Himmel und Erde Die Robin Hoods der Bäume

KÖNIGSWINTER · Tollkühne Männer und kreischende Sägen: Bauminspektorenpflegen Bäume und sorgen für die nötige Sicherheit.

 Die Libanon-Zeder - ein Blickfang am Drachenfels-Eselsweg. Harald und Gisela Müller erzählen Kevin Blackburn die Geschichte des Baumes, der vor fast 65 Jahren gepflanzt wurde.

Die Libanon-Zeder - ein Blickfang am Drachenfels-Eselsweg. Harald und Gisela Müller erzählen Kevin Blackburn die Geschichte des Baumes, der vor fast 65 Jahren gepflanzt wurde.

Foto: Roswitha Oschmann

Eine Säge kreischt. Auf der Jacke von Harald Müller setzen sich winzige „Diamanten“ fest. „Männerglitzer“, sagt Kevin Blackburn lachend, während sein Bruder Alexander hoch oben in der Eiche auf einem Ast balanciert und dabei geschickt mit der Handsäge Zweige wegputzt, die der jüngste Bruder Luke am Boden gleich zum Häckselwagen schafft. Das Sägemehl ist der Schmuck dieser „Baumakrobaten“, die auf dem Grundstück von Harald und Gisela Müller am sagenhaften Drachenfels eine Eiche inspizieren. „Unser Hexenbaum“, meint Müller, „im Sommer spendet er super Schatten.“

Die Blackburns sind da, um die Krone zu pflegen, sie winddurchlässiger zu machen und sie dabei so zu „frisieren“, dass auf das neue Satteldach des Hauses bei Sturm kein Ast fallen kann. Müllers Eltern und Großeltern waren Eigentümer des ehemaligen Hotels „Vater Rhein“ unterhalb seines Grundstücks. „Als ich zehn war, hatte die Eiche schon ungefähr die jetzige Höhe“, erinnert sich der 64-Jährige. „Wegen des Dauerwindes am Drachenfels wächst der Baum langsam“, weiß Kevin Blackburn.

Dass der „Hexenbaum“ der Müllers überhaupt noch immer so stolz in den Himmel ragt, hat er Gary Blackburn zu verdanken, dem Vater der drei jungen Männer. Er ist quasi der Robin Hood der Bäume. Denn: Im legendären Sherwood Forrest, dem Wald mit den alten, mächtigen Eichen, wo einst der berühmte Held sein Hauptquartier gehabt haben soll, genoss Gary Blackburn während seiner fundierten Ausbildung zum Baumchirurgen am renommierten Merrist Wood College in Surrey zahlreiche praktische Einsätze.

Robin Hood soll sich mit seinen Gefährten am liebsten in dem größten und ältesten Baum „Major Oak“ versteckt haben. Vielleicht haben ja die Geschichten um diese sagenhafte Gestalt dazu geführt, dass die Engländer es schon früh verstanden, mit der sogenannten Doppelseiltechnik zu klettern und zu sägen? Wegen dieser Technik wurden jedenfalls einige von ihnen vor Jahrzehnten von deutschen Unternehmen engagiert. So wie Gary Blackburn, der dann Anfang der 80er Jahre den Baumdienst Siebengebirge gründete, der sich schon bald einen überregionalen Ruf erwarb.

Das Schicksal der Müller-Eiche liegt schon lange in seinen bewährten Händen. Gary Blackburn hatte vor Jahren einen Pilzbefall festgestellt. Die Eigentümer zögerten keinen Moment, ihren kranken Baum dem Chirurgen anzuvertrauen. Dieser schnitt kranke Äste aus und bohrte Löcher in die Wurzeln, gab Langzeitdünger und Mineralien hinein. So gestärkt, kommt der Baum mit dem Pilz klar.

Ob die alte Eiche mal zum „Major Oak“ des Drachenfels wird? Jedenfalls ist sie eine Augenweide. So wie auch die Libanon-Zeder, die Müllers Großvater Franz Walbröl zur Geburt des Enkels am 1. Oktober 1953 pflanzte. „Ich habe sie wachsen sehen.“ Vor Jahren glaubte Müller, dass die Lebensuhr seines Baumes abgelaufen sei. Er bestellte die Blackburns zum Abholzen. Aber die holten nicht die Axt raus, sondern das OP-Besteck. Das Totholz wurde entfernt, der Baum um zwei Meter gekürzt und die drei Spitzen, die sich im Laufe des Wachstums gebildet hatten, erhielten eine Manschette, so dass sie sich bei Sturm gegenseitig stützen. „Seither ist mein Baum schön nachgewachsen“, erfreut sich Harald Müller an der Pracht seines Geburtsbaumes.

Hätte die Zeder von klein auf fachkundige Pflege gehabt, wäre die Fehlbildung gar nicht erst entstanden. „Bei richtiger Erziehung hätte sie nur einen Trieb nach oben gebildet“, erklärt Blackburn. Es spart Kosten, wenn schon ab der Kinderstube der Baumdoktor ins Spiel kommt. Die Jungbaumerziehung ist das A und O. Profis achten darauf, dass die Energie durch den korrekten Schnitt in die richtigen Bahnen gelenkt wird. Haupttriebe werden vereinzelt. Eine Kronenpflege alle fünf bis zehn Jahre ist ideal.

Und was macht einen perfekten Baum aus? Kevin Blackburn: „Er hat eine schöne Rundung, um Wind und Wetter abweisen zu können.“ Die Blackburns lieben Bäume. „Leidenschaft für diese Arbeit ist unerlässlich. Ein Fitnessstudio braucht man nicht. Das Klettern ist sehr anstrengend“, sagt Alexander, während er nach dem Abseilen seinen Schutzhelm abnimmt. Er trägt Schnittschutzhose, -schuhe und -ärmel. Sicherheit hat höchste Priorität bei dieser Arbeit. Das Kletterzeug wird ständig kontrolliert. Statt auf Karabinerhaken setzen die Männer auf Knoten. Und auf eine fundierte Ausbildung. Sie sind Baumchirurgen und -inspektoren sowie „European Treeworker“.

Die schönsten Bäume haben die Blackburns in England gesehen – Tausend Jahre alte Exemplare. „Wenn sie Geschichten erzählen könnten.“ Harald Müllers Bäume haben auch ihre Storys. Da ist zum Beispiel eine Kiefer, die zur Geburt von Tochter Susanne gepflanzt wurde – auch sie steht unter dem Schutz der Robin Hoods des Siebengebirges.

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