Herzenssprechstunden in Bad Godesberg Bürger im Dialog

BONN · Es ist ein Versuchsballon: In Bad Godesberg laufen die ersten Runden eines neuen, offenen Gesprächsformats. Veranstalter ist das Generationennetzwerk. Ein Erfahrungsbericht

 Fotos als Futter für die Fantasie breitet die Moderatorin zu Beginn der Treffen auf dem Tisch aus.

Fotos als Futter für die Fantasie breitet die Moderatorin zu Beginn der Treffen auf dem Tisch aus.

Foto: Cynthia Rühmekorf

Ein Nachmittag im Nachbarschaftszentrum der Awo in Friesdorf. „Ich weiß nicht mehr weiter“, sagt die Frau. Sie schaffe es nicht, sich für jeden Arztbesuch ihrer Eltern freizunehmen. Sie sucht händeringend nach netten Menschen, die für die alten Leute, die kaum Deutsch können, ab und zu ins Arabische übersetzen. Nachdenken am langen Tisch der ersten Herzenssprechstunde. Dem Herrn vis-à-vis brennt anderes auf den Nägeln. „Wir brauchen für Senioren endlich Sitzbänke an den Bushaltestellen der Klufterstraße.“

Am Tisch wird Zustimmung gemurmelt. Sein Sitznachbar legt nach. Ihn regen die gefährlichen Überwege an der viel befahrenen Servatiusstraße auf. „Da kommt man nur wie ein Hase auf der Flucht rüber.“ Der Ortsteil brauche eine neue Verkehrsinsel. Und das „Friesi“ suche doch möglichst viele Nutzer, verschafft sich nun eine junge muslimische Mutter Gehör. Warum biete das Freibad nicht regelmäßig vormittags einen Termin nur für Frauen und Kinder an?

Es hagelt bei dieser ersten Herzenssprechstunde im Godesberger Norden Wünsche von jung und alt. Und ich als Moderatorin komme beim Mitschreiben kaum mit. Vor einem halben Jahr habe ich mich spontan bereit erklärt, mit in dieses nagelneue Gesprächsformat einzusteigen.

Enthusiastisch hatte mich das Generationennetzwerk Bad Godesberg, also der Zusammenschluss sämtlicher Begegnungsstätten mit den Quartiersmanagements und dem Awo-Fachdienst für Integration, dafür geworben: Das im Rahmen des NRW-Programms „Erfahrungswissen für Initiativen“ entwickelte monatliche Gesprächsformat sei doch ideal, sagt Cornelia Nicolaus vom Haus am Redoutenpark. Also musste dieses, wie die Fachliteratur es ausdrückt, „niederschwellige Angebot“ für die hiesigen Verhältnisse mit Leben gefüllt werden. Wir zerbrachen uns die Köpfe.

Der Ausgangspunkt war klar – Kirchengemeinden, Parteien, Vereine, sie alle können ein Lied davon singen: Der Deutsche meidet zunehmend das verbindliche und dauerhafte Ehrenamt. Bürger engagieren sich lieber projektbezogen: im Kindergarten, im Kampf um OGS-Betreuungsplätze oder auch in der Flüchtlingshilfe. Derweil mangelt es den traditionellen Institutionen an Nachwuchs.

Die Bürger von heute picken sich genau die Initiative heraus, für die sie ihr Herzblut zu geben bereit sind: ohne Mitgliedschaft, ohne dauerhafte Verantwortung. Was es andererseits auch wieder schwerer macht, Kontakte zu knüpfen und fürs lokale Wunschprojekt die nötigen Mitstreiter zu finden.

Hier setzen die Herzenssprechstunden an, die inzwischen bundesweit angelaufen sind. „Manchmal sind es die kleinen, unaufgeregten Projekte, die ohne großen finanziellen Aufwand realisiert werden können, aber einen starken Impuls geben“, schreibt das Netzwerk von Aktiven aus Düsseldorf und Paderborn, das sich für die Projektidee vom Buch „Die verlorene Kunst des Heilens“ des US-Kardiologen und Friedensnobelpreisträgers Bernhard Lown inspirieren ließ.

