Das Kino und die Klimadebatte

Der kränkelnde Planet wird zum Kinostar: Am 7. Februar kommt „Unsere Erde“ auf die Leinwand – angeblich „der größte Naturfilm aller Zeiten“

  Zeitgenossen mit Krallen und Zähnen:  Weiße Haie und Eisbären besetzen nur einige der Rollen im Öko-Epos "Unsere Erde - Der Film" von Alastair Fothergill und Mark Linfield.

Zeitgenossen mit Krallen und Zähnen: Weiße Haie und Eisbären besetzen nur einige der Rollen im Öko-Epos "Unsere Erde - Der Film" von Alastair Fothergill und Mark Linfield.

Foto: dpa

"I’ve seen the future, brother: it is murder.“ Leonard Cohen hat die Zukunft gesehen: Sie ist düster. Cohens von Pessimismus getränkte Vision – sie stammt aus dem Jahr 1992 – könnten viele Künstler unterschreiben. Die Apokalypse ist ihr Freund. Der Brite George Orwell stimmte die Menschheit im vergangenen Jahrhundert literarisch auf ihr Schicksal ein: mit dem präzise datierten Roman „1984“. Das Jahr haben wir gut überstanden.

Man kann die Kunst für ihre Aussagen zur Wirklichkeit nicht haftbar machen. Musik, Literatur und Film können die Zukunft nicht vorhersagen und die Welt nicht verändern, sie können sie beschreiben, analysieren und kritisieren, das Publikum allenfalls für ein paar Augenblicke beeinflussen.

Die Meinungsführerschaft über die Klimadebatte, die gegenwärtig die Gesellschaft beschäftigt, hat das Kino übernommen. Das Medium reagiert wie immer am schnellsten, keine andere Kunstform ist so nah am Puls der Zeit. Vor vier Jahren kam Roland Emmerichs Umwelt-Thriller „The Day After Tomorrow“ ins Kino.

Wie eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung damals ermittelte, verhalf die Geschichte über eine neue, von Menschen verursachte Eiszeit in den nördlichen Breiten dem Thema Klimaschutz in Deutschland zu breiterer Aufmerksamkeit. Viele Menschen setzten sich mit der Rolle der Ozeane auseinander und plädierten für eine engagierte Klimapolitik; sogar die Ökosteuer verbesserte in diesem Zusammenhang ihr Image.

82 Prozent der befragten Kinobesucher nahmen eine klare Botschaft mit nach Hause: „Wir müssen den Klimawandel unbedingt aufhalten.“ Nachweisbare Folgen hatte das natürlich nicht. In den USA, wo Emmerichs 132 Millionen Dollar teures Werk sehr gut lief, setzte 2004 kein massiver Bewusstseinswandel ein. Den schaffte erst eine reale Naturgewalt.

Hurrikan Katrina zerstörte 2005 die amerikanische Stadt New Orleans – und gleichzeitig die Illusion, Herr über die Klimaverhältnisse zu sein. Die Welt war nun bereit für Al Gore. Der Erfolg seines Dokumentarfilms „An Inconvenient Truth“ („Eine unbequeme Wahrheit“, 2006), in dem er den Zusammenhang zwischen Treibhausgasen und Erderwärmung untersucht, wäre ohne die Intervention Katrinas weniger durchschlagend gewesen.

Die Erde spielte die Hauptrolle in Gores pädagogisch wertvollem Szenario, der kränkelnde Planet wurde zum Kinostar. Hollywood hat schnell erkannt, welches dramatische Potenzial, welche Profite diese Entwicklung birgt. Hier gilt wieder die alte mediale Erfolgsformel: „Bad news is good news.“

Frei übersetzt: Schlechte Zeiten – gute Zeiten. Ohne Kosten zu scheuen, schickten die Amerikaner zuletzt Will Smith in den Endzeit-Kampf: Francis Lawrences „I Am Legend“ bemüht Bob Marley für das musikalische Leitmotiv des Films. In dem Song „Three Little Birds“ heißt es: „Don’t worry ’bout a thing.“ Das ist ironisch gemeint. Europa ist ebenfalls nicht untätig geblieben.

Am 7. Februar kommt „Unsere Erde – Der Film“ über uns, der „größte Naturfilm aller Zeiten“ (Eigenwerbung), eine Hymne an die Weite und Kraft der Natur, Eisbären inklusive. Das Publikum für diese Filme ist da. Naturschutz, heißt es, sei der neueste Religionsersatz. Und lieben nicht alle Menschen Knut?

Roland Emmerich und Kollegen stehen in einer langen Tradition. Kino – man denke nur an „Titanic“ – ist ohne Katastrophen nicht denkbar. Und ohne schlechtes Wetter schon gar nicht. Was wäre Ridley Scotts „Blade Runner“ ohne unheilschwangeren Dauerregen? Kino-Klimakatastrophen waren in der guten alten Zeit – sozusagen ante Emmerich – Produkte kranker Hirne oder fremder Mächte.

Verrückte Wissenschaftler, Kalte-Kriegs-Gegner oder schlicht Außerirdische waren schnell als Schuldige ausgemacht und zum Happy End eliminiert. Da machte Desaster noch richtig Spaß. „The Day After Tomorrow“ konnte, ja musste man 2004 als Kommentar zur Lage der Natur lesen. Klimaforscher warnten in dem Film – natürlich erfolglos – die bornierte Elite Amerikas vor Klimaerwärmung und Eisschmelze an den Polkappen.

Dann brach früher als prognostiziert die Katastrophe über New York und Los Angeles herein, die Menschen mussten sich warm anziehen. Am Ende stand die vage Hoffnung, dass die Menschen und insbesondere die politisch Handelnden aus ihren Fehlern lernen würden.

