Mit dichterer Besiedlung steigt das Risiko

Bonner Expertenrunde beklagt fehlende Koordination der internationalen Hilfe bei Erdbeben - Sechs-Punkte-Programm - Stärkere Zusammenarbeit

Bonn. Chaos aus Trümmern und Staub, Hilfeschreie, der Geruch des Todes - so gleichen sich die Eindrücke von den Erdbeben in El Salvador und Indien. Jede Stunde ist wertvoll und entscheidet über das Überleben der Opfer. Doch vieles kann die Arbeit von Hilfsorganisationen behindern und verzögern: Ein Zöllner, der die Helfer rund sechs Stunden wegen irgendwelcher Formalitäten festhält, oder aber mangelnde Koordination, weil im Erdbebengebiet das Telefonnetz zusammengebrochen ist.

"Im Schnitt gibt es weltweit jährlich etwa 15 Beben mit einer Stärke größer 7,0 auf der Richterskala", sagt Professor Friedemann Wenzel, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates des Deutschen Komitees für Katastrophenvorsorge (DKKV) mit Sitz in Bonn. 2001 hätten sich bereits fünf Beben dieser Stärke ereignet.

Die Häufigkeit habe sich im Lauf der Jahre kaum geändert, da Erdbeben durch langfristige plattentektonische Prozesse gesteuert würden. Wenzel: "Doch obwohl die Zahl dieser Naturereignisse gleich bleibt, nimmt das Risiko für die Menschen zu, weil die Besiedlungsdichte immer mehr steigt."

Eine bessere Koordination internationaler Hilfe und wirksamere Prävention in erdbebengefährdeten Gebieten fordern deshalb die Experten des DKKV. "Manches lässt sich besser machen", meint Wenzel. "Nicht alle Entwicklungsprojekte werden systematisch auf substanzielle Maßnahmen zur Erdbebenvorsorge geprüft."

Indien selbst habe die betroffene Region vorher als "höchst gefährdet" eingestuft und eigentlich auch strenge Bauvorschriften erlassen, berichtet Wenzel. Doch die starken Zerstörungen auch neuerer Gebäude deuteten darauf hin, dass die strengen Bauvorschriften missachtet wurden.

Die Bonner Expertenrunde schlägt deshalb vor, Entwicklungsprojekte - zum Beispiel von BMZ, KFW und Weltbank - stärker mit Vorsorgemaßnahmen in erdbebengefährdeten Gebieten zu verknüpfen.

Dazu gehören so genannte verbindliche Mindeststandards in den Bauvorschriften. Auch in der Vergangenheit erhoben Experten vor Erdbeben (mit katastrophalen Folgen) immer wieder den Vorwurf, dass Bauvorschriften nicht eingehalten worden waren. Warum solches Fehlverhalten letztlich ohne Konsequenzen blieb, erklärt Professor Volker Linneweber vom Institut für Psychologie der Universität Marburg so: "Das Verhalten ist typisch für ein seltenes Ereignis. Auch Autounfälle sind relativ selten. Ohne Strafe bei Missachtung der Gurtvorschrift würden heute wahrscheinlich noch die meisten ohne Gurt fahren." Die wissenschaftlichen Kenntnisse über Erdbeben nähmen immer mehr zu, aber es hapere an den Konsequenzen. "Da sind Sozialwissenschaftler gefragt", sagt Linneweber. Für die Konsequenzen sei schließlich der Mensch verantwortlich, vom mangelnden Risikobewusstsein bis hin zu Problemen durch profilierungssüchtige Helfer.

Oft macht auch fehlende Koordination guten Absichten einen dicken Strich durch die Rechnung. "Die Hilfsbereitschaft ist manchmal sogar kontraproduktiv zur erforderlichen Hilfe", sagt Dietrich Läpke von der Leitung des Technischen Hilfswerks (THW) in Bonn. Auf nationaler Ebene gebe es kaum Probleme mit der Koordination, aber auf internationaler Ebene erhebliche.

Läpke: "Die Institutionen, die Hilfe leisten wollen, sollten sich vorher bei der Koordinierungsstelle der Vereinten Nationen in Genf erkundigen, wo welche Hilfe benötigt wird und wer sie schon leistet." Mangelhafte Zusammenarbeit führe häufig zu Bergen an Decken und Lebensmitteln, während andere Hilfsgüter viel dringender benötigt würden.

Die Experten hoffen deshalb auf den Segen moderner Informationstechnologie. Würden die einzelnen Planungen und Anstrengungen im Internet dokumentiert, dann wäre "weltweit sichtbar", so Läpke, "wer wie helfen will und was schon gemacht wird".

Die Bonner Gesprächsrunde entwarf ein Sechs-Punkte-Programm, das in das Aktionsprogramm des Komitees übernommen werden soll. Über Bauvorschriften und bessere Koordination der Hilfstrupps durch die Search and Rescue Convention Initiative der Vereinten Nationen hinaus setzen die Forscher auch auf die Stärkung lokaler Strukturen durch Partnerschaften, beispielsweise zwischen Städten und zwischen Feuerwehren. "Das ist besser, als wenn das irgendwelche Ministerien versuchen", weiß Läpke.

Zur Verbesserung der Prävention gibt es offenbar keine Alternative. Die Erdbeben-Vorhersageforschung der vergangenen Jahrzehnte hat keinen Durchbruch geschafft. "Wann die Erde wo bebt, lässt sich weiterhin nicht vorhersagen", erklärt etwa der Geophysik-Professor Hans-Joachim Kümpel von der Bonner Universität. Eines seiner Projekte beschäftigt sich mit Erdbebenvorhersagen in Indien. Die Wissenschaftler beobachten dabei bestimmte Anomalien in der Erdkruste im Vorfeld von Beben.

"Die Unsicherheiten solcher Prognosen haben sich als sehr groß erwiesen", sagt Kümpel. Erdbebengefährdete Gebiete ließen sich aber, immerhin, ausweisen. "Nur wann welches Beben einer bestimmten Stärke eintritt, bleibt offen."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort