Der natürliche Treibhauseffekt - ein zarter Gaskokon umhüllt die Erde

Schutzschicht als Flaum gegen die Kälte des Alls

Der natürliche Treibhauseffekt - ein zarter Gaskokon umhüllt die Erde
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Die Erde rotiert nicht nackt um ihren Stern. Ein Flaum von Gasen umgibt den Blauen Planeten und schützt ihn vor dem lebensfeindlichen Teil der Sonnenstrahlen. Gleichzeitig spendiert ein anderer Teil der Strahlung jene Energie, ohne die die Erde eine tote Steinkugel wäre. Es braucht Wärme, um im Tieffrostfach (minus 273 Grad Celsius) des Alls Leben zu ermöglichen.

Aber auch nicht zu viel, wie auf der Venus, oder zu wenig, wie auf dem Mars. Auch die Nachbarplaneten haben Gashüllen, aber nur die Atmosphäre der Erde stiftet lebensfreundliche Bedingungen, die Leben ermöglicht und watteweich, einem Kokon gleich, verpackt. Die Neugierde auf das große unsichtbare, aber fühlbare und nicht zuletzt atembare Etwas über unseren Köpfen existiert, seitdem Menschen über die Bedingungen ihrer Existenz nachdenken.

„Großer Luftozean“ – so nannte der englische Naturforscher Alfred Russel Wallace 1903 in seinem Buch „Des Menschen Stellung im Weltall“ das flüchtige Gebilde, von dem jeder Mensch täglich 13,5 Kilogramm einatmet. Schon Wallace schrieb von einer „wunderbaren Eigenschaft“ des Luftozeans: Er lasse die Sonnenstrahlen passieren, „ohne selbst von ihnen erwärmt zu werden“.

Erstaunlich ist das, weil die Alltagserfahrung des Menschen das Gegenteil lehrt: Je näher man am Lagerfeuer sitzt, desto mehr wärmt es. In der alle Planeten bestimmenden Physik ist das anders. Das zunächst „kalte Feuer“ liefert die Sonne, und Gipfelstürmer auf der Erde frieren, weil es auf den Bergen, obwohl näher an der Sonne, kälter ist als auf dem platten Land darunter.

Die „wundersame Eigenschaft“ bedeutet, dass die Erdoberfläche die Herdplatte ist, von der alle Wärme ausgeht. Mit Wallace’ Worten: „Wenn die Erde aufgeheizt ist, erwärmt sich auch die Luft durch den Kontakt mit ihr.“ Kurzwellige Sonnenstrahlen treffen auf die Erdoberfläche und werden dort in langwellige Wärmestrahlen umgewandelt.

Diese strahlen dann ab – entweder in den Weltraum oder sie bleiben in einem unscheinbaren Teil der Atmosphäre hängen. Auch das wusste schon Wallace: „Reine, trockene Luft lässt die dunklen Wärmestrahlen zwar ungehindert passieren, aber der Wasserdampf und die Kohlensäure (Kohlendioxid / Anm. d. Red.) in der Luft fangen sie ein und absorbieren sie.“

Das ist der natürliche Treibhauseffekt, der auf der Erde schon lange vor dem Auftauchen des Menschen wirkte. Die Sonne reicht nur für minus 18 Grad Celsius, aber der Treibhauseffekt beschert ihr einen Temperaturgewinn von 33 Grad Celsius. Und was genau und vor allem in welcher Menge das Einfangen der Wärmestrahlung verursacht, weiß der Mensch erst seit 1955, seitdem der Chemiestudent Charles David Keeling sich aufmachte, mit einer selbst gebauten und extrem empfindlichen Apparatur Kohlendioxid-Moleküle (CO2) zu messen.

Wie sensibel die gaschromatische Analyse sein musste? Weniger als vier von 10 000 Luftmolekülen sind CO2-Moleküle. Noch erstaunlicher, dass sie eine solche Wirkung entfalten und letztlich über das Schicksal eines Planeten entscheiden – über Hitzehölle oder Eiskeller, über Leben oder kein Leben. Die vergleichende Planetenforschung hat hierzu erstaunliche Erkenntnisse geliefert.

Ein Venus-Erde-Vergleich: Der Nachbarplanet liegt wesentlich näher an der Sonne als die Erde, weshalb er an seiner atmosphärischen Außenhaut mit 645 Watt pro Quadratmeter (W/m2) auch fast doppelt so viel Energie empfängt als die Erde (342 W/m2). Aber: Bis zur Venus-Oberfläche gelangen nur 130 W/m2, auf die der Erde 236 W/m2.

