Bilder aus der Vergangenheit Alois Döring - Das Gedächtnis des Rheinlandes

BONN · Im Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte in Bonn lagern rund 400.000 Fotos aus allen rheinischen Regionen. Ein neuer Bildband zeigt seltene historische Aufnahmen vom Alltagsleben am Fluss

 Alois Döring: Der Navigator im rheinischen Volkskundearchiv.

Alois Döring: Der Navigator im rheinischen Volkskundearchiv.

Foto: Institut für Landeskunde

Ein Mann, ein Karton. Alois Döring packt. Ein paar persönliche Utensilien noch, dann ist Schluss. Für immer. Wirklich für immer? Nun, Herr Döring, 63 Jahre alt, verabschiedet sich in den Ruhestand, doch seiner großen Passion wird er wohl weiterhin treu bleiben.

Der Unterfranke aus Miltenberg am Main hat nach Studium und Promotion in Würzburg am 1. Oktober 1980 seinen Dienst als wissenschaftlicher Referent für Volkskunde beim Landschaftsverband Rheinland (Amt für Rheinische Landeskunde) in Bonn angetreten. Und er hat sich in den 32 Jahren seiner Tätigkeit einen Ruf erworben, den man mit dem letzten Arbeitstag nicht einfach abstreift.

Dr. Alois Döring ist, wenn man so will, das Gedächtnis des Rheinlandes. Er gilt als der große Navigator im rheinischen Volkskundearchiv, das er mit aufgebaut und mehr als drei Jahrzehnte lang betreut hat.

Döring ist Jäger und Sammler. Historische Informationen in Text und Bild wollen entdeckt, geordnet und vor dem Vergessen bewahrt werden. Das ist seine Mission. Der Historiker und Volkskundler sortiert die Dokumente gerne nach Themen, ein persönliches Spezialgebiet sind beispielsweise Feste und Bräuche im Rheinland.

Dazu hat Döring 2006 das Standardwerk "Rheinische Bräuche durch das Jahr" verfasst, in dem Bräuche von Januar bis Dezember gelistet sind - von den Heiligen Drei Königen und Narrenkappen über Maibäume und Eierkronen bis zu Martinsfeuer und adventlichen Lichterketten. Das Buch avancierte zum regionalen Bestseller, der "noch immer ganz vorne in den Rheinland-Abteilungen der Buchhandlungen steht", wie der Autor ohne falsche Bescheidenheit konstatiert.

Vor zwei Jahren gelang ein weiterer Glücksgriff mit dem Bildband "Die Eifel in frühen Fotografien". Zwei Auflagen sind bereits vergriffen, die dritte ist in Vorbereitung. Herausgeber Alois Döring hatte für dieses Buch auf die Bestände des Rheinischen Volkskundearchivs zurückgegriffen. Nach diesem Erfolgsrezept entstand jetzt auch "Das Leben am Rhein in frühen Fotografien" (Regionalia Verlag Rheinbach, 144 S., 160 Fotos, 14,95 Euro). Die Idee entwickelt sich zur Reihe: Ein Bildband über das Leben am Niederrhein ist bereits in Planung. Von wegen Ruhestand.

Und wo befindet sich dieses Archiv? "Wir sitzen mittendrin", sagt Alois Döring und genießt die suchenden Blicke seines Besuchers. Der Unterfranke, der "Foddo" sagt, wenn er "Foto" meint, zeigt auf ein paar Aluminiumschränke, die nicht weiter auffallen.

Überhaupt sieht das Haus in der Endenicher Allee Nummer 133 nicht gerade aus wie eine Schatzkammer, aber das tut Fort Knox auch nicht. Der Haupteingang ist unscheinbar, das Foyer verdient den Namen nicht, ein enger Aufzug schleicht in die dritte Etage. Kleine Büros mit Blick auf Hinterhöfe. Hier also ruht, verteilt auf mehrere kleine Räume, das kulturelle Erbe des Rheinlandes mit sage und schreibe 400.000 historischen Fotos.

[kein Linktext vorhanden]Das Bonner Institut für Rheinische Landeskunde hat sich, in Abstimmung mit dem Zentrum für Medien und Bildung, der ehemaligen Landesbildstelle in Düsseldorf, auf die Alltagskultur des Rheinlandes spezialisiert. Die Bonner suchen die Regionen nach alten Dokumenten ab, etwa zum Thema "Spielwelten der Kinder" oder "Weihnachtsbräuche". Der Chefarchivar Döring hat diesbezüglich ein paar ausgefallene Kleinstbereiche "als Hobby" kultiviert, zum Beispiel "Kirchturmhahn aufsetzen" oder das "Glockenbeiern".

Das Gedächtnis des Rheinlandes - Eine Reise in die Vergangenheit
13 Bilder

Das Gedächtnis des Rheinlandes - Eine Reise in die Vergangenheit

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Die Suche ist keine Einbahnstraße. Das Bonner Institut nutzt einen Verteiler von rund 3.000 "Gewährsleuten", die Dokumente aufspüren und zuliefern. "Das sind Laien, die an Volkskunde und Heimatkunde interessiert sind. Oder Mitarbeiter aus Museen." Zahlreiche Fotos kommen aus privaten Beständen. "Von Familienalben oder aus Vereinsarchiven, die uns übereignet werden", sagt Döring.

Auch größere Sammlungen werden gerne genommen. Die größte Kollektion stammt von dem Landwirtschaftsfotografen Wolfgang Schiffer, dessen Nachlass rund 200.000 Fotos umfasst. Die Sammlung, es handelt sich um "Karteikästen mit Abzügen und mehrere laufende Meter mit Negativen", wurde in einem eigenen Raum untergebracht. Rund 3500 Glasplatten stammen von Peter Weber, dem ehemaligen Dorffotografen des Ortes Wershofen. Webers Bestand wurde inzwischen digitalisiert.

Die einzelnen Fotos existieren allesamt als Abzug auf Karteikarten. Die Negative selbst befinden sich in einem eigenen Kühlraum des Instituts. Dort lagern auch Dias sowie die Filmdokumentationen, die in den vergangenen 50 Jahren von den Bonner Volkskundlern realisiert wurden. Gedreht hat man beispielsweise Beiträge über verschiedene Handwerksgruppen. Zu den Filmen gibt es Standfotos, die ebenfalls archiviert werden.

Die Digitalisierung schreitet voran. In Zusammenarbeit mit dem Medienzentrum in Düsseldorf werden seit ein paar Jahren die Altbestände elektronisch erfasst. Im Moment sind 25.000 bis 30.000 Dias an der Reihe. "Die Bilder werden für die neue Datenbank beim Landschaftsverband einzeln beschrieben und dort eingestellt, um langfristig auch von außerhalb recherchieren zu können", sagt Döring.

400.000 historische Fotos bilden einen schier unerschöpflichen Fundus für Veröffentlichungen aller Art, wobei die thematische Sortierung im Archiv die Gliederung eines jeden Bildbandes erleichtert. In seinem aktuellen Rheinland-Buch lässt sich Herausgeber Alois Döring die Ordnung vom Fluss selbst diktieren. Das erste Kapitel befasst sich mit dem "Rhein als Lebensgrundlage". Dokumentiert ist die Arbeit der Fischer, stolze Angler zeigen ihren Fang, Aalschokker und Frachter dümpeln auf dem Strom.

Landschaftstypisch ist das Hochwasser, das Kapitel "Die Wucht der Natur" zeigt dramatische Szenen aus den zwanziger Jahren, aber auch die Auswirkungen eines Wolkenbruchs in Mehlem. "Städte und Wohnstätten" zeugen von der Nähe zu einem großen Fluss, selbst wenn dieser nicht im Bild sein sollte. Bei den "Arbeitsszenen" spielen die rechtrheinischen Winzer eine zentrale Rolle, auch Straßenbauarbeiter und Milchhändler. Interessante Aufnahmen zur Müllabfuhr dokumentieren, wie im Jahr 1937 in Königswinter der Abfall beseitigt wurde.

War früher alles besser? Nun, auch "Die schönen Seiten des Lebens" kommen zu Wort und Bild. Da gibt es den Ausflug mit der Köln-Düsseldorfer, den Sonntagsspaziergang mit der Familie am Bonner Rheinufer und die kuriose Badeanstalt von Königswinter.

Die Fotobeispiele umfassen den Zeitraum von etwa 1870 bis Ende der vierziger Jahre. Spannend sind gleichsam die Details, die sich erst beim zweiten Blick erschließen. Der Betrachter erfährt einiges über die Arbeitsgeräte von Fischern und Bierkutschern, über die Arbeitskleidung von Schornsteinfegern und Briefträgern. Dokumentiert sind Kinderspiele, Kinderkleidung und Kinderarbeit, etwa in den Weinbergen.

Der Herausgeber Alois Döring kennt seine Leser, nicht zuletzt durch die Reaktionen auf das Eifel-Buch vor zwei Jahren. "Die Betrachter entdecken sich und ihre Geschichte wieder, sie entdecken Nachbarn oder erkennen alte Häuser, die nicht mehr stehen oder umgebaut worden sind", sagt der Volkskundler. "Auf diese Weise werden historische Fotos Gegenstand der Nach-Frage und des Nach-Denkens."

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