Der lange Weg zum Neustart Gastro-Großhandel in Bad Godesberg kämpft in der Krise

Mehlem. · Die Corona-Krise sorgt beim Mehlemer Gastro- und Hotelgroßhandel Rick für die größte Bewährungsprobe nach 153 Jahren. Schon vor dem Lockdown ging der Umsatz zurück, dann aber brach er komplett ein.

 Seit der Corona-Krise ruht die eigentliche Arbeit im Lager ihrer Firma, was Georg Lennarz (l.) und Martin Forst bedauern.

Seit der Corona-Krise ruht die eigentliche Arbeit im Lager ihrer Firma, was Georg Lennarz (l.) und Martin Forst bedauern.

Foto: Axel Vogel/AXEL VOGEL

Dass ihr Diensttelefon werktags schweigen könnte, hätten sich Martin Forst und Georg Lennarz bis vor wenigen Wochen nicht vorstellen können. Die beiden leiten den kleinen Gastro- und Hotelgroßhandel Rick mit langer Tradition in Mehlem. „Neben dem Online-Geschäft läuft bei uns immer noch wahnsinnig viel persönlich übers Telefon ab“, erzählt der 55-jährige Forst. Das Corona-Virus bremste den Sieben-Mann-Betrieb jäh aus.

Wenn man so will das erste Mal seit 153 Jahren: In der Kölner City hatte seinerzeit Adolf Rick einen Handel für Bürobedarf gegründet. „Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte der Neustart in Mehlem als Spezialgroßhandel rund um Hotel und Gastronomie“, erzählt Forst. 1997 stieß der Groß- und Außenhandelskaufmann dazu, 2008 übernahm er das Ruder von Walter Bomm. Und das mit seinem alten Schulfreund aus Mönchengladbacher Tagen, Georg Lennarz, den er zufällig in Bonn wiedergetroffen hatte. Letzterer ist eigentlich gelernter Schauspieler.

Schon Mitte März meldete der Betrieb Kurzarbeit an

Gemeinsam hielten die Männer den Laden auf Kurs, selbst in den Anfangstagen des Virus. „Wir haben sofort getrennte Teams gebildet, um im Ernstfall handlungsfähig zu bleiben“, sagt der 53-jährige Lennarz. Schon Mitte März meldeten sie Kurzarbeit an, beantragten zudem die 15.000 Euro Soforthilfe. „Das hat entscheidend zur Nervenberuhigung beigetragen“, betont der Beueler Forst. Doch dann kam der Lockdown, und das Geschäft brach dank ausbleibender Nachbestellungen von Restaurants, Hotels, Kliniken und Seniorenheimen von einem auf den anderen Tag zusammen. „Davor hatten wir noch 80 Prozent Umsatz, dann waren es null“, wie es Forst umschreibt. Normalerweise nimmt der Großhandel nach eigenen Angaben monatlich 100.000 Euro ein.

Bei der Überbrückung half schließlich ein Serviettenhersteller. Servietten zählen sonst zu den Hauptprodukten von Rick. „Die Firma hat aus Spezialvlies Schutzmasken hergestellt“, so Forst. Also nahmen sie diese neu ins Portfolio auf, setzten zudem auf Toilettenpapier und Desinfektionsmittel. „Das Nebengeschäft mit 15.000 Euro im April hat uns Hoffnung gemacht“, sagt der Pecher Lennarz. Und die starke Nachfrage etwas Neues mit sich gebracht: „Wir haben sonst überhaupt keinen Publikumsverkehr hier.“

 Gravierte Schlüsselanhänger sind in Hotels keinesfalls aus der Mode gekommen. Sie stammen nicht selten aus der Werkstatt in Mehlem.

Gravierte Schlüsselanhänger sind in Hotels keinesfalls aus der Mode gekommen. Sie stammen nicht selten aus der Werkstatt in Mehlem.

Foto: Axel Vogel/AXEL VOGEL

Viel Geschichte in den Hinterhofräumen

Eigentlich schade, denn es lässt sich viel Geschichte atmen in den Hinterhofräumen in Mehlem. Zum Beispiel in der eigenen Mini-Druckerei im Holzkabuff, die zwar seit ein paar Jahren außer Betrieb ist, in der aber gefühlt Verdura-Buchstaben und andere Schriftarten nur darauf warten, wieder gesetzt zu werden. „Hier sind vor allem Speisekarten, Hotelformulare und Servietten bedruckt worden“, sagt Forst beim Gang durchs Lager.

Papierspitzendeckchen in sämtlichen Größen zählten übrigens schon fast immer zum Sortiment, wie es der selbst gestaltete Katalog von 1950 ausweist. Den Charme jener Zeit versprühen auch noch Besprechungszimmer und Büroraum. Daran angrenzend liegt hinter einer unscheinbaren Tür das übrig gebliebene Reich von Werner Zerwas. „Er graviert Schlüsselanhänger für Hotels“, erzählt Lennarz über den 67-jährigen Drucker und Setzer, der seit 1966 im Betrieb arbeitet. Die Aufschriften verraten: Die Kunden kommen keinesfalls nur aus Bonn und der Region.

Es gibt vereinzelte Hoffnungsschimmer

Das Telefon klingelt, ein Hotel auf Sylt bestellt für den Neustart am kommenden Montag eine Großhandels-Packung Servietten. „Normalerweise ist das wesentlich mehr, aber alle sind vorsichtig und kaufen nur in kleinen Mengen ein“, erklärt Forst. Sein Kompagnon und er überlegen nun, doch einen Zwischenkredit aufzunehmen, um selbst Ware einkaufen beziehungsweise in Auftrag geben zu können. Denn die Bestellungen der Kunden laufen alle auf Rechnung, und die eigene Kasse ist leer. „Sollte ein zweiter Lockdown kommen, würden wir das eher nicht überleben“, glaubt Forst.

Aber es gibt vereinzelte Hoffnungsschimmer zum Beispiel in der Gastronomie. „Da in NRW in den Gaststätten zunächst Tischsets Pflicht, aber Speisekarten verboten sind, gibt es erste Überlegungen von Kunden, die Karten auf die Sets zu drucken“, sagt Lennarz. Als Fernziel steht, die alte Umsatzmarke zu erreichen: „Wir müssen wieder an die 100.000 ran, wenn wir kein Personal einsparen wollen.“

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