Interview über Tod und Abschiednehmen Christel und Hans-Ludwig Zachert: "Krebs im Kindesalter ist kein Tabu mehr"

Am 17. November 1982 starb Isabell Zachert aus Bad Godesberg im Alter von 16 Jahren an Krebs. Christel Zachert veröffentlichte zehn Jahre später das Buch "Wir treffen uns wieder in meinem Paradies", basierend auf dem Tagebuch, das ihre Tochter in den letzten Tagen vor ihrem Tod führte. 1994 gründete die Mutter die Isabell-Zachert-Stiftung, Treuhandstiftung der deutschen Kinderkrebsstiftung, für tumorerkrankte Kinder.

 Mit der Tochter stets verbunden: Christel und Hans-Ludwig zu Hause vor einem Bild Isabells.

Mit der Tochter stets verbunden: Christel und Hans-Ludwig zu Hause vor einem Bild Isabells.

Anlässlich des 30. Todestages von Isabell geben Franz mit Christel und Hans-Ludwig Zachert ein Interview.

Wie geht es Ihnen in diesen Tagen?
Christel Zachert: Wir denken viel an unsere Tochter zurück. Die letzten Tage vor ihrem Tod waren für unsere Familie die intensivsten unseres Lebens. Morgen wird die Familie beisammen sein, dies war auch der Wunsch unserer beiden Söhne.

Wie denken Sie an Isabell zurück?
Hans-Ludwig Zachert: Isabell war willensstark und sportlich, im Tennis war sie Clubmeisterin. Im Verlauf ihrer Krankheit ist diese starke Persönlichkeit über sich hinausgewachsen. Aus dem Kind wurde eine reife Frau.

Können Sie das näher beschreiben?
Christel Zachert: Isabell hat gekämpft und zehn Chemotherapien durchgestanden bis sie gegen alle damals zur Verfügung stehenden Therapien resistent war. Als sie das wusste, war es Isabell selbst, die uns auf ihren Tod vorbereitet hat. Sie sagte: Ich lege mein Schicksal jetzt in Gottes Hände.

Wie hat der Rest der Familie diese Situation bestanden?
Hans-Ludwig Zachert: Kein Zweifel, das war die größte Katastrophe unserer Familie. Aber so leidvoll sich das alles anhört: Die Souveränität unserer Tochter hat dazu geführt, dass wir nicht zusammengebrochen sind.

Wie haben Sie voneinander Abschied genommen?
Christel Zachert: Wir sind in dem Bewusstsein auseinandergegangen, dass wir uns wiedersehen werden, in welcher Form auch immer. Auf diese Weise bleibt man miteinander verbunden.

Auch in Ihrem Buch bleibt Ihre Tochter gegenwärtig...
Christel Zachert: Ja, unser Buch hat inzwischen weltweite Wirkung erzielt. Inzwischen wurde es in 30 Sprachen übersetzt, die 16. Auflage ist in Vorbereitung, demnächst wird es auch als E-Book erhältlich sein. Vor allem aber hat es das Thema "Krebs im Kindesalter" aus der Tabuzone geholt.

Inwiefern?
Hans-Ludwig Zachert: In den 80er Jahren war Krebs im Kindesalter noch ein Tabu. Man sprach nicht darüber sondern war froh, wenn man selbst nicht betroffen war. Über Mitschüler, die plötzlich fehlten, wurde verlegen geschwiegen. In der Schule wurde Isabell anfangs teilweise gemieden, weil ihre Krankheit für ansteckend gehalten wurde. Bekannte wechselten vor uns aus Berührungsangst die Straßenseite, weil sie nicht wussten, was sie uns sagen sollten. Kaum jemand konnte damit umgehen. Hier hat auch das Buch zu vielen Gesprächen angeregt.

Welche Veränderungen beobachten Sie in den Kliniken?
Christel Zachert: Die ganze Onkologie war in den 80er Jahren noch nicht auf krebskranke Kinder eingestellt. In einer Kölner Klinik lag Isabell mit einer uralten Frau auf dem Zimmer, die im Sterben lag. So etwas würde es heute nicht mehr geben, was natürlich nicht das Verdienst unseres Buches ist, sondern vor allem mit der medizinischen Entwicklung zusammenhängt.
Hans-Ludwig Zachert: Es gibt viele positive Entwicklungen. So ist heute die Therapie speziell auf die jeweilige Erkrankung der Kinder ausgerichtet. Nebenwirkungen, etwa bei Medikamenten, sind deutlich reduziert worden. Was dazu geführt hat, dass die Heilungschancen von damals 20 auf heute 80 Prozent gestiegen sind. Eine ganz wichtige Rolle spielen auch die regionalen Elternvereine, die sich flächendeckend organisiert haben.

Was macht diese Initiativen besonders wertvoll?
Hans-Ludwig Zachert: Das Thema ist im positiven Sinne ein Öffentliches geworden. Man lebt mit dem Phänomen und spricht darüber. Wir haben 1982 Eltern erlebt, die es nicht fertig brachten, ihre kranken Kinder zu besuchen, weil sie mit der Situation nicht umzugehen wussten. Heute erhalten sie psychologische Hilfe.
Christel Zachert: Kinder bedürfen einer anderen, persönlicheren Betreuung als Erwachsene, damit ihre seelische Verfassung trotz der Krankheit stabil bleibt. Das können die Mediziner alleine nicht schaffen. Hier sind die Privatinitiativen und die ambulanten Dienste eine wertvolle Hilfe. Isabell musste damals sehr lange in der Klinik bleiben. Heute können Kinder viel häufiger und länger nach Hause. Das erhöht die Lebensqualität aller Beteiligten und spart nebenbei noch Behandlungskosten.

Was hat sich noch verbessert?
Hans-Ludwig Zachert: Besonders die gesunden Geschwister leiden häufig, wenn die Eltern voll und ganz auf das kranke Kind fixiert sind. Hier helfen Elternhäuser, in die man auch die gesunden Geschwister mitbringen kann. Wir waren abwechselnd Tag für Tag ununterbrochen bei unserer Tochter und haben uns beide teilweise wochenlang nicht gemeinsam zu Hause aufgehalten. Einmal habe ich mich selbst in ein Zweibettzimmer neben meiner Tochter "eingeliefert" und mich bei der Gelegenheit durchchecken lassen.

Wie hat Ihre Familie all das verkraftet?
Christel Zachert: Unsere Jungs wurden in dieser Zeit von einer starken Großfamilie und guten Freunden aufgefangen. Uns wurde eine breite Unterstützung zuteil. Aber solche Rahmenbedingungen müssen Sie erst einmal haben.
Hans-Ludwig Zachert: Und: Über ein solches Netzwerk können Sie nur verfügen, wenn Sie vorher offen über die Situation gesprochen haben.

Welches Gefühl dominiert heute bei Ihnen?
Christel Zachert: Wir sind froh und dankbar, dass wir Isabell 16 Jahre hatten. Ich empfinde großen Trost, dass aus Isabells Stärke und ihrem Tagebuch eine Stiftung gewachsen ist, die kranken Kindern Lebensmut, Selbstbewusstsein und Freude schenkt. Das hätte sie toll gefunden, auf diese Weise lebt Isabell weiter.

Zur Person:
Seit ihrer Hochzeit 1961 leben Christel und Hans-Ludwig Zachert in Bad Godesberg. Hans-Ludwig Zachert war von 1990 bis 1996 Präsident des Bundeskriminalamtes. Das von Christel Zachert 1993 veröffentlichte Buch "Wir treffen uns wieder in meinem Paradies" über die Krebserkrankung und den Tod der Tochter 1982 wurde ein Bestseller, ebenso ihr Buch "Mein Weg auf den Kilimandscharo". Erfolgreich arbeitet die von ihr gegründete Stiftung ( www.isabell-zachert-stiftung.de). Das Ehepaar hat zudem zwei Söhne und drei Enkelkinder.

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