Intensive Landwirtschaft und der Faktor Treibhausgas

Jede Kuh ist ein kleiner Reaktor, der pro Tag zwischen 70 Liter und 250 Liter Methan in die Luft bläst – je nachdem, ob es sich um ein abgemagertes Sahelrind oder ein 700-Kilogramm-Prachtexemplar auf einer schleswig-holsteinischen Weide handelt

Intensive Landwirtschaft und der Faktor Treibhausgas
Foto: ap

An der weltweiten Ernährungsfront herrschen hier Rebellion, Hunger und Preisexplosion, dort Ratlosigkeit und Unsicherheit. Unter anderem sind Mais und Weizen, an den Börsen „Agrarrohstoffe“ genannt, heiß begehrt.

Der Begriff „Rohstoff“ signalisiert bereits, dass man ihn so oder so nutzen kann. Ums Getreide rangeln zurzeit viele: Vegetarier, Autofahrer, Futterhersteller und natürlich Spekulanten. Die eine Ursache für einen leergefegten Getreidemarkt gibt es nicht, sondern einige Entwicklungen wirken zeitgleich: Etwa mehr Kaufkraft in Schwellenländern und, daraus resultierend, neue Ernährungsgewohnheiten, was die Nachfrage nach mehr Milchprodukten und Fleisch erhöht und damit nach mehr Getreide.

In China etwa wird bald das 1000. McDonalds-Restaurants eröffnet, während schon mehr als 2000 Kentucky-Fried-Chicken-Filialen existieren. Der Trend ist eindeutig: Wandern schon heute rund 50 Prozent der Welternte nicht mehr in die Backstuben, wird es künftig (noch) weniger sein.

Weitere Verknappungsfaktoren: Eine vernachlässigte Landwirtschaft in der Dritten Welt und die dort grassierende Landflucht in die Städte; vor der Globalisierung stillgelegte Agrarflächen in Europa, weil man das Mengenproblem für gelöst hielt; zunehmende Wassernot, weshalb die Flächen mit künstlicher Bewässerung sich Jahr für Jahr verringern; die Weltbevölkerung wächst weiter.

Schließlich Missernten infolge des Klimawandels: Felder verdorren oder werden von Starkniederschlägen überflutet. Zugleich puschen Teile der Nahrungsproduktion selbst die globale Erwärmung, weil einige Prozesse höchst effektiv wirkende Treibhausgase – Distickstoffoxid (Lachgas) und Methan (Sumpfgas) – freisetzen. Es ist nicht nur das Kohlendioxid aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe, das die Welt erwärmt.

Rund 6,7 Milliarden Menschen stehen inzwischen etwa 20 Milliarden Nutztiere (Geflügel, Schweine, Schafe, Ziegen, Rinder) gegenüber. Deren Futter kommt größtenteils aus der Weltgetreideernte. Und wenn das nicht reicht, werden Regenwälder für kurzlebige Weiden brandgerodet, wodurch riesige Kohlendioxid-Mengen freigesetzt werden.

Schon 1994 hatte Jeremy Rifkin mit seinem Buch „Das Imperium der Rinder“ die Amerikaner verunsichert: „Für jeden in den USA verspeisten Hamburger werden sechs Quadratmeter Urwald in Weidefläche umgewandelt.“ Lach- und Sumpfgas sind dagegen unmittelbar mit der Getreide- und Fleischproduktion gekoppelt.

Der Lachgas-Faktor: Distickstoffoxid ist ein rarer Stoff in der Natur, obwohl ungebundener Stickstoff mit einem Anteil von 78 Prozent in der Atmosphäre reichlich vorkommt. Pflanzen, Tiereund Menschen sind auf Stickstoff angewiesen, doch wie bekommt man ihn aus der Atmosphäre? Diese Umwandlungsschiene führt durch ein Nadelöhr – über hochspezialisierte Bodenbakterien. Sie saugen den Stickstoff aus der Luft und legen ihn den Pflanzen als Ammonium oder Nitrate auf den „Speiseteller“.

Indem Tiere Pflanzen fressen und der Mensch beide, gelangt der Stickstoff auch zum Homo sapiens. Doch Leistung und Zahl dieser Mikroorganismen sind begrenzt. Aber: Man kann nachhelfen, indem der Boden jene Nährstoffe ersetzt bekommt, die Pflanzen ihm entziehen. Das entdeckte der deutsche Chemiker Justus von Liebig schon 1840.

Das war die Geburtsstunde des Kunstdüngers. Forscher entwickelten bald hoch wirksamen Kunstdünger auf Erdölbasis (zwei Tonnen Öl = eine Tonne Kunstdünger), der gemeinsam mit der Züchtung ertragreicher Hochleistungssorten die Grüne Revolution nach 1950 entfachte. Für eine optimierte Welternte stieg der Kunstdüngereinsatz zwischen 1940 bis 1990 um mehr als 3000 Prozent. Doch solches Bodendoping hatte ökologische Konsequenzen, unter anderem die verstärkte Lachgas-Emission.

Weil Energie damals preiswert war und somit auch Kunstdünger, wurde zudem oft überdüngt. So kam es zu überlasteten Gewässern. Zu viele Nährstoffe ließen nun Algen wuchern, die allen Sauerstoff verbrauchten. So ging einigen Seen buchstäblich die Luft aus. Der Methan-Faktor: Butter, Käse, Milch – alles Produkte von Wiederkäuern. Eine komplizierte Geschichte, die vor rund 400 Millionen Jahren begann und mit Kleinstlebewesen zusammenhängt, die im Untergrund leben.