Emmerich, dem Bilder von gruseliger Schönheit gelangen, arbeitete mit bekannten Mustern und Motiven: Pathos, Lovestory, Vater-Sohn-Konflikt, leerer politischer Rhetorik und plakativen Klima- Thesen. Er wolle unterhalten, hat sich Emmerich gerechtfertigt. „Aber hauptsächlich habe ich den Film gemacht, um zu zeigen, wie sich eine Umweltkatastrophe politisch auswirkt.“

Der Franzose chat es eine Nummer kleiner, privater. Vielleicht wirkt er deshalb so authentisch und überzeugend. Als Junge verbrachte der Regisseur von „Die Reise der Pinguine“ (2005) und „Der Fuchs und das Mädchen“ (2007) seine Zeit damit, durch die Wälder in der Bergregion des Départements Ain zu laufen und die Natur am Rand des Montblanc-Massivs zu erkunden.

Dabei kam es zu einer schicksalhaften Begegnung mit einem Fuchs. Es entstand eine starke, emotionale Bindung zu dem Tier, die zum Ausgangspunkt für Jacquets Karriere als Tierfilmer werden sollten. In „Der Fuchs und das Mädchen“ wird die frühe Kindheitserinnerung zur Basis eines poetischen Märchens, in dem noch einmal der Zauber beschworen wird, den ein inniges Verhältnis zur Natur auslösen kann.

Jacquet hat 2005 mit seiner fiktionalen, stellenweise sentimentalen Dokumentation „Die Reise der Pinguine“ ein großes Publikum erreicht – und zu Tränen gerührt. Jacquet und sein Team begleiteten Kaiserpinguine auf ihrem langen Marsch in die Antarktis, den ungastlichen Ort, an dem die Tiere sich vermehren wollen und also balzen, was das Zeug hält.

Der Film betrachtete die Tiere mit liebevollem Blick, amüsierte sich über jeden tollpatschigen Ausrutscher (das lateinische Wort „pinguis“ bedeutet „fett“, „plump“). Doch die Katastrophen des Alltags zeigte er eben auch. Der drohende Tod war ein allgegenwärtiger Schatten auf der scheinbaren Schwarzweiß-Idylle.

Die Wahrheit über seine unwiderstehlichen Hauptdarsteller, die schwer auf Familie machten, enthielt der Filmemacher dem Publikum vor. Königspinguine neigen zur Promiskuität, Bisexualität und Prostitution gehören zum Alltag der flugunfähigen Meeresvögel. Da stand der Satz aus dem Off „Wir haben uns Liebe geschworen“ doch schnell unter Kitsch-Verdacht.

Dem Publikum war’s egal. Es siegte die Fiktion über die Biologie, das Herz übers Hirn. Und warum nicht. Jacquets Werk war trotz aller Disney-Effekte getragen von großem Ernst. Dass man sich dem Thema dennoch leichtfüßig nähern kann, bewies der Amerikaner George Miller 2006 mit dem Animations-Hit „Happy Feet“. Da konnte man noch lachen, wenn Pinguin Mumbles und Co. zu den Tönen von „Boogie Wonderland“ tanzend austickten. Derweil die Polkappen schmolzen.

Den bisherigen Höhepunkt der Auseinandersetzung des Kinos mit dem Thema Natur haben die Briten Alastair Fothergill und Mark Linfield geschaffen: „Unsere Erde – Der Film“ ist ein Werk der Superlative: fünf Jahre Produktionszeit, 200 Drehorte, Szenen aus 26 Ländern, mehr als 40 Kamerateams, 1000 Stunden Filmmaterial und 250 Tage Luftaufnahmen.

In den Hauptrollen: Eisbär, afrikanischer Elefant und Buckelwal. In den Nebenrollen (unter anderem): afrikanischer Wildhund, Gepard, Weißer Hai und Wolf. Fothergill und Linfield sind für das filmische Großunternehmen bestens qualifiziert. Sie waren maßgeblich an der weltweit erfolgreichen BBC-Fernsehserie „Planet Earth – As You’ve Never Seen It Before“ beteiligt.

Zehn Stunden und 43 Minuten zeigte die Serie die Wunder der Erde, nacherzählt von dem legendären Naturfilmer David Attenborough. „Unsere Erde – Der Film“ nimmt den Zuschauer auf eine Kurzreise mit, sie dauert 99 Minuten. Die sind gefüllt mit Aufnahmen von bisher ungesehener Brillanz.

Den Filmemachern und ihren Kameraleuten gelingt es, die Schöpfung gleichsam nachzuempfinden. Nichts kann sie aufhalten: Kälte oder Hitze, hungrige Löwen oder aufdringliche Eisbären. Sie entlocken der Natur ihre Geheimnisse, in Großaufnahme und in Zeitlupe, und entfalten gleichzeitig ein Drama, in dem es um Leben und Tod geht.

Der Kameramann Doug Allen hat die Jagd eines Geparden auf eine Antilope mit 1000 Bildern in der Sekunde eingefangen. Die extreme Zeitlupe enthüllt alles Nuancen des ewigen Kreislaufs von Fressen und Gefressen werden. Die stilisierte, scheinbar wie ein Ballett choreographierte Darstellung erhebt das Naturschauspiel zum Symbol, zum Gleichnis.

Die Poesie des Films ist ein Triumph der Technik. Den Eisbären am Nordpol spürt die Crew mit einer HD (High Definition)-Varicam-Kamera mit einem 800-Zoom-Objektiv nach. Die Kamera musste permanent warmgehalten werden, kein Wunder bei Temperaturen von minus 30 Grad. „Die Kamera ständig auf Stand-by zu halten, bedeutete einen enormen Energieverbrauch“, gab Jason Roberts, Logistikexperte Arktis, zu. Selbst die beste Tat hat ihren Preis.

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