Wendepunkt im Leben: Auch Kinder können Schlaganfälle bekommen

Bremen · Einen Schlaganfall halten viele Menschen für eine typische Alterserscheinung. Doch auch Kinder können schon einen bekommen. Das wirft die betroffene Familien oft völlig aus der Bahn. Aber es gibt Hilfen für sie und ihr Kind.

 Regelmäßige Blutabnahme nötig: Wenn bei einem Kind die Blutgerinnung gestört ist, können sich Gerinnsel bilden und ein Gefäß verstopfen - es besteht erhöhte Schlaganfallgefahr. Foto: Friso Gentsch

Regelmäßige Blutabnahme nötig: Wenn bei einem Kind die Blutgerinnung gestört ist, können sich Gerinnsel bilden und ein Gefäß verstopfen - es besteht erhöhte Schlaganfallgefahr. Foto: Friso Gentsch

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Manchmal klingelt das Telefon von Marco Vollers auch mitten in der Nacht. Völlig aufgelöste Eltern sprechen ihm dann auf die Mailbox, weil sie weder ein noch aus wissen. Weil sie für ihr Kind die Diagnose "Schlaganfall" bekommen haben. Weil sie sich fragen: Kann mein Kind wieder gesund werden?

Marco Vollers ist Schlaganfall-Kinderlotse, nach Angaben der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe der bislang einzige bundesweit. Er ist Ansprechpartner für Familien aus ganz Deutschland, deren Kind einen Schlaganfall erlitten hat. "Für die Eltern kommt das in der Regel unvorbereitet", sagt Vollers, der eine therapeutische Abteilung im Neurologischen Reha-Zentrum Friedeforst in Bremen leitet.

Seine Aufgabe sei es dann, zuzuhören, nachzufragen und zu beraten. "Im Prinzip führe ich erstmal psychotherapeutische Gespräche", erläutert der diplomierte Musiktherapeut. Wo und wie lebt die Familie? Welche Therapien braucht das Kind?

Dass schon Kinder betroffen sind, mag verwundern. Tatsächlich aber ist der Schlaganfall kein reines Altersphänomen - er kann zu jeder Zeit, sogar schon im Mutterleib, vorkommen. Aktuellen Berechnungen zufolge ereignen sich etwa 270 000 Schlaganfälle jährlich in Deutschland. Unter den Patienten sind pro Jahr etwa 300 bis 500 Kinder, rund ein Drittel davon Neugeborene.

Damit ist der Schlaganfall unter Kindern ein vergleichsweise seltenes Ereignis - aber ein einschneidendes, wie Prof. Maja Steinlin von der Medizinischen Universitätskinderklinik Inselspital in Bern mit einer Co-Autorin in einem Fachartikel erläutert. Er gehöre zu den zehn häufigsten Todesursachen im Kindesalter und sei mit einer hohen Sterblichkeit verbunden. Einer der Gründe dafür dürfte sein, dass er oft erst sehr spät, wenn überhaupt, diagnostiziert wird.

"Ereignet sich der Schlaganfall pränatal, also vor der Geburt, bemerkt man ihn in der Regel erstmal gar nicht", sagt Prof. Martin Staudt von der Gesellschaft für Neuropädiatrie (GNP). "Erst einige Monate später stellen die Eltern dann vielleicht fest, dass das Kind eine Hand weniger bewegen kann." Auch wenn sich der Schlaganfall während der Geburt ereignet, sei das nicht unbedingt zu bemerken.

Neben der Neugeborenenphase tritt er laut Steinlin und Co. am häufigsten bei Kindern im Vorschulalter auf. Rund 80 Prozent zeigten halbseitige Lähmungen, die auch das Sprechvermögen beeinträchtigen können. Wann immer Eltern solche Veränderungen bemerken, sei das sofort ein Fall für den Notarzt, betont Staudt. Kopfschmerzen, Erbrechen und Bewusstseinsstörungen sind weitere mögliche Anzeichen.

Besteht der Verdacht auf einen Schlaganfall, muss das Kind Steinlin zufolge in jedem Fall mit einem bildgebenden Verfahren untersucht werden, am besten per Magnetresonanztomographie. Damit lässt sich der Auslöser eindeutig ermitteln, und davon hängt die Behandlung ab.

Zum einen kann der Schlaganfall auf einer Blutung im Gehirn beruhen. Dazu komme es, wenn ein fehlgebildetes Blutgefäßes reißt und ausströmendes Blut Hirngewebe verdrängt, erläutert Staudt. Zum anderen könne es sein, dass ein Gefäß zu wenig durchblutet wird und dann verstopft, sagt Staudt. Davon besonders gefährdet seien Kinder mit Herzfehlern oder bestimmten seltenen Bluterkrankungen.

Je nachdem, wo im Hirn sich der Schlaganfall ereignet hat, kann er unterschiedliche Folgen haben: vorübergehende oder dauerhafte Sprach-, Sinnes-, motorische oder kognitive Störungen zählt Staudt als Beispiele auf. Im Idealfall kommt das Kind direkt im Anschluss an die akute Behandlung in eine neuropädiatrische Reha-Klinik.

Spätestens an diesem Punkt sollte auch der Schlaganfall-Kinderlotse Marco Vollers zurate gezogen werden. "Ich höre von Eltern immer wieder die Frage: "Hat eine neurologische Reha für mein Kind Sinn?"", erzählt er. "Eine stationäre Reha ist enorm wichtig für die Weiterentwicklung des Kindes und enorm wichtig, um die Kompensationsstrategien im Gehirn zu fördern", betont er. Das bedeutet: Mit gezielter Krankengymnastik, Ergo- und Logopädie lassen sich Hirnareale so trainieren, dass sie mit der Zeit die Funktion der durch den Schlaganfall verloren gegangenen Areale übernehmen können.

"Die Familie muss sich darauf einstellen, dass der Schlaganfall ein Wendepunkt in ihrem Leben ist, und es nie wieder sein wird wie vorher." Das Kind werde sein Leben lang mit den Folgen der Erkrankung zu tun haben. Aber mit der richtigen Förderung und wenn die Familien wissen, an wen sie sich wenden können, lässt sich viel gewinnen.

Service:

Betroffene Familien erreichen den Schlaganfall-Kinderlotsen rund um die Uhr unter der Telefonnummer 05241/97 70 33 und per E-Mail unter kinderloste@schlaganfall-hilfe.de.

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