Ursache: Rund 80 Prozent der kurzwelligen Sonnenstrahlen werden vom hellen, dichten Venus-Luftozean gleich wieder ins All zurückgeworfen, auf der Erde sind das nur 31 Prozent. Somit müsste es auf der Venus viel kälter sein als auf der Erde. Aber das Gegenteil verblüfft: Venus 460 Grad Celsius, Erde 15 Grad Celsius. Ursache: Die Venus-Atmosphäre besteht zu 96 Prozent aus CO2, die der Erde nur zu 0,038 Prozent.

Der extreme Treibhauseffekt hat auf der Venus eine Hitzehölle entfacht. Mit viel weniger Sonnenenergie als auf der Erde produziert die Luftphysik dort 445 Grad Celsius mehr. Mit diesem Wissen auf Erden die thermische Macht des CO2 zu übersehen, wäre grob fahrlässig. Die Zahl der CO2-Moleküle wächst auf der Erde seit Beginn der industriellen Revolution um 1850 immer schneller, weil die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas unweigerlich CO2 freisetzt und in der Atmosphäre anhäuft.

Folge: Die Erdtemperatur ist gestiegen und wird weiter steigen. Das ist der zusätzliche Treibhauseffekt. Der atmosphärische CO2-per million / Teile pro Million) auf 381 ppm gestiegen und liegt damit so hoch wie nie zuvor in den zurückliegenden 650 000 Jahren. Auf einen anschaulichen Maßstab gebracht, erscheint die Gefahr geradezu harmlos: Das Molekülverhältnis CO2 : Luft steigt von 3:10 000 auf 4:10 000.

Die Lagerstätten fossiler Brennstoffe sind brisante Schichten. Unter gewaltigem Druck und hoher Temperatur hat der Planet hier vor Jahrmillionen abgestorbene Biomasse zu Gas, Öl und Kohle zusammengekocht. Diese Lagerstätten sind nichts anderes als Kohlenstoff-Friedhöfe. Hier lagert sozusagen der Sonnenschein längst untergegangener Zeiten – Kohlenstoff, der der Erdatmosphäre von zur Photosynthese fähigen Organismen einst entzogen wurde, während die Sonne allmählich stärker (um ein Prozent pro 100 Millionen Jahre) strahlte.

Das war – aus Sicht heutiger Lebewesen – ein Segen, denn sonst hätte die Erde sich auf einem ganz anderen, höheren, lebensfeindlichen thermischen Gleichgewicht eingependelt. Das Ausgraben der „Kohlenstoff-Toten“ bedeutet: Der Mensch buddelt aus der Erdkruste gerade ein kleines Venus-Schicksal.

Der Treibhauseffekt ohne Mensch

Die an der Außenhaut der Erdatmosphäre ankommende kurzwellige Sonnenstrahlung beträgt 342 W/m2 (Watt pro Quadratmeter). Davon werden rund 31 Prozent zum Beispiel durch Wolken oder Eisflächen wieder in den Weltraum reflektiert. Es verbleiben rund 236 W/m2, die in der Atmosphäre und von Land-/Wassermassen absorbiert und in langwellige Wärmestrahlung verwandelt werden.

Wären Energie-Input (Einstrahlung) und Energie-Output (Abstrahlung) gleich, würde die durchschnittliche Erdtemperatur minus 18 Grad Celsius (linke Seite der Grafik) betragen. Einige Gase lassen zwar die Sonneneinstrahlung ungehindert passieren, aber nicht die gesamte von der Erdoberfläche abgestrahlte langwellige Strahlung: Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4), Distickstoffoxid (N2O), Wasserdampf (H2O) und Ozon (O3) sind Treibhausgase, die in der Atmosphäre auch ohne menschliche Existenz vorkommen.

Sie reflektieren einen Teil der langwelligen Infrarotstrahlung aus der unteren Atmosphäre zurück zur Erdoberfläche. Dadurch summiert sich dort letztlich eine Energiemenge von 390 W/m2. Dieser natürliche Treibhauseffekt bringt der Erde einen Temperaturgewinn von 33 Grad Celsius, sodass auf dem Planeten nicht eine Durchschnittstemperatur von minus 18, sondern von 15 Grad Celsius herrscht.

Mit anderen Worten: Erst der Treibhauseffekt hat der Erde dauerhaft flüssiges Wasser ermöglicht – und damit die wesentliche Voraussetzung für das Entstehen von Leben. Seit mehr als 150 Jahren erhöht nun der Mensch die Treibhausgas-Konzentration und damit zwangsläufig auch die durchschnittliche Erdtemperatur.

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