Regionale Küche contra Lebensmittel-Tourismus

Können heimische Zutaten Spezialitäten aus aller Welt ersetzen? Spitzenkoch Hans Stefan Steinheuer über das Potenzial der Regionalküche mit Felchen aus Maria Laach, Wild aus der Eifel oder Kiwis von der Ahr

Regionale Küche contra Lebensmittel-Tourismus
Foto: dpa

Lebensmittel-Tourismus gehört heute zum kulinarischen Alltag. Wagyu Beef aus dem japanischen Kobe, Riesengarnelen aus dem Golf von Bengalen, Lamm aus Neuseeland – was auf deutschen Tellern landet, wird aus aller Welt eingeflogen.

Doch braucht die Spitzenküche unbedingt so weitgereiste Zutaten? Lässt sich mit den Produkten der Heimat nichts Gutes zubereiten? Fragen an Hans Stefan Steinheuer aus Bad Neuenahr, der wegen – oder eben auch trotz – seiner Regionalküche zu Deutschlands besten Köchen zählt.

Boulevard: Braucht die Sterne-Küche unbedingt kanadischen Hummer und japanisches Rindfleisch?

Hans Stefan Steinheuer: Es ist nach wie vor so, dass wir ohne Steinbutt, Hummer, Languste und Kaviar nicht gänzlich auskommen.

Boulevard: Woran liegt das?

Steinheuer: Es liegt an den Kollegen, die sich noch zu wenig in der Gegend umschauen, was es dort für Produkte gibt. Und es liegt an den Erzeugern, die noch zu wenig Qualität bringen. Das ganze Potenzial der Regionalität wird noch nicht genutzt, weil sich alle zu wenig damit auseinandergesetzt haben. Aber es gibt inzwischen mehr und mehr ausgezeichnete Produkte in der Nähe.

Boulevard: Mit denen sich auch Sterne erkochen lassen?

Steinheuer: Küche zeichnet sich durch Individualität aus. Und Individualität kann ich sogar noch besser unterstützen, wenn ich ein Produkt aus der Region nehme. Am Camembert haben wir das gelernt. Es gibt 200 Camembert-Erzeuger, und jeder ihrer Käse schmeckt anders, weil er einen anderen Pilz oder ein anderes Bakterium hat und jeder von einer anderen Wiese kommt.

Früher waren die Gastro-Visionen nur international. Heute sind sie mehr und mehr regional. Jeder Koch, der sich mit regionaler Küche auseinandersetzt, ist mit handwerklichem Können in der Lage, etwas Besonderes zu machen.

Boulevard: Sie sind eine Ausnahme. Warum gibt es in der gastronomischen Spitzenklasse so wenige, die sich mit Regionalküche profilieren?

Steinheuer: Es sind wenige, das ist richtig. Neben mir gehört noch Jean-Claude Bourgeuil dazu, der zwar in seinem Düsseldorfer Drei-Sterne-Restaurant Schiffchen französisch kocht, aber im Aalschocker, dem Lokal darunter, von jeher Regionales mit Sauerbraten oder Aal.

Boulevard: Ist es schwieriger regional als beispielsweise französisch zu kochen?

Steinheuer: Ich habe immer versucht, besondere Produkte aus der Region zu verarbeiten. Wild aus unserer Region gehört zum Besten, das es gibt. Aber natürlich ist es nicht immer leicht. Fasan ist beispielsweise schwieriger zuzubereiten als eine Taube aus der Bresse.

Boulevard: Gourmet-Dienste liefern Ihnen alles innerhalb von wenigen Stunden – von Wagyu-Beef bis Pyrenäen-Lamm. Ist der Einkauf in der Region aufwendiger?

Steinheuer: Der Einkaufsweg ist international nach wie vor einfacher. Es ist nicht leicht, hier an gute Produkte ranzukommen. Wir kaufen seit 20 Jahre regional ein. Wir kennen die Produzenten der Umgebung, wir haben viele, die uns ihre Angebote ins Haus bringen.

Aber leider ist die Gesetzgebung inzwischen restriktiv. Ein Jäger darf sein Wild nur noch für den Eigenbedarf nutzen oder an Wildhändler verkaufen. Wer Steinpilze sammelt, darf sie eigentlich nicht mehr an ein Restaurant verkaufen, sondern muss sie laut Gesetz selbst verzehren. Dabei sind die frischen Pilze aus den Wäldern der Umgebung im Normalfall besser.

Boulevard: Wenn Sie an Ihre Speisekarte im Gourmetrestaurant denken: Wieviel von den Zutaten sind regional?

Steinheuer: So ein Bolito misto vom Kaninchen mit Frühlingsgemüse und Kräuterschaum ist zum Beispiel ganz regional. Zum Glattbutt gibt es gerade Bärlauchgraupen, der Bärlauch kommt aus der Region. Für Saucen nehme ich Rotweinbutter, die ich mit Spätburgunder von der Ahr zubereite. Die Schalotten kommen aus der Gegend. Das Lamm stammt von der Maibachfarm. Das ganze Gemüse ist nach dem hiesigen Angebot ausgerichtet.

Womit wir Probleme haben, ist Fisch. Da wird es auch im Rest von Deutschland schwierig. Ich kenne einen bei Nürnberg, der hat gute Krebse. Und ab und zu treibe ich in Bayern richtig gute Saiblinge auf. Aber hier in der nahen Umgebung gibt es allenfalls Felchen von Maria Laach.

Boulevard: Lässt sich der regionale Anteil auf der Speisekarte auch in Zahlen fassen?

Steinheuer: Im Gourmetrestaurant kommen wir nicht ohne internationale Produkte aus, die regionalen machen 30 bis 40 Prozent aus. Anders im Landgasthof, den Poststuben. Da ist der Anteil der regionalen Produkte fast 80 Prozent.

Boulevard: Gibt es Luxusprodukte, auf die Sie künftig verzichten könnten?

Steinheuer: Auf Steinbutt oder Hummer schwerlich. Aber wir servieren dazu keine Bohnen aus Tralala, die eh nicht besonders schmecken, und kein Gemüse aus Südafrika oder Peru. Petersilienwurzel, Pastinaken, Sellerieknollen – all diese Dinge aus den Gärten der Umgebung schmecken viel besser.

Spargel ist nur gut, wenn er morgens gestochen wird und spätestens abends auf den Teller kommt. Der kurze Weg ist das wichtige. Der Spargel, der hier vor der Tür wächst, ist deshalb immer besser als der von Schrobenhausen.

Boulevard: Was ist mit fast schon alltäglichen Dingen wie Kiwis aus Neuseeland?

Steinheuer: Brauchen wir gar nicht mehr. Ein Nachbar hat letztes Jahr fünf Zentner Kiwi geerntet. Hier in Heppingen, nur 50 Meter entfernt von uns. Und er hat auch Feigen ohne Ende geerntet.

Boulevard: Zurzeit scheint Crossover oder arabische Küche in zu sein. Ist Regionalküche out?

Steinheuer: Das muss man positiv sehen: Arabisch ist eigentlich eine Gewürzküche. Und die gibt es auch hierzulande. Die besten Gewürzmischungen macht Ingo Holland im Alten Gewürzamt in Klingenberg am Main. Seine Gewürzmischungen eröffnen ein ganz neues Geschmacksspektrum.

Zum Beispiel Ducca. Das stammt ursprünglich aus Äthiopien und wird unter anderem aus Kichererbsen und Kreuzkümmel gemacht. Wir nutzen es für eine nordafrikanische Fischpanade zu geräucherten Rotbarben. So kann man regionale Küche neu interpretieren.

Boulevard: Muss man sich immer wieder etwas Neues einfallen lassen, damit Regionalküche nicht langweilig wird?

Steinheuer: Ja, klar. Molekularküche eröffnet dabei auch neue Möglichkeiten. Und ich meine nicht diese Gags, die nur dampfen und schäumen. Bei Molekularküche geht es um den Aggregatzustand zwischen heiß und kalt, flüssig und fest. Dabei entstehen neue Bindemittel, zum Beispiel aus fermentierter Maisstärke oder vegetabiler Zellulose. Das Ergebnis sieht aus wie Gelatine, ist aber warm. Für den Gast ist das eine kulinarische Überraschung.

Boulevard: Bestellen Ihre Gäste heute bewusst Mineralwasser aus der Region?

Steinheuer: So weit ist das Bewusstsein noch nicht gediehen. Manche mögen Wasser mit weniger Mineralien und Kohlensäure. Und das darf dann immer noch aus Italien kommen.

Boulevard: Wie sieht es mit Wein aus? Deutschland bietet in Weiß und Rot heute Spitzenklasse.

Steinheuer: Es wird immer weniger international getrunken bei uns. Speziell an der Ahr, weil hier ja Weinbaugebiet ist. Es würde reichen, wenn wir auf der Karte 300 deutsche einschließlich der Ahr-Weine stehen hätten und daneben vielleicht 30 internationale. Die anderen 700 werden kaum nachgefragt. Aber ich kann mir kein Zwei-Sterne-Restaurant ohne internationale Weinkarte vorstellen. Wir müssen unseren Gästen eine Alternative bieten. Die hohen Bewertungen verpflichten.

Boulevard: Wäre Spitzengastronomie preiswerter, wenn man nur regionale Produkte verwendet?

Steinheuer: Nein, nicht bemerkenswert. Der größte Kostenaufwand steckt in der Handarbeit. Der Wareneinsatz selbst wäre kaum niedriger. Auch für guten Zander zahlt man viel.

Boulevard: Hat die Regionalküche trotzdem Zukunft?

Steinheuer: Ich würde heute jedem jungen Koch, der sich jetzt selbstständig machen will, raten, eine bodenständige regionale Küche zu machen, statt auf Sterne zu schielen. Individualität ist gefragt. Darin liegen die größten Chancen. Wenn jeder den gleichen Steinbutt macht, ist das nicht individuell.

Steinheuers Einkaufstipps in der Region:

Spargel:
Langen, Alte Str. 34, 53424 Remagen
Tel. (0 26 42) 2 23 04Ochsenfleisch:
Hofladen Leif, Ahrstr. 7, 53533 Müsch
Tel. (0 26 93) 37 2

Ziegenkäse:
Vulkanhof, Vulkanstr. 29, 54558 Gillenfeld
Tel. (0 65 73) 91 48

Fleischwurst, Schinken und Würste:
Metzgerei Wieland, Dorfstr. 9
53508 Mayschoss, Tel. (0 26 43) 85 10

Steinheuers Restaurant Zur Alten Post und Landgasthof Poststuben, Landskroner Str. 110, 53474 Bad Neuenahr-Heppingen, Tel. (0 26 41) 94 8 60
www.steinheuers.de

Steinheuer – Das Kochbuch. Collection Rolf Heyne, München. 192 S., 35 Euro

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