In Schönheit entschlafen - Volvos "Schneewittchensarg"

Göteborg/Köln · Mercedes CLS oder Porsche Panamera - Idee vom Kombi-Coupé ist wieder in Mode. Dabei legte Volvo schon 1971 mit dem legendären Volvo P 1800 ES vor. Der "Schneewittchensarg" wurde jedoch schon bald wieder eingestellt - vor 40 Jahren.

 Bitte aussteigen: Volvos P 1800 ES, genannt "Schneewittchensarg", konnte nie viele Marktanteile ergattern und wurde nach zwei Jahren wieder eingestellt. Foto: Volvo

Bitte aussteigen: Volvos P 1800 ES, genannt "Schneewittchensarg", konnte nie viele Marktanteile ergattern und wurde nach zwei Jahren wieder eingestellt. Foto: Volvo

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Wer Autos wie den Mercedes CLS Shooting Brake oder die Porsche-Studie Panamera Sport Turismo für eine neue Erfindung hält, der irrt: Die Idee, Kombi und Coupé zu kreuzen, gibt es schon seit Jahrzehnten. Vor allem Kleinserienhersteller aus England pflegten sie. Groß heraus aber kam sie in Schweden bei Volvo. Lange, bevor der Hersteller für große Kombis wie den 940 stand, gingen die Nordländer ab 1971 mit dem Shooting Brake P 1800 ES auf Kundenfang. Schlank und schnittig gezeichnet und hinten ohne störende Streben großzügig verglast, wurde der Wagen im Volksmund schnell zum "Schneewittchensarg" - doch er wurde schon bald wieder eingestellt.

Volvo mühte sich in der Pressemappe zur Premiere des P 1800 ES um Worte, die der Zwitternatur das Autos gerecht werden sollten: Die Schweden lobten die Neuheit als "Fastback Coupé" und sprachen vom "Styling eines Sportwagens", ließen aber "den Nutzwert eines Kombis" nicht unerwähnt.

Die sportlichen Gene des Schneewittchensargs kann man bis heute spüren. Zwar zählte der Zweiliter-Motor mit seinen mageren 91 kW/124 PS und maximal 190 km/h unter den Sportwagen schon damals nicht zu den schnellsten. Und wer den Oldtimer vier Jahrzehnte später fährt, muss schon kräftig Gas geben, damit er flott vom Fleck kommt. Doch Sportwagen-Feeling kommt spätestens auf, wenn man nur knapp über dem Boden in den kleinen Ledersesseln Platz nimmt.

Die rechte Hand fällt auf einen langen, dürren Schaltknauf, die linke greift ins riesige Lenkrad, und nicht zu übersehen ist das überladene Armaturenbrett mit schmucker Holzimitat-Folierung. Dort stecken sage und schreibe sieben Rundinstrumente. Und dazwischen sind noch ein halbes Dutzend Kontrollleuchten angebracht.

Dabei wäre der P 1800 ES kein echter Volvo, wenn die Schweden nicht schon damals mit beinahe nervtötender Beharrlichkeit an die Sicherheit gedacht hätten: Wer die breite Gurtschnalle nicht in das beleuchtete Schloss auf dem Mitteltunnel steckt, blickt in die flammend rote Aufforderung: "Bitte Anschnallen".

Sportlich fahren gelingt zumindest auf einer vergleichsweise geraden Strecke. Aber sonderlich praktisch kommt einem der Wagen heute nicht mehr vor. Das Schloss ist schwergängig, und wer etwas Größeres einladen möchte, muss erst mühsam ins Auto tauchen und die Rückbank umlegen. An die Möbelpakete einer großen schwedischen Firma hat damals offenbar noch niemand gedacht, obwohl das Ladevolumen bei umgelegter Rückbank 1000 Liter und damit mehr als beim modernen Nachfahren C30 ausmacht.

Dennoch: Der Schneewittchensarg gilt vor allem Volvo-Anhängern als Kultauto. Seine Silhouette ist grazil wie die einer Märchenprinzessin, und die gläserne, rahmenlose Heckklappe wirkt auch für heutige Begriffe noch elegant. So verwundert es auch kaum, dass er Designer sportlicher Kombi-Modelle noch immer inspiriert. Auch bei Oldtimer-Rallyes, in Museen und bei Sammlertreffen ist der P 1800 ES ein gern gesehener Klassiker.

Doch zu ihrer Zeit hielt sich die Begeisterung für die gesamte 1800er-Baureihe bei Volvo in engen Grenzen. Das ES-Modell wurde aus der Not geboren und dem 1961 eingeführten Coupé P 1800 zur Seite gestellt, um den stockenden Absatz anzukurbeln. Das bescherte dem Schneewittchensarg immerhin eine Art Happy End, denn in Amerika wurde der 1800 ES schon zu Lebzeiten schnell beliebt.

Anders sah das im Rest der Welt aus, wo sowohl Coupé auch Kombi floppten. Deshalb wurde die Produktion des Zweitürers schon 1972 eingestellt und die des Fastbacks ein Jahr später.

Zwar hat zum Schneewittchensarg fast jeder Autofan ein Bild vor Augen. Doch oft zu sehen bekommt man den Schweden-Klassiker heute nicht mehr. Schließlich haben in den rund zwei Jahren kaum mehr als 8000 Autos die Fabrik in Schweden verlassen. Und so manches Exemplar davon dürfte Jahrzehnte nach der Fertigung nicht mehr existieren.

Angesichts der kleinen Stückzahl und der großen Berühmtheit ist das Angebot an gebrauchten Schneewittchensärgen überraschend: Allein auf den gängigen Internetplattformen in Deutschland findet man mindestens ein Dutzend Fahrzeuge. In gutem Zustand gibt es sie für etwa 20 000 Euro aufwärts. Doch man kann den P 1800 ES auch schon für einen vierstelligen Betrag bekommen. Fahrzeuge sind dann allerdings meist in einem stark renovierungsbedürftigen Zustand.

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