Wirtschaft 4.0 Revolution oder Revolutiönchen?

BONN · Die Digitalisierung wird aus Sicht des Bonner Arbeitsmarktprofessors Hilmar Schneider nicht alles umkrempeln. „Ich erwarte von der Wirtschaft 4.0 weder gravierende zusätzliche Beschäftigungsimpulse, noch muss die Menschheit fürchten, dass ihr die Arbeit ausgeht. Das ist in der Geschichte nie der Fall gewesen.“

 Die menschliche Arbeitskraft wird auch in Zukunft gebraucht, meint der Chef des Bonner IZA, Hilmar Schneider. FOTO: IZA

Die menschliche Arbeitskraft wird auch in Zukunft gebraucht, meint der Chef des Bonner IZA, Hilmar Schneider. FOTO: IZA

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Roboter und Maschinen mit künstlicher Intelligenz sind auf dem Vormarsch. In vielen Belegschaften geht die Sorge um, die „Wirtschaft 4.0“ bedrohe über kurz oder lang den eigenen Arbeitsplatz. Die Jünger der Digitalisierung hingegen sagen das genaue Gegenteil voraus: einen massenhaften Jobaufschwung. Wer wird recht behalten – die Angst oder die Euphorie?

Keiner von beiden, meint der Chef des Bonner Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), Professor Hilmar Schneider. „Ich erwarte von der Wirtschaft 4.0 weder gravierende zusätzliche Beschäftigungsimpulse, noch muss die Menschheit fürchten, dass ihr die Arbeit ausgeht. Das ist in der Geschichte nie der Fall gewesen.“

Jobs gehen, Jobs entstehen

Mit seiner nüchternen Sicht steht Schneider in der hitzigen Debatte über die Folgen der Digitalisierung nicht alleine. So geht beispielsweise auch das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in der aktuellen Studie „Wirtschaft 4.0 und die Folgen für Arbeitsmarkt und Wirtschaft“ davon aus, dass sich der Verlust von alten und der Aufbau neuer Jobs in etwa die Waage halten werden. Klar ist allerdings: Es wird einen strukturellen Wandel geben, weg von der herkömmlichen Produktion, hin zu innovativen Dienstleistungen.

Doch auch dieser Wandel ist aus Schneiders Sicht weniger dramatisch als oft dargestellt. „Zwar wird vieles, was regelgebunden abläuft und messbar ist, früher oder später von Maschinen übernommen. Wir sind aber meilenweit davon entfernt, dass Maschinen einen konstruktiven Dialog führen oder mit Empathie agieren könnten.“ Im Zuge der Digitalisierung und des demografischen Wandels dürfte etwa der „Markt für echte soziale Interaktion“ dringend auf zusätzliche Arbeitskräfte angewiesen sein. „Soziale Kompetenz wird so wichtig wie die Kompetenz von Programmierern.“ Nicht nur IT-Experten, sondern beispielsweise auch Kranken- und Altenpfleger würden eine gesellschaftliche Aufwertung erfahren – und künftig deutlich mehr verdienen als derzeit.

Welche Jobs aber sind von der Digitalisierung am meisten gefährdet? Werden demnächst Taxifahrer arbeitslos, wenn Roboter die Fahrzeuge steuern? Müssen Bauarbeiter künftig zu Hause bleiben, weil 3-D-Drucker die Bestandteile eines ganzen Neubaus ausspucken? Der IZA-Chef glaubt das nicht, mit Sicherheit würden Taxifahrer und Bauarbeiter auch in der Wirtschaft 4.0 gebraucht, sagt er. Auch in diesen Branchen sei längst nicht alles automatisierbar.

Ein fundamentaler Wandel allerdings zeichne sich ab: Produkte würden immer stärker auf die individuellen Wünsche des Käufers zugeschnitten, der neue Geräte, etwa Smartphones, oft nicht wegen eines materiellen Bedürfnisses, sondern vor allem aus Imagegründen und Lebensstil-gefühlen kaufe. Die Folge sei eine weniger hierarchisch geprägte Arbeitswelt, weil niemand an der Spitze eines Unternehmens mehr die komplette Produktpalette vorgeben könne. „Von den Beschäftigten wird künftig nicht nur mehr Kreativität gefordert, sie erhalten auch größere Entscheidungsspielräume. Arbeitnehmer nehmen Züge von Unternehmern an.“

Ist in der Wirtschaft 4.0 also der Gegensatz von Kapital und Arbeit aufgehoben? Und verschwimmen dabei durch längere Arbeitszeiten – Tarifverträge hin oder her – auch die Unterschiede zwischen Beruf und Freizeit? So weit würde Schneider zwar nicht gehen. Starre Arbeitszeitkorsette aber hält er künftig für unzeitgemäß. Hier stelle sich die Frage nach dem gesunden Maß, alle Seiten müssten da eine „gute Balance“ finden. Wer zu viel arbeite, verliere schließlich seine Kreativität. Und von überlasteten, frustrierten Beschäftigten profitiere auch kein Betrieb.

Roboter nicht überall sinnvoll

Frust könnte sich jedoch unter Zeitgenossen der Wirtschaft 4.0 breitmachen, wenn sie künftig in ihrer knapp bemessenen Freizeit etwa ein Feinschmeckerlokal besuchen – und statt des Kellners ein Serviceroboter die Tageskarte runterrattert. Doch dazu wird es nach Schneiders Einschätzung nicht kommen. Er sieht neben Taxifahrern und Bauarbeitern auch für gelernte Kellner eine gute berufliche Zukunft. Die digitale Revolution – aus Sicht des IZA-Chefs ist sie auf dem Arbeitsmarkt eher ein „Revolutiönchen“.

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