Verbände schlagen Alarm 33.800 Bonner an Armutsgrenze

BONN · Auch in Bonn wächst die Armut. Das ist das Ergebnis des neuen Berichts zur regionalen Armutsentwicklung, den der Paritätische Gesamtverband diese Woche vorstellte.

Zwar sind die Bonner mit 13,5 Prozent Armutsquote im Vergleich weniger bedürftig als andere NRW-Bürger: Aber auch in der Bundesstadt ist die Quote im Vergleich zum Vorjahr um 0,8 Prozentpunkte gestiegen.

"In Bonn leben 33.800 Bürger an der Armutsgrenze", sagt Familiendezernentin Angelika Maria Wahrheit. "Wenn wir über Armut reden, können wir nicht nur über die Hartz-IV-Behörde und die Transferempfänger sprechen." Es gebe Empfänger von Grundsicherung im Alter, Leistungen bei Erwerbsminderung und Hilfen zum Lebensunterhalt sowie Asylbewerber, die dazugerechnet werden müssten. "Die Tendenz ist steigend", so Wahrheit. Allein bei den Transferempfängern habe es im Vergleich zu 2012 einen Anstieg um fünf Prozent gegeben.

Laut Markus Waschinski vom Jobcenter Bonn lebten im November 2013 über 27.000 Bonner in 13.159 Haushalten, die Arbeitslosengeld II bezogen. Die Differenz von 6800 Menschen zu den Zahlen der Dezernentin zeigt, dass es "Armut trotz Arbeit" gibt, wie es der Paritätische Gesamtverband feststellte. Aufgabe der Kommunen sei, vor allem die Bildungsarmut im Blick zu behalten, weiter Kraft in das Bildungs- und Teilhabepaket zu stecken, kommentiert Dezernentin Wahrheit.

"Wir müssen uns um die Kinder kümmern." Und vor allem Alleinerziehende unterstützen und die Bereitschaft von Frauen fördern, in Arbeit zu bleiben. Wahrheit wehrt sich dagegen, Armut in bestimmten Stadtteilen zu orten. "Armut hat auch das Gesicht der Scham. Sie ist als versteckte Armut überall zu Hause." Deshalb sei die Quote in Bonn wohl höher als bislang berechnet.

Das bestätigen die Bonner Chefs der Diakonie und der Caritas, Ulrich Hamacher und Jean-Pierre Schneider. Neu-Tannenbusch, Auerberg und Dransdorf würden schnell stigmatisiert. "Uns sind aber auch in vermeintlich gut situierten Stadtteilen viele Arme bekannt, die nicht auffallen." Es gehe dabei auch um Menschen mit Handicaps durch Sucht oder psychische Erkrankungen. "Außerdem wächst die Altersarmut und wird in einigen Jahren deutlich steigen, weil Hartz-IV-Empfänger und Geringverdiener im Alter arm sein werden." Verstärkt werde das durch die Entscheidung, das Rentenniveau auf 40 Prozent zu senken.

Arbeitslosenberatung werde von der Stadt nicht gefördert, kritisieren Hamacher und Schneider. Darum sei deren Zukunft etwa in Tannenbusch ungewiss. Zur Linderung der Armutsfolgen passiere aber viel: Sozial- und Schuldnerberatung, Familienzentren, Offene Ganztagsschulen, kostenloses Mittagessen für Kinder mit Bonn-Ausweis, die städtische Seniorenberatung. "Eine Herausforderung ist es aber, Menschen diese Hilfen auch zugänglich zu machen."

Dazu sei in Bonn die Einzelfallhilfe etwa für Migranten und Flüchtlinge, aber auch für ältere Menschen wichtig, die im Rentenalter in die Schuldenfalle tappen, ergänzt Barbara Dreifert vom DRK Bonn. Peter Sieler von der Arbeiterwohlfahrt Bonn/Rhein-Sieg betont den Wert von sozialen Projekten wie denen in Tannenbusch, wo sich die Probleme für Kinder aus Hartz-IV-Familien ballten.

Hauptursache von Armut seien Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne und Teilzeitbeschäftigung, meinen die Diakonie- und Caritas-Chefs. "Es braucht einen wenigstens existenzsichernden Mindestlohn, eine motivierende und für Menschen mit Handicaps offenere Arbeitsmarktpolitik und staatlich langfristig gestützte Arbeitsplätze", so Hamacher und Schneider.

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