Die Aktiven des Godesberger Generationennetzwerks suchten nach Wegen, Struktur in die ersten Treffen zu bringen. Wir einigten uns, stimulierende Fotos auszulegen: Ich breite also bei jeder Sprechstunde Dutzende Bilder von politisch, lokal wie zwischenmenschlich Freudigem oder Problematischem auf dem Tisch aus. Und sage gleich zu Beginn des ersten Treffens: „Es gibt kein vorgegebenes Thema. Allein Sie, die Gäste, bestimmen, worüber wir sprechen. Eben darüber, was jedem von Ihnen am Herzen liegt, was Ihnen das Herz schwer macht oder was Sie hier vor Ort einmal von Herzen tun wollen.“

Und siehe da, genau das kommt ganz schnell auf den Tisch. In Lannesdorf, Pennenfeld und Mehlem ging es nach Fragen des Bordsteinabsenkens im Interesse der älteren Anwohner und dem Ruf nach mehr Infrastruktur irgendwann zielsicher um fehlende nachbarschaftliche Kontakte zu Muslimen. „Die wollen mit uns doch gar nicht wirklich zusammenleben“, hieß es. Haarsträubende Anekdoten sprossen.

Also luden wir zum nächsten Treffen Vertreter muslimischer Vereine hinzu. Und nach und nach kristallisierten sich im durchaus kontroversen, aber immer fairen Gedankenaustausch gemeinsame Herzenswünsche heraus: ein wahres Aha-Erlebnis gerade für die erstaunten Bürger, die plötzlich interkulturelle Pläne schmiedeten. Inzwischen arbeiten sie in Absprache mit den Quartiersmanagern Frank Wilbertz und Ines Jonas auch ohne angesetzte „Sprechstunde“ weiter, verteilen unter sich Aufgaben, übernehmen Verantwortung.

„Mit Verlauf und Ergebnis der ersten Herzenssprechstunden sind wir als Generationennetzwerk mehr als zufrieden,“ sagt Sprecherin Hergard Nowak. Man schaffe den Bürgern einen Raum im Quartier, um gemeinsam Projekte zu entwickeln. „Mich freut besonders, wie sachlich diskutiert werden kann.“

Was sich auch in Godesberg-Nord fortzusetzen scheint. Die von den Düsseldorfern als reines Seniorenprojekt geplanten „Sprechstunden“ haben sich längst allen Generationen geöffnet: In Friesdorf suchen Frauen mit kleinen Kindern den Kontakt. Seher Reichel und Angelika Weiß vom Awo-Fachdienst für Integration, Hergard Nowak (Offene Tür Dürenstraße), und Anni Merzbach vom Nachbarschaftszentrum haben mit den Fragestellern erste Weichen für ein Netzwerk Ehrenamtlicher mit arabischen und türkischen Sprachkenntnissen gestellt.

Beim nächsten Treffen soll dafür gesorgt werden, dass Freiwillige älteren Migranten beim Arztbesuch zur Seite stehen. Zur Frage der fehlenden Bänke werden Bürger die Verkehrswacht zu Rate ziehen. Und Merzbach hat zur nächsten Sprechstunde Vertreter des Ortsausschusses Friesdorf und des Schwimmbads „Friesi“ hinzugeladen.

Es könnte also spannend werden, ob es den Bürgern so gelingt, ihre Herzenswünsche wahr werden zu lassen. An einem Strang haben sie auf jeden Fall gezogen – und erlebt, wie sich auch der Einzelne Gehör verschaffen kann.

Die nächsten Termine: Godesberg-Nord: Donnerstag, 28. Januar und 25. Februar, 17 Uhr, Awo-Nachbarschaftstreff, Frankengraben 26. Godesberg-Zentrum: Dienstag, 29. März, 26. April und 31. Mai, 17 Uhr, Sparkasse KölnBonn, Rheinallee 1. Kontakt per E-Mail: info@ot-godesberg.de

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