Damals begannen Mikroorganismen im Ozean erstmals damit, das atmosphärische Kohlendioxid zu verzehren und als Abfallgas Sauerstoff freizusetzen. Ein Gas, das neu in die Welt gesetzt wird, ist zunächst einmal ein Gift. Davor flüchteten einige Bakterien notgedrungen ins Dunkle; sie nutzten Wasser, Bodenschichten und Gedärme als Sauerstoff-Isolierung. Und überlebten.

So wie Astronauten sich auf dem Mond mit künstlichem Sauerstoff versorgen, suchten diese Bakterien auf der Erde Schutz vor eben diesem Sauerstoff. Andere Arten „entdeckten“, von Evolutionskräften getrieben, dagegen die Sauerstoffatmung und leben bis heute im Hellen. Leben bedeutet Vielfalt und Symbiose.

Jede Lebensform gibt ein anderes Abfallgas ab, das für andere wiederum Lebenselixier ist. Menschen atmen Sauerstoff ein und Kohlendioxid aus, Pflanzen verbrauchen Kohlendioxid und setzen über die Photosynthese Sauerstoff frei, und einige Bakterien verzehren abgestorbene Biomasse und emittieren Methan, das jedoch kein lebender Endverbraucher benötigt und erst nach Jahren über komplexe Reaktionen in der Atmosphäre abgebaut wird. Trotzdem sind die emsig werkelnden Ur-Bakterien ein Segen.

Gäbe es sie nicht, würde die Biosphäre an ihren Toten förmlich ersticken. Myriaden von Methan absondernden Termiten sorgen etwa in den tropischen Böden dafür, dass abgestorbene Pflanzenmasse schnell aufgearbeitet, mineralisiert und wieder in die Nährstoffkreisläufe zurückgeschleust wird. Überlebt haben die Nachfahren der Ur-Bakterien auch im Pansen der Wiederkäuer, wo sie die schwer verdauliche zellulosereiche Nahrung zersetzen und Methan freisetzen.

Jede Kuh ist ein kleiner Reaktor, der pro Tag zwischen 70 Liter und 250 Liter Methan in die Luft bläst – je nachdem, ob es sich um ein abgemagertes Sahelrind oder ein 700-Kilogramm-Prachtexemplar auf einer schleswig-holsteinischen Weide handelt.

Seitdem die Klimaglocken Alarm läuten und Treibhausgasmessungen immer genauer werden, sind auch die Wiederkäuer in den Klimaschutz-Fokus geraten. Es ist offensichtlich: Der Methangehalt der Erdatmosphäre steigt und steigt. Mehr Menschen bedeuten mehr Reisfelder, mehr Nutztiere, auch mehr Mülldeponien, in denen es gärt und Bakterien organische Abfälle mineralisieren.

Vor allem aber mehr Fleischproduktion: Diese hat sich seit 1950 bis heute verfünffacht – auf über 250 Millionen Tonnen pro Jahr. Deshalb landet rund die Hälfte der Getreideernte im Viehtrog. Die Studie „Livestock’s long shadow“ (Der lange Schatten der Viehwirtschaft) der UN-Welternährungsorganisation FAO hat berechnet, dass die gesamte Fleischproduktion mit einem Anteil von 18 Prozent an der globalen Erwärmung sogar den des gesamten Verkehrs übertrifft. Darin sind enthalten: Brandrodung von Regenwaldflächen zur Schaffung von Weiden, Kunstdünger für den Futteranbau, Düngen mit tierischen Exkrementen.

„Bei den schwersten Umweltproblemen“, so steht es in dem 400-Seiten-Report, „gehört die Viehzucht jeweils zu den wichtigsten zwei oder drei Faktoren.“ Ob Bodenverluste, Rückgang der Artenvielfalt, Klimawandel, Luftverschmutzung, Wassernot und -verschmutzung: Der Einfluss der Fleischproduktion ist überall deutlich spürbar.

Ganz neu sind die Erkenntnisse nicht, eher verdrängt, weshalb die Umweltstiftung World Wide Fund for Nature (WWF) ihre Studie „Die vergessenen Klimagase“ (Methan und Lachgas) nennt. Darin hat Harald von Witzke, Professor für Agrarwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität, ausgerechnet, dass es von der Treibhausgaswirkung her keinen Unterschied mache, ob jemand sich eine Kuh halte oder im Jahr 18000 Kilometer mit dem Auto fahre.

So treibhauswirksam sind die Methanrülpser der Wiederkäuer. Andere Studien, bei denen Kühe in luftdichte Kammern geführt wurden, förderten Überraschendes zutage. Wird Getreide statt Gras und Heu verfüttert, verringert sich das Methanabgas um rund ein Drittel. Ein Ergebnis, was die Welternährungslage nicht gerade entspannt. Ausgerechnet die Turbo-Kuh im Stall ist – zumindest unter der Klimaschutz-Brille – jetzt die Öko-Kuh.

Es bleibt also kompliziert. Und ein Teilproblem in einem komplexen Ursache-Wirkungs-Dickicht zu lösen, ohne ein neues unbeabsichtigt zu schaffen, bleibt die große Herausforderung.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort