Der zusätzliche Treibhauseffekt

Den einen Klimaforschern war der Planet zu kühl, anderen zu warm. Dann brachten Gerald Stanhill, ein englischer Biologe, und andere Sonnenschein-Messer Licht in den Tunnel der Unwissenheit um kleinste Teilchen

Der zusätzliche Treibhauseffekt
Foto: ap

Das Ozonloch über der Antarktis geriet sehr spät ins Bewusstsein des Menschen. Es wurde 1975 „entdeckt“, aber zum Zeitpunkt der „Entdeckung“ hielten die „Entdecker“ ihre Daten noch für einen Messfehler.

30 Jahre später wundert man sich, dass die international ergriffenen Gegenmaßnahmen kaum wirken und die Ozonschicht in der oberen Atmosphäre nur langsam zuheilt. Später erkennen die Forscher unerwartete Zusammenhänge: Der zusätzliche Treibhauseffekt behindert die Regeneration des zarten Ozonflaums.

Das lehrt: Was mit wem zu was reagiert, wird zwar zunehmend entschlüsselt, trotzdem bietet das Reich der Luft weiter viel Platz für das, was Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen erwartet: „Es wird noch Sachen geben, an die wir jetzt noch gar nicht denken.“

Vor allem überraschende Zusammenhänge, auch über- oder unterschätzte, möglicherweise ganz neue Effekte. Eine Geschichte, die vor rund 53 Jahren begann und bis heute in die Klimaforschung fortwirkt, spielt in Bet Dagan in Israel, wo am Agrarinstitut jede Maßnahme willkommen ist, die künstliche Bewässerung zu optimieren.

Der englische Biologe Gerald Stanhill will dort Pflanzen nur so viel Wasser geben, wie sie auch brauchen, nichts soll, wenn möglich, verdunsten. Zu dieser Zeit, Mitte der 1950er Jahre, ist die These, dass das Kohlendioxid (CO2) aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe (Öl, Kohle, Gas) die Erdatmosphäre aufheizt, schon lange in der Welt. Selbst Napoleon, von seinem Mathematiker Jean Baptiste 1827 aufgeklärt, ist von der Vorstellung fasziniert, dass ein unsichtbares Gas den Menschen vor der Kälte des Alls schützt.

Die Bedrohung durch das Gegenteil wird zunächst nicht erkannt – und wenn, dann verlässt dieses Szenario selten die Gelehrtenstuben. 130 Jahre später, 1957, versucht der US-Ozeanograph Roger Revelle die Welt aufzurütteln und warnt vor dem zusätzlichen, durch den Menschen verursachten Treibhauseffekt: „Die Menschen führen ein langfristiges Experiment aus, das in der Vergangenheit nicht möglich gewesen wäre und in der Zukunft nicht wiederholbar sein wird.“

Doch noch ist alles graue Theorie, denn keiner konnte bisher Teile pro Million (parts per million/ppm) messen. Das gelingt dem Chemiestudenten James David Keeling mit einem selbstgebauten Manometer. Doch der ist ein Messfreak, was seine Ergebnisse bedeuten könnten, interessiert ihn nicht.

1958 beginnt Keeling auf dem 4 711 Meter hohen Mauna Loa auf Hawaii mit seinen CO2-Messungen. Da sind es 315 ppm, 1972 330 ppm und 1980 bereits 341 ppm. Die Messungen bestätigen die Theoretiker und interessieren bald auch die Medien. Eine wärmere Welt wird immer wahrscheinlicher.

Der „Spiegel“ setzt am 11. August 1986 einen vom Meer überfluteten Kölner Dom auf den Titel. Das Blatt blickt 54 Jahre in die Zukunft: „Jetzt, im Jahre 2040, ragen die Wolkenkratzer New Yorks weit vor der Küste wie Riffs aus der See.“ Zu dieser Zeit wissen Forscher aus steinalten Luftbläschen im ewigen Eis, dass 341 ppm CO2 eine bedrohliche Größe sind: In den zurückliegenden 160000 Jahren (nach heutigem Wissensstand: 650000 Jahre) lag der CO2-Gehalt der Lufthülle nie über 300 ppm.

Es gibt nur ein Problem: Es müsste 1985 viel wärmer sein, als es die Thermometer anzeigen. Zurück nach Bet Dagan: Stanhill fällt bei seinen Optimierungsversuchen auf, dass etwas im Dreieck zwischen Temperatur, Sonnenstrahlung und Verdunstung nicht stimmt. Auf seinen Datenblättern erkennt er, dass die am Boden eingehende Strahlung von 1960 bis 1980 in Israel um 22 Prozent abgenommen hat.

Eigentlich müssten die Menschen zwischen Tel Aviv und Haifa frieren. Stattdessen ist die Temperatur leicht gestiegen. Um 1960 sind Messgeräte für die Sonneneinstrahlung noch nicht weit verbreitet. In den Bayerischen Alpen misst die Klimatologin Beate Liepert ähnliche Werte wie Stanhill in Israel. Beide wissen nichts voneinander, beide recherchieren in der internationalen Literatur.

Dort taucht der indische Klima-Professor Veerebhadran Ramanathan von der University of California auf und berichtet von bis zu 10 Prozent weniger Sonnenstrahlung über den Malediven. Stanhill, Liepert, Ramanathan und andere: Alle messen getrennt – und sind verunsichert.

Russland gar minus 30 Prozent, Antarktis minus 9 Prozent. Jeden plagt die Frage: Wenn die Messungen richtig sind, warum ist es dann nicht kälter? Die wissenschaftliche Community ist noch nicht so vernetzt wie heute, und damals wie heute ist man vorsichtig, wenn Messdaten mehr neue Fragen aufwerfen als alte beantworten.

Es gibt noch einen dritten Schauplatz: 1984 veröffentlicht Deutschland seinen ersten Waldschadensbericht. Medien berichten von Saurem Regen, in Skandinavien sind einige Seen glasklar und tot. Und der Denkmalschutz kämpft gegen die plötzliche Zerstörung von Sand-und Kalkstein.

Das Dilemma ist offensichtlich: Sowohl die Klimaforscher, die vor dem zusätzlichen Treibhauseffekt warnen, als auch jene Wissenschaftler, die eine verringerte Sonneneinstrahlung gemessen haben, hadern mit den Thermometern. Den einen ist es zu kühl, den anderen zu warm.

Das kratzt an der Glaubwürdigkeit gegenüber Politik und Öffentlichkeit und jenen Kräften aus Öl-, Kohle und Autoindustrie, die nichts mehr fürchten als Klimaschutz-Maßnahmen. Zuweilen müssen Klimaforscher in diesen Jahren Hohn und Spott ertragen. Tenor: Das Klima hat sich immer geändert und Sonnenaktivitätsschwankungen war man immer schon ausgeliefert.

Doch längst rotieren Satelliten um die Erde. Einige messen auch die vom Stern auf die Außenhaut der Erde abgefeuerte Strahlung. Ergebnis: Die Sonne strahlt Ruhe aus. Keine nennenswerten Veränderungen. Die Ursache für die thermischen Widersprüche muss in der Erdatmosphäre selbst liegen, zumindest das ist nun gewiss.

Professor Gerald Stanhill hat alles aufmerksam verfolgt. Er prägt den Begriff vom „global dimming“, von der „globalen Verdunkelung“. Es geht um Aerosole, winzige und für das menschliche Auge unsichtbare Partikel, um feste und flüssige, und alle haben andere Eigenschaften. Mehr Industrialisierung und Verkehr, mehr Aerosole. Bei jeder Verbrennung werden nicht nur wärmende CO2-Moleküle freigesetzt, sondern auch wärmende oder kühlende Mikropartikel.

Der Kühleffekt entsteht über speziellen Wolken, die aus Aerosolen entstanden sind. Über extrem luftverschmutzten Ballungsgebieten registrieren Satelliten vermehrt helle Wolken; sie reflektieren mehr Sonnenlicht. Es sind Wolken, die nur vom All aus hell aussehen, den Himmel – von der Erdoberfläche betrachtet – aber verdunkeln. Deshalb „globale Verdunkelung“. Stanhill bleibt mit seiner These erst einmal Außenseiter.

Bald beeinflusst die internationale Politik das Erdklima auf ungeahnte Weise. Klimaforscher Professor Hartmut Graßl, einst Direktor der Welt-Meteorologie-Organisation (WMO), spricht 2002 vom „Gorbatschow-Effekt“. Hinter dem Eisernen Vorhang bricht die Schwerindustrie des Ostens, das „Schmutzige Dreieck“ zwischen Sowjetunion, Polen und Tschechien, zusammen.

Das bedeutet weniger kühlende Aerosole, weniger helle Wolken. Aber die Eigenkräfte des Planeten sorgen noch einmal für großes Durcheinander: Am 15. Juni 1991 bricht auf den Philippinen der Pinatubo aus. Eine gigantische vulkanische Eruption, die zweitstärkste des 20. Jahrhunderts, sorgt für viele Schwefelteilchen in der oberen Atmosphäre, die das Sonnenlicht zurück ins All spiegeln. Nach und nach verflüchtigen sich jedoch die vulkanischen und industriellen Partikel, auch weil die Regierungen des Westens sich tatsächlich um Luftreinhaltung bemühen.

Mit Rauchgasentschwefelungsanlagen gegen Sauren Regen, Waldsterben und tote Seen. Graßl, Spezialist für Aerosole, hatte schon 1982 darauf ingewiesen, welche „perversen“ Folgen Maßnahmen zur Luftreinhaltung haben würden. Die Luft würde sauberer, mehr Sonnenlicht den Erdboden erreichen und der zusätzliche Treibhauseffekt, seit 1955 von der Luftverschmutzung kompensiert, spürbarer werden.

Aus „global dimming“ wurde seit 1990, so Zürcher Forscher in „Science“, „global brightness“ – mehr Sonnenstrahlen erreichen die Erdoberfläche und werden in Wärmestrahlung umgewandelt. Seitdem zeigen die Thermometer auf Erden eine sich erwärmende Welt. 2007 fasste der UN-Weltklimarat IPCC zusammen: „Elf der letzten zwölf Jahre (1995-2006) waren unter den 20 wärmsten Jahren seit Beginn der Beobachtungen.“

Der zusätzliche Treibhauseffekt, angetrieben von einer wachsenden Menschheit mit steigendem fossilen Energieverbrauch, war seit langem in Gang gesetzt. Nun ist er demaskiert, ausgerechnet durch Maßnahmen gegen die Luftverschmutzung –und das Ende des Kalten Krieges.

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