Vernetzte Welt Was denken Bonner Schüler unterschiedlicher Herkunft

Fünf Schüler aus fünf Ländern von der Bonn International School über die Zukunft der globalisierten Welt.

Die erste Generation des 21. Jahrhunderts wächst in einer vernetzten Welt heran. Was denken Bonner Schüler unterschiedlicher Herkunft darüber? Sehen sie die Globalisierung als Chance oder auch als gesellschaftliche Bedrohung? Martin Wein sprach an der Bonn International School (BIS) mit Sang Mun Lee (Südkorea), Leon Flock (Deutschland/USA), Desiree Winns (USA/Japan), Ksenija Popovic (Montenegro) und Kelma Jean (St. Lucia) aus der Jahrgangsstufe 11:

Leben wir überhaupt schon in einer globalisierten Welt?

Desiree hat Zweifel. Sie kam 2014 aus Memphis in Tennessee nach Bonn. Viele Leute fragten sie vor der Abreise, ob in Deutschland nicht noch Nazis regierten, einer sogar, ob es fließend Wasser gebe. "Die Möglichkeiten zur Information sind zwar riesig, aber viele nutzen sie nicht." Sie selbst habe auch diese Erfahrung gemacht: "Erst in Bonn habe ich europäische Filme gesehen. Die haben mich zum Teil viel mehr berührt als das Zeug aus Hollywood." Auch Leon glaubt: "Hier an der Schule ist unsere Perspektive natürlich international. Aber viele Gleichaltrige haben Vorurteile über die Globalisierung - auch in Deutschland." Kelma hatte in Bonn wiederholt mit Schwarz-Weiß-Denken zu tun. Sie berichtet: "Viele Passanten halten mich für einen Flüchtling - nur wegen der Hautfarbe."

Wenn alle Länder näher zusammenrücken, ist das gut?

Ksenija kennt diese Frage vom Balkan, wo ihr kleines Heimatland in die EU strebt. "Das wird uns große Fortschritte bringen", glaubt sie. Im Nachbarland Bosnien, das diese Perspektive derzeit nicht hat, verließen dagegen viele begabte junge Leute ihre Heimat. "Da kommt es zu einem richtigen Braindrain." Länder, die das verhindern wollten, kämen um stärkeren Austausch nicht herum. Auch Sang Mun sieht Vorteile. Er erzählt vom Schulalltag in Südkorea mit 16-Stunden-Tagen für die Jugendlichen. "Dort wird nur unterrichtet, was für die Wirtschaft wichtig ist. Über die Folgen von Globalisierung haben wir zum Beispiel nie diskutiert." Er würde sich wünschen, dass sein Heimatland etwas lernt vom Bildungssystem anderer fortschrittlicher Länder. Kelma gibt aber zu bedenken, die Globalisierung sei in ihrer Definition eine westliche Idee. "Es darf nicht passieren, dass wenige Ausländer zum Ziel der Modernisierung zum Beispiel auf St. Lucia die ganze Inselwirtschaft übernehmen. Da braucht es fairen Ausgleich. Sonst ist die Insel nur noch ein Paradies für Ausländer."

Seit 30 Jahren wird die Welt immer offener. Doch jetzt gibt es Anzeichen, Länder könnten sich zurückziehen.

"Ich halte Isolationismus für einen Fehler", sagt Leon. Vor allem habe Protektionismus auch negative Folgen für andere Staaten und deren Bewohner. Politiker sollten mithin nicht nur ans eigene Wahlvolk denken. "Wir sollten die Drohungen nicht ignorieren", warnt Ksenija. Dass Schutzzölle und Zuzugsbeschränkungen für Arbeitskräfte Ländern wie den USA oder Großbritannien helfen, glaubt sie allerdings nicht. "Wenn das so ist, werden sie nach wenigen Jahren auch wieder damit aufhören."

Der fortschreitende Klimawandel könnte zum vielleicht größten Problem dieses Jahrhunderts werden. Hilft da die Globalisierung eher, oder macht sie alles noch schlimmer?

In Südkorea sei die massive Luftverschmutzung ein großes Problem, sagt Sang Mun. "Viele Abgase wehen von China herüber." Er glaubt: Die Staaten können den Ausstoß von CO2 und anderer Klimagase und Schadstoffe nur gemeinsam in den Griff bekommen. Desiree pflichtet bei: "Wenn einzelne Länder etwas tun, hat das doch kaum Effekt. Zusammenarbeit ist unsere einzige Chance. Das kann uns auch näher zusammenbringen." Ohne einen solchen fairen Ausgleich der Lasten seien Verteilungskämpfe um Ressourcen unausweichlich, fürchtet Kelma. "Im internationalen Wettbewerb wird ja alles noch viel schneller verbraucht. Dann heißt es immer: Wir können nicht sparsam wirtschaften, weil uns die anderen sonst überholen."

Wo sehen die Teenager selbst ihren Platz in der globalisierten Welt, und welche Pläne haben sie?

Kelma möchte in Großbritannien ein Medizinstudium beginnen und als Ärztin Erfahrungen sammeln. "Dann gehe ich zurück nach St. Lucia, um das Land mit zu verändern. Das geht aber erst in einer Führungsposition." Desiree möchte Dokumentarfilm studieren und Regisseurin werden. Über das Bild von Afroamerikanern in der Öffentlichkeit ärgert sie sich: "Nennen Sie mir einen Film über Farbige ohne Drogen, Gewalt und Kriminalität. Ich möchte andere Geschichten erzählen." Leon möchte die Vorteile seiner internationalen Erziehung nutzen und im Ausland Internationale Wirtschaft studieren. "Viele andere Deutsche haben es dabei doch ziemlich schwer", findet er mit Blick auf Freunde an anderen Gymnasien. Ob er zurückkommt, weiß er noch nicht: "Ich mag aber Deutschland und das Leben hier." Sang Mun möchte Physik oder Mathematik studieren, vielleicht in Bonn. Als Professor möchte er später das Bildungswesen in seiner Heimat verändern. Ksenija möchte Kunst studieren - in Berlin oder Düsseldorf. Sie lacht: "Nach dem Besuch der International School komme ich - obgleich ich aus Bonn bin - sicher auch mit den Düsseldorfern zurecht."

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