Über die Schulter schauen Die Krönung

Ach, man muss nicht König sein. England hat so viele wunderbar verschrobene Berufe, dass es kaum noch ehrgeizigere Zeitvertreibe braucht. Hüter des Palastporzellans, Ausmister in den königlichen Stallungen, Hutmacherin und Angelreporter etwa.

 Englischer Landhausgarten: Akkurat gestutzte Büsche und Hecken wechseln sich mit üppigen Beeten ab. FOTO: GETTY IMAGES/iSTOCKPHOTO

Englischer Landhausgarten: Akkurat gestutzte Büsche und Hecken wechseln sich mit üppigen Beeten ab. FOTO: GETTY IMAGES/iSTOCKPHOTO

Foto: Getty Images/iStockphoto

Welche Neigungen in den Stand des ehrbaren Lohnerwerbs erhoben werden können, sagt viel über ein Land aus. Deutschland hat Designer für Automobiltürengriffe, Großbritannien Gartenkorrespondenten. In Frankreich gehört Small-Talk-Wissen zu Käsesorten zum guten Ton, in England sollte man jede historische Rose mit ihrem lateinischen Vornamen kennen. Was uns zu Alan Titchmarsh bringt – prominenter Gartenjournalist, Nationalheiligtum, längst mit Orden geadelt für seine Verdienste an der Blume. Nur er hatte die große Ehre, mit seinem Range Rover zu Prinz Charles' Garten in den Cotswolds zu fahren und für die BBC aus dem laut Titchmarsh „besten königlichen Gärtner, den es je gegeben hat“, eine Gartenphilosophie herauszukitzeln.

Highgrove Royal Gardens, vom Thronfolger rund um seinen Landsitz konzipiert und gehegt, zählt zu den wichtigsten, zeitgenössischen Gärten Englands – mit verwunschenen Staudenbeeten, dahingetupften Blumenwiesen, Baumwurzeln wie Skulpturen und Kontrasten zwischen scheinbarer Naturbelassenheit und strikten, formalen Symmetrien. Prinz Charles stellt sein Refugium so vor: „Ein Garten wie ein floraler Festumzug – mit lebhaften Farbkompositionen, summenden Bienen und einer Duftmischung, die zu Kopfe steigt.“ Wer nun durchs Fenster in den eigenen Garten blickt, auf den verunkrauteten Rasen, die Beete mit dem willkürlich spießenden Geblüm, dem sei das Fernsehinterview von Alan Titchmarsh in Highgrove zur Inspiration ans Herz gelegt. Auch wenn ein Vorgarten im Schlagschatten der Hausfassade nie zu einem englischen Kunstwerk gedeiht, so lassen sich doch einige Ermunterungen aus dem Interview destillieren.

Deutsche Gründlichkeit bitte an der Gartenpforte lassen: Englische Gärten sehen aus wie Gemälde, Highgrove Gardens ganz besonders. Den Effekt erreicht man nicht durch besonders ordentliches Pflanzen oder durch schnurgerade Beete. In manchen deutschen Gärten steht Pflanze neben Pflanze im Abstand von 15 Zentimetern – ein Raum, in dem nichts passiert, gähnende Lücken zwischen einsamen Solisten, aber kein fließender, gemusterter Blumenteppich. „Ich arbeite gerne zusammen mit der Natur“, sagt Charles gegenüber Titchmarsh, „der Garten soll nicht übermanikürt sein.“ Heißt: Pflanzen als Netzwerk denken, statt soldatischer Reihen Grüppchen beieinander pflanzen, Wuchshöhen variieren, so dass die Beete aussehen, als hätten sie sich selbst ausgesät. Lücken, durch die braune Erde scheint, vermeiden. Das reduziert auch Fläche, auf der Unkraut sprießen kann. Beete bogenförmig anlegen, Rasen mit Wildblumen sprießen lassen, nur einen Trampelpfad darin mähen. Charles Windsor geht es nicht um die Eroberung und Zähmung der Natur, sondern um ihre zarte Zivilisierung. Sinnbild für diese Haltung schlechthin: die Einfassung ungehemmt durcheinander wildernden Stauden in kleinen geometrischen Beet-Feldern durch niedrige, allerakkuratest geschnittene Buchsbaumhecken. Je stärker der Kontrast zwischen zivilisierten Kanten und wilden Stauden, umso erfrischender.

