Über den musikalischen Tellerrand hinaus Theater in fremden Wohnzimmern

Mit „Hausbesuch Europa“ bietet das Beethovenfest eine Alternative zum Musikprogramm.

 Lebhafte Diskussion: So sieht der „Hausbesuch Europa“ aus. Rimini-Protokoll/Illustration: María José Aquilanti

Lebhafte Diskussion: So sieht der „Hausbesuch Europa“ aus. Rimini-Protokoll/Illustration: María José Aquilanti

Das Beethovenfest blickt passend zum diesjährigen Motto „Revolutionen“ über den musikalischen Tellerrand hinaus und hat ein spannendes Projekt im Programm. Vom 11. September bis zum 9. Oktober öffnen an 22 Abenden bereits ausgewählte Gastgeber ihre privaten Wohnzimmer für interessierte Besucher. Im Mittelpunkt stehen dabei weder die Gastgeber noch deren Villa oder Studentenbude, sondern ein Theaterprojekt, das jeden Abend an anderen Orten stattfindet. „Hausbesuch Europa“, vom Künstlerkollektiv Rimini-Protokoll vor einigen Jahren entwickelt und bereits weltweit in vielen Städten zu erleben, soll Generationen und Kulturen an einen Tisch bringen, um über Geschichte, Gegenwart und Zukunft Europas zu philosophieren. „Die Hausbesuche sollen eine Art Gegenmodell zum Parlament darstellen“, sagt Stefan Kaegi. Der Schweizer Regisseur hatte mit seiner Theatergruppe die Idee, in einem interaktiven Feldversuch das politische Europa sichtbarer zu machen und Vorurteile abzubauen, um so neue Räume zu öffnen. „Oft heißt es, Europa

sei losgelöst von Bürgern und ein unsichtbarer Ort. Dabei sind die Grenzen nicht so stark, wie Politiker uns oft glauben machen“, sagt Kaegi. Von Skandinavien bis Südeuropa hat die Inszenierung, an der immer 15 andere Teilnehmer mitwirken, schon knapp 400 mal stattgefunden. Nun gibt es das Theaterprojekt erstmals auch in Bonn. Die Veranstalter suchten dafür bereits im Frühjahr private Gastgeber und fanden schnell genügend Wohnzimmer, die jetzt zur Bühne werden. Voraussetzung: Platz für 15 Leute und ein Tisch, an dem diskutiert, experimentiert und gespielt werden kann. Das Tischtuch ist eine große EuropaKarte, wo jeder zunächst seine wichtigsten Orte einträgt, um daraus Verbindungslinien der 15 Teilnehmer zu ziehen. Zwei Spielleiter und ein elektronischer Apparat führen durch den gut zweistündigen Abend und moderieren, falls nötig. Das Heft des Handelns behalten jedoch die Teilnehmer in der Hand. „Man erfährt viel von und über die anderen Mitspieler“, weiß Kaegi von seinen bisherigen Erfahrungen zu berichten. Dabei ist man zunächst auf sich allein gestellt und versucht im zweiten Teil mit einem unbe

kannten Partner schnell eine Vertrauensbasis zu finden. „Das ist mal etwas ganz anderes, sowohl für das typische Beethovenklientel, das eher ins Konzert geht, als auch für ein neues Publikum“, findet auch Thomas Scheider, der die Abende als Projektleiter für das Beethovenfest organisiert. Der Bonner Komponist wird bei den Hausbesuchen nur ideell vertreten sein. Eine musikalische Begleitung wird es ebenso wenig geben wie ein Abendessen und Wein. Neben Kaffee, Tee und Wasser sorgen die Veranstalter mit den Gastgebern dafür, dass während des Spiels ein Kuchen im Ofen ist, der gegen Ende aufgeschnitten und gemeinsam verspeist wird.

Hausbesuche

Das Theaterprojekt ist transportabel an viele Orte und geht mittlerweile über Europas Grenzen hinaus. In Kairo kamen die „Hausbesuche“ sehr gut an, und zwar ganz ohne Zensur oder direkte Kontrolle, da die Veranstaltungen in privaten Häusern stattfanden. Das Team von Rimini-Protokoll plant die „Hausbesuche“ bereits für Moskau und die USA.

Rimini-Protokoll

Seit 2000 bilden Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel ein AutorenRegie-Team. Ihre Arbeiten im Bereich Theater, Hörspiel, Film, Installation werden seit 2002 unter dem Label Rimini-Protokoll zusammengefasst. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht die Weiterentwicklung der Mittel des Theaters, um ungewöhnliche Sichtweisen auf unsere Wirklichkeit zu ermöglichen. 2011 wurde das Gesamtwerk von Rimini-Protokoll mit dem Silbernen Löwen der 41. Theaterbiennale Venedig ausgezeichnet. 2014 erhielten sie den Deutschen Hörspielpreis der ARD. Das Team ist in Berlin beheimatet und produziert dort unter anderem am Theater Hebbel am Ufer.

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