10. November 1938 Zahlreiche Gedenkveranstaltungen erinnern an den Novemberpogrom

BONN · Wie erinnert man an einen Völkermord, der vor genau 74 Jahren mit dem Novemberpogrom, also mit der Zerstörung auch aller fünf Bonner Synagogen und den gezielten Übergriffen auf die jüdische Bevölkerung, begann?

 Ausgebrannt: Die große Synagoge am Rheinufer nach dem Novemberpogrom.

Ausgebrannt: Die große Synagoge am Rheinufer nach dem Novemberpogrom.

Foto: Stadtarchiv Bonn

Wie macht man heute noch klar, was die von langer Hand vorbereiteten, behördlich genehmigten Brandstiftungen und Zerschlagungen von jüdischen Geschäften, Wohnungen und Häusern an diesem 10. November 1938 für die Opfer bedeuteten? Indem man die einzige Bonnerin zu Wort kommen lässt, die ausführlich Buch über das furchtbare Sterben ihrer Mitbürger in den Nazi-Todeslagern geführt hat, sagt Astrid Mehmel von der Initiative zum Gedenken an die Bonner Opfer des Nationalsozialismus.

Schauspieler des Theaters Bonn werden also an den Tag, als die Synagogen brannten und die deutsche Geschichte ihren furchtbarsten Wendepunkt hatte, aus Aufzeichnungen von Dora Philippson lesen: und zwar am Samstag, 10. November, ab 17.30 Uhr im Opernfoyer.

Wer Dora Philippson war? Astrid Mehmel, die selbst über die Ur-Bonner Familie forschte und publizierte, sieht die 1896 geborene Tochter des Bonner Geographieprofessors Alfred Philippson als eine besonders tapfere Frau an. Eine der wenigen Bonner Überlebenden des Holocaust sei die Gymnasiallehrerin für Mathematik, Physik und Chemie, die 1980 starb, gewesen, eine, die dann maßgeblich am Wiederaufbau der Bonner Synagogengemeinde beteiligt war.

Obwohl die gesundheitlichen Folgen des KZ-Terrors so einschneidend waren, dass sie nie wieder an der Clara-Schumann-Schule unterrichten konnte. Da hatte diese Frau mit der Gefangenen-Nummer III/1-553 ihre drei schrecklichen KZ-Jahre bis zur Befreiung durch die Rote Armee schon akribisch in ein Schulheft niedergeschrieben: in kleiner, sauberer Schrift, durchweg sachlich, wie es einer Naturwissenschaftlerin eigen ist, eigentlich emotionslos. Und doch: Welcher Horror steht zwischen den Zeilen.

Über die Leiden der sinnlos zusammengepferchten Menschen berichtet dieses Schulheft im Detail, über entsetzliche hygienische Verhältnisse, klirrende Kälte, Hunger und Verzweiflung. "Schon im Juli begann das große Sterben; erst traf es die Alten, die den Lebensbedingungen von Theresienstadt nicht gewachsen waren", schreibt die Frau, die es nur ihrem Status als Tochter eines bekannten Professors zu verdanken hatte, nicht sofort weiter in die Todeslager deportiert zu werden.

Ein schwedischer Kollege des Vaters mit gutem Draht zum Hitler-Regime rettete ihr das Leben. "Dann kam das furchtbar schlechte Brot mit Kastanienmehl, das oft total verschimmelte und die tödlichen Durchfälle, auch Ruhr, verursachte", schrieb Nummer III/1-553 später auf. Und schließlich: die Läuse. "So was Grauenhaftes, wie die hilflosen Menschen bei lebendigem Leib von den Kleiderläusen aufgefressen wurden, vergisst man nie."

Und durch ihre immer noch sachlichen Beschreibungen schimmert der Wahnsinn des täglichen Lagertods. Die meisten Insassen um sie herum seien an den durch Läuse verursachten Entzündungen jämmerlich zugrunde gegangen, erinnerte sich Dora Philippson. Sie habe als Lager-Arbeitskraft die Kranken nur noch in die sogenannte Läusekaserne und damit in den sicheren Tod schleppen können.

Vom Novemberpogrom, als am helllichten Tag auch in Bonn alle Synagogen brannten, bis zum Massensterben auch Bonner Bürger in den KZs war es also gar kein weiter, sondern ein direkter Weg. Die Aufzeichnungen der Dora Philippson sind in der ständigen Ausstellung der Gedenkstätte für die Bonner Opfer des Nationalsozialismus in der Franziskanerstraße 9 immer zu sehen.

Gedenkveranstaltungen

Donnerstag, 8. November

  • Gedenktafel der Mehlemer Synagoge, Meckenheimer Straße 45: 15.30 Uhr, Professor Harald Uhl erinnert an die Zerstörung der Synagoge und an die Ermordung des jüdischen Metzgers Joseph Levy im Juni 1935. Anschließend Rundgang über den jüdischen Friedhof Mehlem (Herren mit Kopfbedeckung).

Freitag, 9. November

  • Beueler Synagogenplatz, Siegfried-Leopold-Straße: ab 15 Uhr Gedenkkundgebung der Beueler Initiative gegen Fremdenhass, anschließend Schweigegang durch Beuel .
  • Junges Theater, Hermannstraße 50: ab 16 Uhr Lesung und Musik.
  • Denkmal der Synagoge Poppelsdorf, Ecke Jagdweg/Bennauerstraße: 19.30 Uhr, Ökumenisches Totengedenken mit der CDU Poppelsdorf.
  • Gedenktafel für die zerstörte Synagoge Bad Godesberg, Oststraße: 16 Uhr, Andacht des Evangelischen Konvents Bad Godesberg und des Friedenskreises Marienforst mit Pfarrer i.R. Christoph Nicolai, anschließend ab 16.30 Uhr gemeinsamer Gang zu "Stolpersteinen".
  • Kloster "Zur Ewigen Anbetung" in Endenich: 18 Uhr, Kranzniederlegung gegen das Vergessen des SPD Ortsvereins Endenich/Weststadt , Erinnerung an verfolgte Juden, Treff auf dem Magdalenenplatz.

Samstag, 10. November

  • Opernfoyer, Am Boeselagerhof 1, 17.30 Uhr: szenische Lesung über Dora Philippson und Musik, Initiative zum Gedenken an die Bonner Opfer des Nationalsozialismus (Eintritt frei)
  • Synagogen-Mahnmal, Moses-Hess-Ufer, 19 Uhr: Gedenken mit Musik mit OB Jürgen Nimptsch und der Vorsitzenden der Synagogengemeinde Margaret Traub.
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort