Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe beschließen eine "Behördenallianz"

Organisationen arbeiten zusammen, um sich auf extreme Wetter vorzubereiten - Klimaforscher Mojib Latif schildert den Ernst der Lage und warnt vor Temperatursprüngen

Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe beschließen eine "Behördenallianz"
Foto: dpa

Bonn. Das Deutschland-Wetter für die nächsten Jahre kann Professor Mojib Latif vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften an der Universität Kiel bereits vorhersagen - zumindest in der Tendenz: "Die kalten Extreme nehmen ab, die warmen zu."

Und: "Mehr Niederschläge, insbesondere im Winter." Regen, der zunehmend als Sturzregen vom Himmel fallen werde. Ob deutsche Feuerwehren und die Mannschaften des Technischen Hilfswerkes (THW) dafür ausreichend gerüstet sind?

Genau um diese und andere Fragen zu klären, hatte gestern Stephan Unger, Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) in Bonn-Lengsdorf, zum Workshop "Klimawandel und seine Auswirkungen auf den Bevölkerungsschutz" eingeladen. Unger: "Stunden vor dem Orkan Kyrill wurde ich auf der Autobahn von drei Radiosendern um Vorsorgetipps für die Bevölkerung gebeten. Da ist es natürlich zu spät."

Um Bevölkerung und Hilfsdienste auf künftige Extremwetter in einer wärmeren Welt vorzubereiten, riefen Vertreter von BKK, THW, Deutschem Wetterdienst (DWD) und des Umweltbundesamtes (UBA) eine "Behördenallianz" ins Leben.

Das Thema Klimawandel sei nun fast überall angekommen, sagt THW-Vizepräsident Rainer Schwierczinski: "In 0,1 Sekunden gab es auf Google 5,7 Millionen Einträge." Man müsse auf mehr wetterbedingte Katastrophen vorbereitet sein: "Wir fangen heute an, eine neue nationale Sicherheitsarchitektur zu errichten."

In komplexen Gesellschaften seien insbesondere die Infrastrukturen Energie, Wasser und Gesundheit die neuralgischen Punkte. "Der Orkan Kyrill hat schon den gesamten Bahnverkehr lahmgelegt", sagt Unger, "es geht also auch ohne Lokführer-Gewerkschaft."

In seinem mit Kurven und Daten gespickten Vortrag über das Fieber der Erde nimmt Klimaforscher Latif kein Blatt vor den Mund. Er rechnet vor: "0,8 Grad Celsius Temperaturerhöhung seit der industriellen Revolution, 0,5 Grad kommen ganz sicher in den nächsten Jahrzehnten hinzu, da haben wir nicht mehr viel Luft bis zu den angestrebten 2,0 Grad." Bevölkerungsschützer sollten realistischerweise von 3,0 Grad Celsius ausgehen. Wobei das ein Durchschnittswert ist. Auf Kontinenten wird die Erwärmung wesentlich stärker ausfallen.

Die Realität macht dem renommierten Forscher jedoch zurzeit wenig Mut. Faktor eins: Latif wirft ein aktuelles Satellitenbild von der nächtlichen Erde auf die Leinwand - "Hier sehen Sie, wo es überall brennt." Rings um den Äquator stehen die Wälder in Flammen.

Latif: "Aber alle Welt redete kürzlich über die Waldbrände in Griechenland und Kalifornien. Das ist ein Wahnsinn." Warum? "Wenn wir die anderen Feuer löschen, sparen wir sofort jährlich 20 Prozent Kohlendioxid." Aber die Staaten schafften noch nicht einmal das Fünf-Prozent-Ziel von Kyoto.

Faktor zwei: Der tatsächliche Verbrauch fossiler Brennstoffe, gepuscht durch das wirtschaftliche Erwachen Chinas, hat rasant zugelegt. Der aktuelle Treibhausgas-Ausstoß nähere sich schon heute einem Niveau, wie ihn der Weltklimarat (IPCC) erst für sein schlimmstes Szenario annehme. Latif: "Die Industriestaaten müssen bis 2050 rund 80 Prozent Kohlendioxid einsparen, um anderen Ländern eine Chance auf Entwicklung zu lassen."

Für Latif und seine mehr als 2 000 Kollegen vom IPCC steht fest: "Es passiert jetzt das, was die Modelle schon vor Jahrzehnten vorhergesagt haben. Und egal, was wir tun, es wird sich weiter erwärmen." Eine Folge des außerordentlich trägen Klimasystems: Zwischen Ursache und Wirkung vergehen lange Zeiträume.

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