Wachsende Weltbevölkerung und globale Erwärmung

Heute, am Tag der Erde, ist die alte Frage „Wie viele Menschen trägt die Erde?“ schwieriger denn je zu beantworten, weil der Klimawandel das Wasser neu verteilt

Wachsende Weltbevölkerung und globale Erwärmung
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In einer wärmeren Welt wird es mehr regnen, und der alte und der zusätzliche Regen werden neu verteilt. Zumindest das ist sicher und seit Jahren in Millimetern auch messbar.

So wie Pflanzen und Tiere, von der globalen Temperaturerhöhung getrieben, längst zu Land, im Wasser und in der Luft den Marsch nach Norden angetreten haben, wird die allmähliche Umverteilung der Niederschläge weitere Wanderungsbewegungen auslösen. Und da das Klimasystem eine thermodynamische Angelegenheit und keine für Gerechtigkeitsfragen zuständige Instanz ist, nimmt es keine Rücksicht auf die schon heute extrem ungleiche Niederschlagsverteilung.

Der dreiteilige 4. Sachstandsbericht des UN-Klimabeirats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) ist keineswegs, wie gelegentlich angenommen, nur ein wissenschaftliches Orakel über die Klimazukunft. Eine Hälfte des Reports berichtet stets über das, was ist – über Messungen, Beobachtungen, Studien, über alles, was Tausende Bojen, Temperaturfühler, Niederschlagstrichter und um den Planeten rotierende Satelliten zusammengetragen haben.

Die Erde gleicht inzwischen einem verdrahteten und mit Sensoren bestückten Patienten auf der Intensivstation. In keiner Region geschieht etwas unbeobachtet.

Die neue Ungerechtigkeit aus Sicht des Menschen: Mehr Regen dort, wo schon bisher kein Wassermangel herrschte, und weniger, wo schon heute stundenlange Märsche zu Brunnen den Alltag beherrschen.

In den hohen Breiten und einigen tropischen Feuchtgebieten wird es (noch) mehr Niederschläge geben, gleichzeitig dehnen sich die Dürrezonen aus. Denn wärmer wird es fast überall, und wenn in einer Region nur die Verdunstungsrate steigt, ohne dass der Himmel Wolken spendet, grassiert die Dürre. Dann sind auch extreme Starkniederschläge, wie sie auch für einige Trockengebiete prognostiziert werden, kein Segen.

Die globale Erwärmung trifft auf eine Welt, in der eine dominante, weil sich weiter vermehrende Spezies schon heute Probleme hat, für ausreichend Wasser- und Nahrungsmittelsicherheit zu sorgen. Weil in den Industriestaaten die Supermärkte seit Jahrzehnten weiterhin reich und vielfältig bestückt sind, verwundert es kaum, dass einige Fakten der Aufmerksamkeit entgangen sind.

Mitte/Ende der 1980er Jahre erlebte die Versorgungssituation einen Wendepunkt. Es war die Zeit des stärksten Weltbevölkerungswachstums: jährlich 87 Millionen Menschen mehr (heute 76 Millionen).

Damals bevölkerten 4,8 Milliarden Menschen die Erde und lebten auf dem Gipfel der Grünen Revolution. Die gepaarte Anwendung von Mendels Erbgesetzen und Justus von Liebigs Erkenntnis, dass man dem Boden jene Nährstoffe zurückgeben kann, die Pflanzen ihm entziehen, sorgte für eine Nahrungsexplosion, die sogar das Weltbevölkerungswachstum überflügelte.

Dünger, Dünger, Dünger: Der Einsatz des Pflanzen- und Bodendopings auf Stickstoffbasis stieg von 14 Millionen Tonnen im Jahre 1950 auf 126 Tonnen 1984. Eine Steigerung um 900 Prozent.

Das bedeutete 346 Kilogramm Getreide pro Erdenbürger – eine nie mehr erreichte Rekordmarke. 16 Prozent der wundersamen Erntevermehrung stammten damals von künstlich bewässerten Flächen, als die Grundwasservorräte schier endlos erschienen. Da konnte man es sich leisten, Korn und Hülsenfrüchte durch die Kreatur zu schicken, um Fleisch „zu ernten“. Auch die 1989 aus den Meeren gefischten 19 Kilogramm Eiweiß pro Mensch markieren einen Höhepunkt.

Seitdem geht es in der Pro-Kopf-Erntestatistik bergab. Ursachen: Bodenerosion, erschöpfte Grundwasserleiter, Versalzung von bewässertem Land, Rückgang der Bodenfruchtbarkeit durch ausgelassene Brachezeiten infolge des weiter wachsenden Bevölkerungsdrucks, Überfischung des Weltozeans.

Und die wundersame Erntevermehrung hatte, wie die Atmosphäre berichtet, auch einen luftchemischen Preis: Das Distickstoffoxid (N2O) aus dem Kunstdüngereinsatz und das Methan (CH4) aus den Mastställen des Planeten, zwei besonders effektiv wirkende Treibhausgase, haben die globale Erwärmung unterstützt.

Die Teufelskreise werden nicht kleiner. Die Weltgetreidereserve sank von einst 104 auf heute 55 Tage – zehn Tage weniger als von der FAO, der UNErnährungsorganisation, gefordert. Jeder größere Ernteausfall, jede wetterbedingte Verzögerung einer Ernte wirkt auf den Weltmarkt und kann ganze Regionen destabilisieren. In den nächsten 20 Jahren werden für über 7,5 Milliarden Menschen so viele Nahrungsmittel benötigt wie in den letzten 10000 Jahren zusammen.

Gleichzeitig kündigt sich ein agrarer Nutzungskonflikt an: Sprit aus Getreide, gerade der große, aber kaum durchdachte Hoffnungsträger angesichts sinkender Ölreserven und spürbaren Klimawandels, zeichnet sich als neuer Fluch am Horizont ab. Die weltweite Nachfrage nach Ethanol steigt – und damit der Getreidepreis.

Schließlich der China-Faktor: Mit 20 Prozent der Weltbevölkerung hat das Land nur sieben Prozent der landwirtschaftlichen Weltnutzfläche zur Verfügung. Absehbar, dass die Chinesen nicht nur mehr Stahl auf dem Weltmarkt nachfragen, sondern bis 2030 auch 300 Prozent mehr Getreide, so einschlägige Hochrechnungen, importieren müssen. Im Wirtschaftswunderland geben sich immer weniger Menschen mit einer Schale Reis zufrieden.

Die Wasserfrage, wo es wann wieviel regnet, erhält vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen noch einmal eine brisante Dimension.

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