Modernisierung des Braunkohle-Sektors in Nordrhein-Westfalen

Das Land NRW und der Energiekonzern RWE setzten dabei 1994 auf Umweltschutz - Ihre großen Ziele drohen sie zu verfehlen

Düsseldorf. Helmut Linssen bewies erstaunliche Weitsicht. Kurz nachdem sich die sozialdemokratische Landesregierung von Johannes Rau 1994 für das zehn Milliarden Euro umfassende Kraftwerks-Erneuerungsprogramm hatte feiern lassen, machte der damalige CDU-Oppositionsführer auf etliche Schwachstellen in dem Vertragswerk aufmerksam.

"Das ist eine der größten Irreführungen der Öffentlichkeit, die ich je gesehen habe", polterte Linssen. Doch damals, vor 13 Jahren, vermochte der CDU-Mann nur die Umweltschützer zu überzeugen.

Johannes Rau und vor allem sein Umweltminister Klaus Matthiesen hingegen priesen den Vertragmit dem Energieriesen RWE als Jahrhunderttat. "Wir vereinen Umweltschutz und Arbeitsplätze", lobte sich Matthiesen, der den privatrechtlichen Vertrag mit dem Energiekonzern ausgehandelte hatte.

Man verständigte sich damals darauf, die existierenden Braunkohlekraftwerke am linken Niederrhein im Laufe der folgenden Jahre zu ersetzen. Beginnen wollte man mit den größten Dreckschleudern wie in Frimmersdorf. Die dortige Anlage versprach man bis 1999 vom Netz zu nehmen; zu diesem Zeitpunkt sollte längst das erste neue Kraftwerk mit deutlich höherem Wirkungsgrad fertig sein.

Für die Region, aber auch für die gesamte Republik hatte dieser Vertrag Folgen. Im Jahre 1994 wurde zwar noch nicht wie heute über den Klimaschutz debattiert, aber die Umweltaspekte standen für alle Beteiligten im Vordergrund der Diskussion.

Aus dem rheinischen Braunkohlerevier kamen damals wie heute rund 50 Prozent des in Nordrhein-Westfalen hergestellten Stroms. Das Land war das Energiezentrum der Republik und blieb es bis heute. Jede dritte Kilowattstunde wird auch gegenwärtig an Rhein und Ruhr erzeugt.

"Wir schaffen mit diesem Programm die Voraussetzungen für 27 Prozent Entlastungen bei den spezifischen CO2-Emissionen", versprach die RWE-Tochter Rheinbraun in großflächigen Werbeanzeigen. Wenn man Reiner Priggen diese Motive heute zeigt, macht er eine abweisende Handbewegung. "Das haben wir immer gesagt, die machen das nicht", sagt der energiepolitische Sprecher der nordrhein-westfälischen Grünen.

Neu gebaut haben die Verantwortlichen bei Rheinbraun bisher erst ein Kraftwerk, die 950 Megawatt starke Anlage in Niederaußem bei Bergheim. Sie wurde im Jahre 2002 eingeweiht.

Das Kraftwerk Frimmersdorf wurde jedoch, anders als von Matthiesen 1994 versprochen, bis heute nicht vom Netz genommen. Wenn man die RWE-Leute danach fragt, warum sie sich so viel Zeit lassen, erhält man immer die gleiche Antwort: "Schauen Sie in den Vertrag, er gilt nur, wenn sich die energiepolitischen Rahmenbedingungen nicht verändern", heißt es.

Reiner Priggen regt sich darüber auf. "Die Umsetzung des Vertrages muss hart eingefordert werden", fordert er - und nimmt damit die neue Landesregierung in die Pflicht. Der wiederum gehört der frühere Oppositionsführer Helmut Linssen an.

Der hat sich als Finanzminister mit kritischen Kommentaren noch nicht hervorgetan. Wohl aber sein Kabinettskollege Michael Breuer (CDU). Der Bundesratsminister forderte jüngst das Essener Energieunternehmen auf, den oft versprochenen Worten endlich Taten folgen zu lassen. Wie er sich das genau vorstellt, hat Breuer allerdings nicht gesagt.

Gegenwärtig wird nach Niederaußem auch in Neurath eine neue Kohlekraftanlage errichtet. Ob damit unter dem Strich wirklich - so wie in dem Vertrag zwischen Landesregierung und RWE festgelegt - bis 2030 eine Minderung des CO2-Ausstoßes um 27 Prozent erzielt wird, bezweifelt Reiner Priggen. "Die wollen konstant 100 Millionen Tonnen Braunkohle verstromen, demnächst nur mit effizienteren Kraftwerken, also produzieren sie mehr Strom bei gleichen Emissionen wie 1994", rechnet der Grüne vor.

Die RWE haben unterdessen andere Probleme. Die jüngsten Koalitionsgespräche zum Emissionshandel haben die gesamte Planung ins Wanken gebracht. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel möchte endlich größere Erfolge bei den Neubauten sehen und deshalb hat er bei der Zuteilung von Emissionsrechten eine Bremse für zu alte und weniger effiziente Braunkohlekraftwerke eingebaut.

Davon sind auch die alten Anlagen am Niederrhein betroffen. "Damit geben wir der Kohle und den Arbeitsplätzen eine Zukunft, sorgen aber gleichzeitig für geringeren CO2-Ausstoß", freut sich Gabriel.

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