Bonner Gin Ausgezeichnet, Sigi

Bonn · Gin ist hip, und ein Bonner Gin ist der allerhipste. Raphael Vollmar und Gerald Koenen lassen in einer Eifeler Brennerei ihren Siegfried herstellen, der inzwischen weltweit Preise eingeheimst hat.

Diese Hipster. Sie sind überall, wo es gerade cool ist. Und nerven mitunter gewaltig. Selbst bis in die tiefste Eifel dringen sie vor. Beziehungsweise klingeln sich vor. Einem Mann wie Peter-Josef Schütz - Haarkranz, zugeknöpftes Hemd, Typ: CDU-Kreisvorstand mit Hauptberuf Förster - kann das schon mal gewaltig gegen den Strich gehen.

Der Mann führt die Eifel-Destillerie in Lantershofen, nördlich von Bad Neuenahr-Ahrweiler. Und weil die Spirituose Gin seit zwei, drei Jahren richtig hip ist, haben laufend Hipster aus dem ganzen Rheinland bei ihm angerufen, um mit ihm zusammenzuarbeiten. Coole Produkte zu kreieren und damit Geld zu verdienen, gehört nämlich fast so selbstverständlich dazu wie die Nerd-Brille.

Schütz hat sie alle abgewiesen. Fast alle. Zwei junge Männer aus Bonn, beide Ende 30, waren so hartnäckig, dass er sich auf sie eingelassen hat. Fortan hieß Peter-Josef "Pi-Jäi" und war sozusagen eingemeindet. Was für ein Glücksfall!

Gerald Koenen war schon immer der Typ, der alles selbst ausprobieren möchte

Nur unter Druck entstehen Diamanten, heißt es. Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass dies nicht immer zutrifft, haben die beiden Bonner Raphael Vollmar und Gerald Koenen ihn nun gemeinsam mit "Pi-Jäi" Schütz geliefert - und aus einer spinnerten Idee wurde der beste Gin Deutschlands, der es mit den besten der Welt locker aufnehmen kann.

Doch von vorne: Gerald Koenen war schon immer der Typ, der alles selbst ausprobieren möchte. Ende 2013 hatte er es auf Gin abgesehen, nachdem er und ein paar Kumpels ein Faible für das Getränk auf einer Reise nach Las Vegas entwickelt hatten. "Das Zeug war aber ungenießbar", sagt sein Kumpel Raphael Vollmar.

Dafür dass er kurz zuvor noch im traditionsreichen Geschäft seiner Vorfahren für "Feine Waren seit 1861" am Kaiserplatz gestanden hat, das er in vierter Generation als Geschäftsführer leitet, kommt er schon fast unverschämt lässig daher: lockere Ansprache, Jeans, T-Shirt über der Plauze, Vollbart, modische Sonnenbrille. Das mit dem Gin war zwar zunächst nur so eine Schnapsidee.

Einfach durchgezogen: Ohne Bankkredite, ohne Marketingabteilung, ohne Businessplan, ohne Investoren

"Doch irgendwann waren wir an dem Punkt, an dem wir uns entscheiden mussten, ob wir es einfach mal ausprobieren", sagt Vollmar. Schließlich hat er die kaufmännische Expertise, Koenen, mit einem Job in der Internetbranche, hatte schon einige kleine, feine Webshops aufgebaut. "Wir können wahnsinnig gut zusammenarbeiten ohne uns ein Büro zu teilen", sagt Vollmar. Schließlich haben sie es durchgezogen. Ohne Bankkredite, ohne Marketingabteilung, ohne Businessplan, ohne Investoren. Und ohne Druck.

Die beiden Kumpels wollten ein Getränk schaffen, das einerseits für Coolness und den Zeitgeist steht, andererseits eine regionale Prägung hat, nachhaltig ist und faire Bedingungen für alle Beteiligten bietet. Ein Name musste her. Sie haben vieles überlegt: "Rebellenblut" oder Gin mit Spargel etwa. Aber das war alles eher so mittel. Bis ihnen die Idee mit der Siegfried-Sage kam.

Diesem wurde im Kampf mit einem Drachen schließlich ein Lindenblatt zum Verhängnis. Also bestellten sie Lindenblütenextrakt, kippten es in handelsüblichen Gin und stellten fest: Das funktioniert. Der Name war geboren: Siegfried. Der Sagenheld lebt also nicht mehr nur in der Forterzählung seiner Geschichte weiter, sondern nun auch auf dem Etikett eines Gins aus Bonn.

Dessen Gestaltung hatten sie im Internet ausgeschrieben, ein in London lebender Osteuropäer machte mit seinem Design das Rennen. Um dem Namen etwas die Schwere zu nehmen, konterten Vollmar und Koenen ihn mit dem Zusatz "Rheinland Dry Gin" und kultivierten den Kosenamen "Sigi".

Peter-Josef Schütz, der "Ultra-High-End-Premium-Brenner"

Jetzt hatten sie einen Namen, ein Etikett, eine Geschichte und auch eine Flaschenform. Doch das wichtigste fehlte noch: der Inhalt. Durch einen Tipp von Vollmars Schwiegervater kamen sie auf Peter-Josef Schütz, den "Ultra-High-End-Premium-Brenner" aus der Eifel, wie Vollmar sagt. Und der mit internationalen Goldmedaillen dekorierte Destillateur hatte alles, was die Bonner wollten: Er kommt aus der Region, stellt erstklassige Produkte her und ist ein aufgeräumter Mensch mit toller Arbeitsstätte. Aber eines war er nicht: cool.

"Aber immerhin cool genug, um das Potenzial in unserer Geschichte zu sehen", sagt Vollmar über "Pi-Jäi" Schütz. Der machte sich an die Arbeit. Ausgewogen, rund, geradlinig und fein sollte der Gin sein. Und natürlich Lindenblüte enthalten.

Über mehrere Monate zog sich der Prozess hin. Schütz interpretierte die Vorgaben der Bonner per Brennhandwerk zu zig Versionen, bis eine sich als ideal herausstellte. 200 Musterflaschen ließen sie fertigen, 120 gingen "ruckizucki" über den Online-Shop weg, die restlichen platzierten sie bei Gastronomen und schickten sie zu den "World Spirit Awards", so etwas wie die europäischen Oscars für Spirituosen. Aus den Erlösen orderten sie Nachschub. Ein Prinzip, das sie auch heute noch beibehalten.

Doppelte Goldmedaille bei den "World Spirits Awards"

Nur einmal haben sie Firmengeld aus der Kasse genommen: um nach Kopenhagen zu fliegen, um sich ihre doppelte Goldmedaille bei eben diesen "World Spirits Awards" abzuholen, die höchste Auszeichnung überhaupt, bei der sie aus dem Stand besser abgeschnitten haben als jeder andere deutsche Gin je zuvor: mit 95,7 von 100 Punkten. Bei der noch wichtigeren "World Spirits Competition" holte der "Sigi" in San Francisco ebenfalls Gold. Die Jury aus international anerkannten Spirituosen-Experten vergibt Goldmedaillen nur an Destillate, die völlig fehlerfrei sind und ein "weit überlegenes Trinkerlebnis" liefern.

Von Null an die Spitze in nicht mal einem halben Jahr. Die Produktion stieg fast täglich, nächtelang packten Vollmar und Koenen die Flaschen zum Versand ein, wechselten von einem in zwei Kellerräume, in größere Garagen, um gleich wieder festzustellen, dass sie noch größere Räumlichkeiten brauchten. Mehr als 100 Händler verkaufen den "Sigi" mittlerweile, dazu kommen Online-Shops und Bars in ganz Deutschland. Die Großstädte haben sie erobert, langsam arbeiten sie sich aufs Land vor. Heute produzieren sie 6000 Flaschen monatlich - und sind immer ausverkauft. Alle paar Minuten vibriert Vollmars Apple-Watch - er bekommt die Umsätze live angezeigt.

Den Versand hat mittlerweile ein Kumpel übernommen. Trotz des Erfolgs soll der "Sigi" ein Hobby bleiben. "So etwas macht man nicht, wenn man reich werden will", sagt Vollmar. Eine Hintertür lässt er sich aber offen: "Wie geil wäre das, wenn wir irgendwann entspannt davon leben könnten!"

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort