NRW-Landtagswahl Fürs Kranksein ist jetzt keine Zeit

KÖLN/DORTMUND · Dunkle Wolken sind aufgezogen, die ersten Tropfen fallen und die Stimme wird immer heiserer, doch das will Sylvia Löhrmann den gut 100 Menschen auf der Schildergasse in Köln noch sagen: "Wir waren es, die Hannelore Kraft in die Minderheitsregierung gebracht haben. Jetzt wollen wir auch, dass wir fünf Jahre mit einer stabilen Mehrheit regieren."

 Grüne Spitzenkandidatin mit Unterstützung: Am Mittwoch trat Sylvia Löhrmann (links) mit Fraktionschef Jürgen Trittin in Köln auf.

Grüne Spitzenkandidatin mit Unterstützung: Am Mittwoch trat Sylvia Löhrmann (links) mit Fraktionschef Jürgen Trittin in Köln auf.

Foto: Meisenberg

Die Grünen hatten 2010 die zögernde SPD-Landeschefin erst davon überzeugt, eine gemeinsame Landesregierung zu bilden - und plakatieren jetzt sinnigerweise den Spruch "Jede Kraft braucht einen Antrieb". Eigentlich gehörte die grüne Spitzenkandidatin an diesem Mittwochnachmittag nicht auf eine Politbühne, sondern ins Bett.

Doch fürs Kranksein ist jetzt keine Zeit. Jedenfalls nicht bis zum Wahltag. Und so verspricht sie ihren Anhängern in Köln: "Ich hab zwar eine dicke Erkältung, aber ich halte durch. Bis Sonntagabend wird gekämpft." Auch mit letztem Einsatz. 20 Minuten spricht sie. Über die drei K, wie Kinder, Klima und Kommunen. Sie kündigt an, dass die Grünen Kita-Plätze nicht nur für 35 Prozent aller kleinen Kinder planen, sondern für alle, deren Eltern einen wollen.

"Das verstehe ich unter einem Rechtsanspruch", sagt Löhrmann und erhält viel Beifall. Sie nennt das geplante Betreuungsgeld eine Anti-Bildungs-Prämie und lobt den rot-grün-schwarzen Schulkonsens. Dabei lässt sie nicht unerwähnt, dass erstmals in der Landesverfassung das längere gemeinsame Lernen festgeschrieben ist.

Sie spricht über die abgeschafften Studiengebühren, die Beitragsfreiheit für das letzte Kindergarten-Jahr und das Klimaschutzgesetz. Selbstbewusst fügt sie hinzu: "Wir haben alles gehalten, was wir versprochen haben." Und selbstbewusst - das kann Löhrmann derzeit auch sein. Denn die Umfragen sehen eine Mehrheit für die bisherige Koalition. Das war nicht immer so.

Gerade zwei Wochen ist es her, als sie im Gespräch mit dem GA geradezu aufgekratzt erklärte, wie zuversichtlich sie dem Wahltag entgegen sehe. Doch Mimik und Gestik sagten etwas ganz anderes. Die Vize-Ministerpräsidentin sah ihre Felle davon schwimmen. Ihre große Sorge: Wenn es für Rot-Grün nicht reicht, dann könnte Kraft auf eine große Koalition setzen. Und sie wäre ihr Schulministerium los. Dort, wo sie sich wohl fühlt und wo sie noch so viele Aufgaben vor sich hat, wie sie in fast jedem Interview erklärt.

"Die Beste für unsere Kinder", haben die Grünen neben dem Konterfei Löhrmanns auf ein Plakat zur Schulpolitik geschrieben. Auf der Schildergasse spricht sie davon, dass es jetzt darum gehen müsse, die Lehrer-Fortbildung zu verbessern, um die Schüler individuell besser fördern zu können, und dass die Inklusion, also der gemeinsame Unterricht von Kindern mit und ohne Handicap, die große Herausforderung der nächsten Wahlperiode werde.

Für die Abteilung Attacke ist an diesem Tag in Köln Bundestagsfraktionschef Jürgen Trittin zuständig. "Schicken Sie Herrn Röttgen am Sonntag ins politische Abseits", ruft er von der Bühne aus. Er sei sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch im Bund ein Totalausfall. Für NRW habe er kein Konzept, und in Berlin mache er eine völlig verfehlte Politik. Als Beispiel nennt Trittin das Nein zu einem Nationalpark in der Senne. "Röttgen ist der erste Umweltminister, der sich gegen einen Nationalpark ausspricht."

Dabei sei der ein Segen für den Natur- und Landschaftsschutz, für den Tourismus und weil dadurch Geld in den ländlichen Raum komme. Am Donnerstagabend wollen die Grünen ihre Aktion "Drei Tage Wach" starten, in der sie vor allem über das Netz Fragen zu Themen und Personen beantworten. Konkurrenz für die Piraten? "Wir haben das schon gemacht, als es noch keine Piraten gab", sagt Landeschef Sven Lehmann. Bei den großen Veranstaltungen spielt die neue Partei zumeist keine Rolle.

Auch nicht in Dortmund vor einigen Tagen. Da hatten die Grünen ihre Bühne auf der BVB-Fanmeile zwischen Reinoldikirche und Pommes-Buden aufgestellt. Auch hier waren es Löhrmann und Trittin, die den Bürgern grüne Politik nahe zu bringen versuchten. Zum Beispiel Kira Kreitz. Sie habe bisher meist die Grünen gewählt, sagte die 27-Jährige. "Aber diesmal bin ich noch unsicher." Was sie so unsicher mache?

"Der Aufstieg der Piraten." Nicht alles, wofür die neue Partei stehe, trage sie mit. Doch sie könne sich durchaus vorstellen, diesmal die Piraten zu wählen. Früher waren die Grünen die Partei, die vor allem das Lebensgefühl der jungen Menschen aufgenommen haben. Diesmal sind es offenbar die Piraten.

Löhrmann selbst hat dazu ihre eigene Meinung. "Warum klappt das mit dem hippen Image der Grünen nicht?", fragte sie der Reporter der "heute-Show" am Mittwoch in Köln. "Soll ich jetzt etwa einen Minirock anziehen?", gab Hosenträgerin Löhrmann zurück, nein, das müsse jeder selbst entscheiden. Und dann war die grüne Spitzenkandidatin schnell wieder bei den Inhalten. Mit denen will sie nämlich am Sonntag punkten.

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