Migration Analyse: Merkel allein in Europa

Berlin/Brüssel · Es ist einsam geworden um die Kanzlerin. Auch Parteifreunde geben zu, dass sie in der EU isoliert ist. Dennoch setzt Merkel nach wie vor auf eine europäische Lösung der Flüchtlingskrise. Wie soll das gehen?

 Es wird langsam einsam um Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Es wird langsam einsam um Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Foto: Jens Wolf

Fast schon verzweifelt hört sich das an. Immer dann, wenn Angela Merkel in der Flüchtlingskrise massiver Widerstand entgegenschlägt - bei der CSU in Wildbad Kreuth oder aus der eigenen CDU -, dann fällt das Wort von der "europäischen Lösung".

Flüchtlingszahlen runter, EU-Außengrenzen sichern, Kosten fair verteilen, Freizügigkeit bewahren. Alles soll Europa richten.

Blöd nur, dass die Europäische Union allein nichts richten kann, und die 27 Partnerländer die deutsche Regierungschefin fast geschlossen im Regen stehen lassen. Jetzt hat auch noch Österreich mit der Festsetzung einer Obergrenze für Flüchtlinge genau das gemacht, was Merkel vehement ablehnt. "Es ist leider so, dass Deutschland zunehmend isoliert ist", sagt Merkels Parteifreund Gunther Krichbaum, der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag.

Der Zeitplan ist eng: Innerhalb der nächsten zwei Monate soll sich entscheiden, ob eine spürbare Begrenzung des Zuzugs gelingt, oder ob an den deutschen Grenzen wieder kontrolliert wird wie vor dem Schengen-Abkommen zur Freizügigkeit. In diesen acht Wochen gibt es mindestens drei wichtige Ereignisse: EU-Gipfel am 18. und 19. Februar, Landtagswahlen in drei Bundesländern am 13. März und wieder EU-Gipfel am 17. und 18. März. "Entweder wir finden eine europäische Lösung, oder es gibt keine Lösung", sagt Krichbaum. Das, was derzeit läuft, nennt der CDU-Politiker "eine Schande für Europa".

Doch groß ist die Wahrscheinlichkeit nicht, dass in dieser Zeit auf europäischer Ebene nennenswerte Fortschritte erzielt werden. Deutschlands wichtigster Bündnispartner Frankreich etwa fällt schon einmal aus. Kaum jemand in Brüssel hat die Hoffnung, dass vor der französischen Präsidentenwahl 2017 ein gerechteres System zur Verteilung von Flüchtlingen durchgesetzt werden kann. Deutschland habe ohne Rücksprache die Grenzen geöffnet, heißt es. Wer jetzt die Kosten dafür europäisch verteilen wolle, der nehme in Kauf, dass in Frankreich 2017 die rechtspopulistische Front National von Marine Le Pen die Wahl gewinnt.

Ein ebenso heikles Thema ist die Dublin-Verordnung. Die regelt, dass der Mitgliedsstaat, in dem ein Asylbewerber erstmals europäischen Boden betritt, für das Asylverfahren verantwortlich ist. Vollkommen ungerecht finden das Länder wie Italien und Griechenland. Die EU-Kommission will im Frühjahr einen Reformvorschlag vorlegen, der eine Abkehr von diesem Grundprinzip vorsehen dürfte. Etliche Staaten ohne EU-Außengrenzen sehen dafür aber keinerlei Notwendigkeit, weil die Folge eine Lastenteilung sein müsste.

Derzeit gelingt in Europa nicht viel. Weder die beschlossene - und eigentlich völlig unzureichende - Verteilung von 160 000 Flüchtlingen, noch das Einsammeln von drei Milliarden Euro für einen Aktionsplan mit der Türkei. Und Ankara tut, jedenfalls bisher, nicht viel, um den Flüchtlingsstrom aufzuhalten.

Die Isolation Merkels ist spürbar. Da sind nicht nur die Mittel- und Osteuropäer, die sich einer Solidarität verweigern. Vor allem Polen ist über Kritik aus Deutschland verärgert, auch Spanien und Portugal tun wenig bis nichts. Und in den letzten Wochen ist noch ein weiterer Gegner hinzugekommen. Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi "zeigt Zähne", wie es in Berlin heißt, und will sich von der deutschen Regierung nichts mehr vorschreiben lassen.

Er tritt etwa dafür ein, den gesamten Drei-Milliarden-Betrag für die Türkei aus dem EU-Budget zu zahlen, während 2015 doch vereinbart wurde, dass die Mitgliedstaaten den Löwenanteil stemmen sollen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, vielleicht der letzte treue Partner Merkels, nahm Renzi ganz undiplomatisch ins Visier und warf ihm vor, die Kommission "an jeder Straßenecke" zu kritisieren.

Drohen das grenzenfreie Europa, der Euro und vielleicht sogar die ganze EU wegen des Streits um die Migrationspolitik auseinanderzubrechen? Das ist wohl ebenso unwahrscheinlich wie ein schnelles Ende der Flüchtlingskrise. Ein ranghoher EU-Diplomat verweist darauf, dass es spätestens dann Kompromisse geben werde, wenn Grenzkontrollen und andere Abschottungsmaßnahmen spürbare wirtschaftliche Folgen hätten. Aber auch von diesen Kosten wäre Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas wohl stark betroffen. Keine guten Aussichten für die Kanzlerin.

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