Im Kölner Raum sind 6,4 auf der Richterskala möglich

Wissenschaftler fordern nach den Erdbeben in El Salvador und Indien mehr Forschung

Bonn. Die Bilder der Verwüstung aus El Salvador und West-Indien führen die katastrophale Wirkung von Erdbeben vor Augen. Für Deutschland sehen Experten nur eine "geringe Ereigniswahrscheinlichkeit" solcher Erschütterungen. Trotzdem mahnen Seismologen, Geologen und Bauingenieure, dass auch hierzulande dringend mehr geforscht werden müsse.

Ein Beben der Stärke sechs in Köln würde Gebäude im Wert von 25 Milliarden Mark zerstören - öffentliche Bauten nicht mitgerechnet. Professor Peter Bormann vom GeoForschungszentrum Potsdam stellte bei Untersuchungen im Raum Köln fest, dass aufgrund der Untergrundverhältnisse und der Bebauung vor allem im Stadtgebiet Köln Hochhäuser bei Beben gefährdet sind. "Der mäßigen Gefährdung steht eine enorme Ansammlung von Werten und teilweise hochrisikoträchtigen Industrien gegenüber", sagt Professor Stavros Savidis von der Technischen Universität Berlin.

Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Erdbebeningenieurwesen und Baudynamik (DGEB) nennt die Brennpunkte: der Südwesten Deutschlands, insbesondere zwischen Bodensee und Stuttgart, der Großraum Köln bis Aachen sowie der Südwesten Sachsens. Die letzten Beben mit hohen Schäden ereigneten sich 1978 in Albstadt in der Schwäbischen Alb und 1992 in der Nähe von Heinsberg (Niederrheinische Bucht). Die Forschungsgruppe Geowissenschaften der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft schätzte ab, welche Gebäudeschäden bei Erdbeben im Kölner und Frankfurter Raum entstehen würden. Anlass gaben paläoseismologischen Untersuchungen in Süd-Belgien, die Erschütterungen von einer Stärke wie im italienischen Friaul 1976 mit 6,4 auf der Richterskala möglich erscheinen lassen.

In Köln ist bei einer solchen Stärke mit Schäden in Höhe von 94 Milliarden Mark zu rechnen. In Frankfurt würden sich bei einer Stärke von sechs die Kosten auf 36 Milliarden Mark belaufen. "Für den Großraum Stuttgart wären ähnliche Werte wie in Frankfurt zu erwarten", sagt Anselm Smolka von der Forschungsgruppe. Das bezieht sich nur auf private Gebäude.Der Geowissenschaftler macht unmissverständlich klar: "Wenngleich die Wahrscheinlichkeit dieser Erdbebenszenarien gering ist, ist die Möglichkeit, dass sie eintreten, doch eine Realität." Die Experten fordern, mehr in die Forschung und in die Bautechnik zu investieren. In der Schweiz gibt es mittlerweile einen Entwurf für ein "Nationales Aktionsprogramm zur Reduktion von Erdbebenschäden".

"Bislang werden Erdbeben in Deutschland kaum als echte Katastrophengefahr wahrgenommen", sagt Anselm Smolka. Dominik Lang vom Erdbebenzentrum der Bauhaus-Universität Weimar unterstreicht dies: "Es fehlt eine Risikokultur. Entweder wird das Risiko übertrieben oder es wird verharmlost."

Zwar sei die Frage, ob ein Beben von einer Stärke von mehr als sieben mit katastrophalen Folgen in Deutschland möglich sei, "vorsichtig zu verneinen". Doch fehlten eindeutige Aussagen, wie sich insbesondere Bauten wie Schulen und Krankenhäuser in den gefährdeten Gebieten bei schweren Beben verhalten.

Es gibt keine Übersicht über die Gebäude, die nach der Erdbebennorm DIN 4149 errichtet wurden. Diese Norm aus dem Jahr 1981 bezieht sich auf normale Bauten, nicht auf Brücken und Industrieanlagen mit hohem Risikopotenzial, wie etwa die chemische Industrie. "Hier herrscht eine regelrechte Grauzone", so Lang. Außerdem, so kritisiert die DEGB, sind die Richtlinien veraltet. Einen Meilenstein zum erdbebensicheren Bauen sieht Ingenieur Lang in der Neufassung der Erdbebennorm DIN 4149, die zur Zeit vorbereitet wird. Doch ihre Einführung bleibt Ländersache. Bisher ist die DIN nur in Baden-Württemberg verpflichtend.

Richter-Skala

Erdbeben entstehen, wenn sich ineinander "verhakte" tektonische Platten mit einem Ruck voneinander lösen. Die Stärke wird meist nach der Skala gemessen, die Charles F. Richter in den 1930ern entwickelt hat. Sie beschreibt die vom Erdbeben freigesetzte Energie in logarithmischer Abstufung. Das bedeutet, dass sich die Stärke der Beben von Grad zu Grad verzehnfacht. Ein Beben der Stärke 2,5 ist kaum zu spüren, aber mit Seismographen aufzuzeichnen. Ein zehnfach stärkeres Beben (3,5) nehmen Menschen deutlich war. Ab 4,5 sind sind lokale Beschädigungen möglich. Ab 6,0 spricht man von einem zerstörerischen Erdbeben, ab 8,0 von einer katastrophalen Erschütterung.(sj)

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