Interview zur Globalisierung "Wachstum soll nicht nur die Jachten der Wohlhabenden voranbringen"

Bonn · Der Schweizer Ökonom Thomas Straubhaar (59) hat sich weltweit die Folgen der Globalisierung angesehen. Er ist bekannt als Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens. Mit ihm sprach Martin Wein.

Was können Sie mit dem Begriff "inklusives Wachstum" anfangen?

Thomas Straubhaar: Dafür hege ich große Sympathien. Wachstum soll nicht nur die Jachten der Wohlhabenden immer schneller voranbringen, während bildlich gesprochen die Masse der Menschen im Maschinenraum immer härter rudern muss, damit ihre kleinen Boote überhaupt vom Fleck vorankommen.

Deutschland geht es mit der Globalisierung insgesamt gut. Aber wie hat sich die Verteilung von Einkommen und Vermögen in den letzten Jahrzehnten im Weltmaßstab entwickelt?

Straubhaar: Die globalisierten Länder, die sich geöffnet haben, sind wirtschaftlich schneller gewachsen als andere. Das lässt sich besonders schön am Beispiel der Bundesrepublik im Vergleich zur DDR vor der Wende oder Südkoreas im Vergleich zu Nordkorea illustrieren. Die neoklassischen Wachstumsmodelle hatten bei fortschreitender Globalisierung jedoch einen Ausgleich der Lebensbedingungen vorhergesagt. Wir stellen empirisch allerdings fest, dass die Ungleichheit innerhalb der Volkswirtschaften nicht wirklich abgenommen hat, sondern eher gewachsen ist. Abgenommen haben vor allem die Unterschiede zwischen den Ländern, aber nicht innerhalb der Länder. Das müssen auch Liberale zur Kenntnis nehmen.

Schreibt die Digitalisierung diesen Trend fort?

Straubhaar: Die Globalisierung hat kurz gesagt dazu geführt, dass Arbeitskraft auf dem weltweiten Markt verstärkt verfügbar und damit billiger wurde und Kapital knapper und damit teurer. Die Digitalisierung setzt diese Entwicklung fort. In der Globalisierung konkurrierte der Ostasiate mit dem hiesigen Arbeiter. Jetzt ist es der Roboter, der zu höherem Lohndruck für die Masse der Beschäftigten führt. Die Rentabilität für Kapital dagegen steigt.

Wenn dem so ist: Warum haben Sie Ihrem Impulsreferat für den Denkraum in Bonn den Titel "Digitale Globalisierung schafft Wohlstand für alle" gegeben?

Straubhaar: Damit das geschieht, müssen wir den Sozialstaat völlig neu definieren. Das ist etwas pathetisch gesagt eine historische Chance, die wir bei der Globalisierung bereits einmal verpasst haben. Wenn wir die Sozialpolitik und die Sozialsysteme so belassen, wie sie im 19. Jahrhundert entworfen wurden, dann wird die Digitalisierung die Gesellschaften hingegen weiter polarisieren. Wir sehen die Konsequenzen davon ja schon in den USA oder in England mit Re-Nationalisierung und aufkommendem Protektionismus.

Ein neuer Sozialstaat klingt zunächst nach Abstrichen...

Straubhaar: Das sehe ich ganz anders. Im Gegenteil geht es nicht darum, die gesellschaftlichen Unterschiede zu bagatellisieren. Die werden nicht von allein verschwinden. Wir müssen die Sozialsysteme vielmehr von den Lohnabgaben abkoppeln und über Wertschöpfungssteuern finanzieren. Der Fabrikbesitzer muss für die Arbeitsleistung seiner Roboter genauso Steuern zahlen wie für die seiner Mitarbeiter. Dieses Konzept mündet in einem bedingungslosen Grundeinkommen für alle. Die herkömmliche Durchschnittsbiografie mit einer lebenslangen Beziehung von Mann und Frau und 45 Jahren Vollzeitarbeit wird doch mehr und mehr zur Ausnahme. Wir brauchen ein System, das dem Rechnung trägt und dem Einzelnen mehr Möglichkeiten öffnet.

Wie wird die Digitalisierung Leben und Arbeiten in den nächsten zwei Jahrzehnten verändern?

Straubhaar: Alle standardisierten Tätigkeiten werden mehr und mehr von Maschinen erledigt - und das fehlerfrei 24 Stunden am Tag sieben Tage die Woche. Volkswirtschaften werden damit weitgehend ohne gesundheitsschädliche, lebenslange Massenbeschäftigung in der Lage sein, ein steigendes Niveau von Sozialleistungen zu finanzieren. Menschen werden dann statt heute im lebenslangen Durchschnitt 40 nur noch 20 Stunden in der Woche arbeiten müssen, weil ihre Produktivität so hoch ist. Die Menschen werden sich immer wieder auch Auszeiten nehmen, um Kreativkräfte zu sammeln, fit zu bleiben oder sich neue Qualifikationen anzueignen. Dafür sind sie nicht mit 55 Jahren ausgebrannt, sondern können vielleicht bis zum Alter von 75 Jahren tätig sein. Was jeder Einzelne tut, möchte ich nicht vorgeben. Es ist gerade der Charme, dass den Menschen - anders als bislang - nicht feste Vorgaben für ihr Leben gemacht werden.

Globalisierung, wie wir sie verstehen, ist eine allein westliche Idee. Wird die auch dann noch mehrheitsfähig sein, wenn andere Länder, etwa China oder Indien, irgendwann die Weltrangliste anführen?

Straubhaar: Das ist eine sehr richtige Beobachtung. Die Stimmen aus Asien, Lateinamerika und Afrika werden seit längerem lauter, während die Dominanz der OECD-Länder bröckelt. Abkommen für mehr Globalisierung in der Welthandelsorganisation WTO treten dagegen auf der Stelle. Die Globalisierung hat an Schwung verloren. Nach der Wirtschaftskrise von 2008 hat sie ihre vorige Dynamik nicht mehr erreicht. Das sind Abwehrreaktionen auf den Bedeutungsverlust, der kommen musste. Alles andere wäre blauäugig, wenn Europa und Nordamerika mit 20 Prozent der Weltbevölkerung die Erde weiterhin dominieren wollten.

Bislang ist es der globalisierten Welt noch nicht gelungen, Antworten auf den enormen Ressourcenverbrauch und den Klimawandel zu finden. Warum fällt das so schwer?

Straubhaar: Ich bin einen Tick optimistischer. Seit dem Warnschuss durch den Club of Rome 1970 ist es gerade auch durch die Globalisierung gelungen, dass heute mit viel weniger Ressourcen viel mehr an Wohlstand und Sozialprodukt geschaffen wird. Sie haben allerdings recht; das kann noch lange nicht das Ende dessen sein, wo wir hinkommen müssen. Die Digitalisierung kann helfen, viele Aktivitäten einzusparen. Das klappt aber weitaus besser, wenn wir sie als Chance und nicht als Bedrohung begreifen.

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