Protagonisten des American Postmodern Dance kommen auch Tanz für alle

Sigrid Gareis kuratiert die Köln-Bonner „Kollaborationen“.

 Szene aus Lucinda Childs' Choreografie „Dance“.

Szene aus Lucinda Childs' Choreografie „Dance“.

Foto: Sally Cohn

Drei Jahre lang lebte, studierte und arbeitete Pina Bausch in New York. Doch als die junge Tänzerin 1962 zurück nach Deutschland kam, war eine künstlerische Revolution, die sich gerade in Manhattan abspielte, spurlos an ihr vorübergegangen. In der Judson Memorial Church erlebte das Publikum am 6. Juli 1962 die Geburtsstunde des American Postmodern Dance, eine der wichtigsten Neuentwicklungen im Tanz nach dem Zweiten Weltkrieg.

Plötzlich war der Tanz nicht mehr nur eine Sache für trainierte Profis, sondern auch Laien wurden integriert, und es wurde viel mit Improvisationen gearbeitet. Bewegungsmuster aus dem Alltag lösten sozusagen den Spitzentanz ab. Die Tänzerin und Choreografin Yvonne Rainer formulierte die Ideen des Postmodern Dance in ihrem berühmt gewordenen „No Manifesto“, das im Grunde alle überkommenen Werte des Tanzes verneint: Spektakel, Virtuosität, die heroischen Gesten, Stil und einiges mehr.

Das Bonner Beethovenfest und die Kölner Philharmonie wollen diese Spielart des zeitgenössischen Tanzes in diesem Jahr unter dem Titel „Kollaborationen“ gemeinsam feiern, wozu sie einige der wichtigsten Protagonisten eingeladen haben. Unter anderem zeigt das schwedische Cullberg Ballett in Köln eine Choreografie von Deborah Hay zur Musik von Laurie Anderson, ebenfalls in Köln gibt es einen Auftritt mit Meredith Monk, in Bonn gastiert die Lucinda Childs Dance Company, und das Kunstmuseum präsentiert eine Schau mit Werken von Simone Forti.

Der Begriff „Kollaborationen“ ist durchaus doppeldeutig zu verstehen. Denn es geht nicht nur um die Zusammenarbeit zwischen den Musik-Institutionen beider Städte, sondern auch um spezifische inhaltliche Aspekte der Tanzkunstrichtung selbst, der die Zusammenarbeit zwischen den Künsten und Sparten in den genetischen Code eingeschrieben ist.

„Der Postmodern Dance ist aus dem Geist der Musik entstanden“, erläutert die renommierte Tanz-Expertin Sigrid Gareis, die das groß angelegte KölnBonner Projekt kuratiert. „Die Initiative dazu ging von John Cage aus.“ Der Komponist arbeitete eng mit der Merce-CunninghamDance-Company zusammen, deren Klavierbegleiter Robert Ellis Dunn er anregte, die dort schon ausprobierten interdisziplinären Arbeitsweisen in Workshops mit jungen Künstlern zu vertiefen und weiterzuentwickeln.

Deborah Hay, Meredith Monk und Simone Forti waren Teil der illustren New Yorker Künstlergruppe, die sich in diesen Workshops versammelte und mit weiteren Künstlern wie Tricia Brown, Steve Paxton und Yvonne Rainer schließlich den Kern des Judson Dance Theaters bildete. In Deutschland hat der Postmodern Dance nie wirklich eine große Rolle gespielt.

Was zunächst seltsam erscheint, weil die musikalischen Hausgötter der Bewegung John Cage oder La Monte Young und Philip Glass hier regelmäßig aufgeführt wurden und die dem Postmodern Dance eng verbundene Fluxus-Bewegung mit Protagonisten wie Robert Rauschenberg, Claes Oldenburg und Yoko Ono zu einem festen Bestandteil auch des bundesdeutschen Kulturlebens in den 1960er Jahren wurde.

Sigrid Gareis führt das auch auf die starke Rolle des deutschen Tanztheaters zurück, wie es vor allem durch Pina Bausch geprägt wurde. Das Tanztheater habe sich innerhalb des Stadttheatersystems entwickelt, erklärt Gareis, während der American Post Modern Dance eine Gegenbewegung zur etablierten Kultur war, eine Off-Kultur, die in Lofts, in Hinterhöfen und auf den Dä- chern der Stadt entstand. „Es war ein völlig anderer Ansatz. Möglicherweise sind sie deshalb nicht zusammengekommen.“

Es war keineswegs nur Pina Bausch, die von der New Yorker Tanzrevolution keine Notiz nahm. Reinhild Hoffmann, so berichtet Gareis, habe ihr einmal gestanden, nie Kontakt zu den Judson-Künstlern gehabt zu haben. „Ich habe vor ein paar Jahren am ZKM (Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe) eine Ausstellung gemacht, in der sich Simone Forti und Reinhild Hoffmann zum ersten Mal begegnet sind. Das Tanztheater und der Postmodern Dance sind Parallelwelten, strukturell und ästhetisch.“

Was in Köln und Bonn in den kommenden Wochen gezeigt wird, soll nicht museal sein. „Das würde dieser Bewegung widersprechen“, sagt Gareis. Sie hofft vielmehr auf einen starken Impuls, dass gerade auch im Pina-Bausch-Mutterland NordrheinWestfalen das „gesamte Bild des Tanzes“ wahrgenommen wird. Klar, dass sie auch lokale und regionale Künstler wie die Kölner Choreografin Stephanie Thiersch eingeladen hat, die eine 13-stündige MassenPerformance im Kölner Stadtraum organisiert. Antimusealer geht es nicht.

Veranstaltungen in Bonn

Samstag, 10. September

Linie 16 von Köln nach Bonn, 17 Uhr Splendid Chaos: Darko Dragicevic und Charlotte Triebus (Künstlerische Gesamtleitung), Performances im Sonderwagen der Straßenbahn Linie 16

Samstag und Sonntag, 10. und 11. September

Oper Bonn, jeweils 20 Uhr Dance: Lucinda Childs Dance Company, Lucinda Childs (Choreographie), Philip Glass (Musik), 19 Uhr Einführungsvortrag von Claudia Jeschke

Sonntag, 11. September

Kunstmuseum Bonn, 11 Uhr Sound Move: Simone Forti, Eröffnung der Ausstellung, Performances jeden Mittwoch (18.30 Uhr bis 20.30 Uhr) und Sonntag (14.30 Uhr bis 16.30 Uhr)

Samstag, 24. September

Kunstmuseum Bonn, 16.30 Uhr Rituals from the Fringe: Frank Willens (Konzept, Performance)

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