Sichtachsen anlegen: Als Charles Highgrove erstmals 1983 in Augenschein nahm, umrahmte Rasen den Landsitz, hier und da blühten Sträucher. Eine formlose Armada Eiben flankierte lustlos den Weg zum Haupteingang. „Die Experten sagten: 'Reiß Sie raus', aber nein, ich schneide Grün gern zurecht“, so Charles. Vorsicht, grandioses Understatement! Was einst aussah wie eine Reihe „Puddings“, so sein Begriff, ist heute eine Formschnitt-Achse vom Feinsten. Skulptural geschnittene Eiben machen die flache Botanik interessant. Nun hat mancher Mensch mit weniger blauem Blut und lästerfreudigeren Nachbarn Vorbehalte, seine Hecke derart zu tunen. Es geht auch dezenter: Prinz Charles beschneidet Hainbuchen-Reihen der Sorte Carpinus betulus „Fastigiata“ so, als würden sie auf Stelzen stehen (Zweige und Grün im unteren Drittel bis auf die nackten Stämme entfernen), oder schneidet in Hecken kleine Nischen für verwitterte Plastiken und Krüge. Sie wirken wie Bilder vor einer grünen Wand – denn Sichtachsen brauchen auch Hingucker.

Die Auswahl der Schauspieler: Die Auswahl der Stauden in Highgrove erinnert mehr an eine Kindheit auf dem Land als an die Topfgestalten, die man im Baumarkt nach langem Winter in einem Anflug von Farb- und Sommersehnsucht ohne Sinn und Konzept kauft. Zur unvollständigen Liste von Highgroves Schönsten zählen: Duftwicken, Wisteria, Gruppen von Rittersporn, Lupinen, Fingerhut – mal ein „Gartenzimmer“ ganz in Weiß, mal Rose und Blau, definitiv kein Gelb oder Orange (Charles: „I'm not mad about hot colours.“). Knallige Farben finden sich höchstens als Frühblüher, die rasch wieder verschwinden, etwa ein Mix aus roten und violetten Tulpen. Gefüllte Duftrosen verstehen sich von selbst – Prinz Charles pflanzt sie unter seinen Fenstern, so dass ihr Duft im Sommer durch den Landsitz weht.

Dekoration: Gegenstände aus der Natur in Szene setzen oder Dinge, die ganz sicher in Schönheit altern. In Highgrove platzieren Charles' Helfer Treibholz, gigantische Kastanienwurzeln, verwitterte Bänke, Plastiken, Steine ...

Die richtige Einstellung: Als Alan Titchmarsh Highgrove besuchte, beschäftigte Prinz Charles dort zwölf Gärtner (und, nur fürs Protokoll: eine königliche Harfespielerin). Kein Wunder, denn ein Garten sei „kein Wohnzimmer, das man nur mal ab und zu abstaubt“, betont der Prinz. Auch wer nur einen kleinen Handtuchgarten hinterm Haus hat, weiß wovon Englands Top-Gärtner spricht: Grünzeug macht Arbeit. Warum sich also viel Mühe machen, wenn zwei Wochen später sowieso alles zugewuchert, verpilzt, verfault ist? Für alle Verzagten ein Motivationssatz des Prinzen, der selbst mitarbeitet: „Ein Lebensraum lässt sich binnen eines Tages vernichten, aber es dauert ewig, ihn wieder neu herzurichten.“

Charles geht es überraschend oft so wie seinen Untertanen. Also: Hatte der Prinz jemals den Wunsch, das Gartenprojekt hinzuschmeißen? Er: „Nein, natürlich nicht ... oh, nun, ja, vielleicht ... nein, habe ich nicht.“ Hat er Geduld mit den wachsenden Pflanzen? „Nein.“ Es wird besser mit dem Alter, wenn man ihm glaubt. In der Zwischenzeit gilt sein Mantra: „Was im Garten in einem Jahr schiefläuft, muss ja nicht im nächsten Jahr auch schieflaufen.“

An die Wurzel des Ganzen dringen: In Highgrove liegt der Fokus nicht auf der Pflanze, sondern auf dem Boden. Er wird durch Kompost so genährt, dass die Blätter der Pflanzen erst gar nicht anfällig oder krank werden. Unkraut- oder Insektenvernichtungsmittel sind tabu. In den Kompost wird Gras, Stall- und Hühnermist gegeben, das Ganze reift, wie Wein, zwölf Wochen und bleibt dann noch weitere vier bis sechs Monate liegen, bis es im Garten ausgetragen wird. Auch das königliche Badewasser wird im Garten recycelt. Pflanzen, die Schädlingen trotz bester Pflege und perfektem Boden nicht standhalten können, werden entfernt. So haben die Gärtner Buchsbaumhecken – der Zünsler ist international unterwegs – durch Japanischen Spindelstrauch „Green Rocket“ ersetzt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort