinander bringen. Die Stelle war dringend notwendig, damit sich der Verein weiterentwickelt.

Zur Person

Birgit Ratz (53), verheiratet und Mutter zweier Kinder, ist Krankenschwester und Diplom-Pflegewissenschaftlerin. Sie arbeitet hauptamtlich beim Caritasverband Bonn. Ehrenamtlich ist sie seit 2007 Gründungsmitglied und Vorsitzende des Vereins "LeA - Lebensqualität" im Alter. Kontakt: www.lea-bonn.de.

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