Bonner Politikwissenschaftler im Interview Volker Kronenberg: "CDU vor dem Scherbenhaufen"

BERLIN/BONN · Der Bonner Politikwissenschaftler Volker Kronenberg ist von der Massivität der CDU-Verluste in NRW überrascht worden. Unsere Redaktion sprach mit dem Professor über die Niederlage.

 "Norbert Röttgen hatte eine überaus populäre Gegenkandidatin", sagt der Bonner Politikwissenschaftler Volker Kronenberg im GA-Interview.

"Norbert Röttgen hatte eine überaus populäre Gegenkandidatin", sagt der Bonner Politikwissenschaftler Volker Kronenberg im GA-Interview.

Foto: Volker Lannert

Haben Sie mit der Erdrutsch-Niederlage der CDU gerechnet?
Volker Kronenberg: Mit einem solch dramatischen Abrutschen von noch einmal gut acht Prozent gegenüber 2010: Nein. Mit einer klaren Niederlage: Ja. Denn die Ursachen sind offensichtlich: ein Spitzenkandidat, der offen lässt, ob er wirklich von Berlin nach Düsseldorf wechseln will. Dann das zentrale Wahlkampfthema Schuldenabbau, ohne auch nur eine konkrete Sparmaßnahme zu benennen.

Des Weiteren der missglückte Versuch, die Landtagswahl zur Abstimmung über den Konsolidierungskurs der Kanzlerin in Europa und im Bund zu machen. Bedenkt man dann noch, dass der Union durch den Schulfrieden ein gerade auf Landesebene zentrales Thema zur Mobilisierung der eigenen Wähler nicht zur Verfügung stand, ist die Niederlage fast folgerichtig. Die NRW-CDU steht vor einem Scherbenhaufen und muss schleunigst den personellen und thematischen Neuaufbau beginnen.

War Norbert Röttgen der Alleinschuldige?
Kronenberg: Da der Wahlkampf stark auf Norbert Röttgen zugeschnitten war, wird man nicht umhin können, ihm jetzt auch die Hauptverantwortung dafür zuzuschreiben. Man muss aber auch sehen, dass er mit einer überaus populären Gegenkandidatin konfrontiert war, die es verstanden hat, in großen Teilen der Bevölkerung als authentische Landesmutter in NRW wahrgenommen zu werden.

Hat die SPD soziale Kompetenz dazugewonnen?
Kronenberg: Die Partei hat im Wahlkampf an klassische SPD-Themen angeknüpft und ihre Anliegen dem Wähler rhetorisch überzeugend vermitteln können. Doch wie das Konzept der "vorsorgenden Sozialpolitik" in Zeiten knapper Kassen und der Schuldenbremse tatsächlich mit Inhalt gefüllt werden kann, gehört nun zu den großen Herausforderungen für die rot-grüne Regierung und ihre Ministerpräsidentin Kraft.

Der FDP-Erfolg - ein Ausreißer-Erfolg?
Kronenberg: Ich beobachte eher eine Trendwende, denn immerhin war es nach Schleswig-Holstein schon der zweite Erfolg in kürzester Zeit, der sich mit starken Spitzenkandidaten und einem je eigenen Profil verbindet. Klar ist, dass die FDP an Rhein und Ruhr enttäuschte CDU-Wähler für sich gewinnen konnte.

Welche Rolle spielte der FDP-Spitzenkandidat?
Kronenberg: Mit Christian Lindner hatte sie einen Spitzenkandidaten, der sich ohne Wenn und Aber für die Landespolitik und damit bis auf Weiteres gegen Berlin entschieden hat. Das haben die Wähler anerkannt. Ebenso die thematische Klarheit, mit der sich die FDP von der CDU unterschieden hat.

Mit seinem Triumph im "Schlüsselland" der Bundesrepublik ist Lindner seit gestern der starke Mann in der FDP der Nach-Rösler-Ära, wann auch immer diese personell anbrechen wird. Lindner steht dabei für eine FDP, die sich mit einem erweiterten Themenspektrum neue Wählerschichten erschließen und damit auch für neue Koalitionsmodelle, zumal die Ampel, öffnen will. Ob ihm dieser Spagat gelingen wird, ohne dabei im bürgerlichen Lager zu verlieren, das wird spannend zu beobachten sein.

Wie schnell müssen sich Ihrer Meinung nach die Piraten der Frage der Regierungs-Mitverantwortung stellen?
Kronenberg: Vor dem Hintergrund der klaren rot-grünen Mehrheit stellt sich diese Frage für die Piraten - zumindest in Düsseldorf - zurzeit nicht. Die nordrhein-westfälischen Piraten werden nun erst einmal grundlegende personelle, strategische und inhaltliche Entscheidungen treffen und sich innerparteilich sowie als Fraktion konsolidieren müssen.

Zur Person

Der 41-jährige Politologe Volker Kronenberg wurde in Siegburg geboren. Seit 1999 ist er promovierter Politikwissenschaftler, 2004 wurde er Professor. Der Akademische Direktor sieht in der Politikwissenschaft eine praktische Wissenschaft.

Er gilt als Experte für das politische System in Deutschland und in Terrorismus- und Extremismusforschung. Kronenberg ist gern gesehener Gast bei aktuellen TV-Sendungen zu aktuellen, auch tagespolitischen Fragen.

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