FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner Die Solovorstellung des jungen Herrn L.

GÜTERSLOH · Der Mann füllt die Säle, der Mann bringt die Leute in Stimmung - und der Mann genießt, dass das so ist. Christian Lindner ist in diesen Tagen die personifizierte FDP, wie es Philipp Rösler noch nicht einen Tag lang war. Lindner steht am Rednerpult, mal auf dem Landesparteitag in Gütersloh, mal am Tag der Arbeit in Essen, und zieht die Menschen in seinen Bann.

 Der Landesvorsitzende der FDP in Nordrhein-Westfalen, Christian Lindner, gestikuliert im Landtag in Düsseldorf während eines Interviews.

Der Landesvorsitzende der FDP in Nordrhein-Westfalen, Christian Lindner, gestikuliert im Landtag in Düsseldorf während eines Interviews.

Foto: dapd

Die liberale Partei himmelt einen Einzigen an. Das ist nicht normal, das ist vielleicht noch nicht mal liberal, aber das ist verständlich, denn dieser Mann soll seine Partei vor dem Untergang retten - und hat das schon fast geschafft.

Vor wenigen Wochen hätte das kaum jemand geglaubt, auch Lindner nicht. Als er im Dezember vergangenen Jahres die Brocken als Generalsekretär der Bundespartei hinschmiss, hatte er hoch gepokert: Die gewünschte Revolution gegen den nicht viel älteren Parteivorsitzenden blieb aus, Lindner musste sich mit einer Rolle auf den hinteren Bänken bescheiden. Dann beschloss er den Wiederaufstieg Schritt für Schritt. Es ging dann viel schneller als gedacht.

Als sich die FDP, die Neuwahlen in NRW mindestens so scheuen musste wie die Union, mit der Frage zu befassen hatte, wer sie aus dem Schlamassel führen sollte, griff der 33-Jährige zu - und wie. Ganz oder gar nicht, war seine Devise. Nicht nur Spitzenkandidat wollte er werden, sondern auch Landeschef. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr blieb nichts anderes übrig, als dem Retter das Feld zu überlassen. Dessen Argument: Ohne den Vorsitz wäre er "wieder nur so etwas wie Generalsekretär" gewesen. Ein Christian Lindner aber will mehr. Nachrichten-Sprecher können auch andere, er will die Nachrichten machen.

Wenige in der deutschen Politik können derzeit so gut reden wie er. Der studierte Politologe (Uni Bonn) spricht frei und er spricht klar. Er redet viel mit den Händen: Wenn er beispielsweise mit beiden Zeigefingern zwei rollende Umdrehungen macht, die das Argument: "Wir brauchen wieder Perspektiven" untermauern soll, dann wirkt das.

Wegen Überfüllung geschlossen

Die Menschen im Saal gehen mit, so sehr, dass er in Essen am Tag der Arbeit (wo er sich vom SPD-Renegaten Wolfgang Clement unterstützen lässt) wegen Überfüllung geschlossen werden muss. So sehr, dass er in Gütersloh (wo ihm Hans-Dietrich Genscher applaudiert), eine Woche vor der Wahl mit knapp 98 Prozent zum Landesvorsitzenden gewählt wird. Auf Wahlkampf-Schnickschnack verzichtet er. Er setzt sich nicht in den Sandkasten, tätschelt keine Kinder und ist auch nur selten mit bunten Luftballons unterwegs.

Lindners Prioritäten sind eindeutig - auf den ersten Blick: Er verspricht den gesunden Staat, sicheren Wohlstand und faire Bildung. Zum Staat fallen ihm vor allem zwei Sachen ein: "Nur ein schlanker Staat ist ein gesunder Staat." Und: "Entschulden kommt vor Entlasten." Das nennt er ohne Umschweife eine "Selbstkorrektur der FDP", obwohl der, der über dem einen Thema Steuerentlastung seinen Job verlor, ihn, den gerade 30-Jährigen, angestellt hatte: Guido Westerwelle. Sein Vorgänger in der Ein-Mann-Show.

Zum sicheren Wohlstand fällt dem Neu-Meerbuscher das Kohlekraftwerk Datteln ein, das Rot-Grün verzögert, was er für pure "Ideologie" hält. Und bei der fairen Bildung kommt ihm der Schulkonsens von Rot-Grün und Schwarz in den Sinn. Ein Konsens, den er, was die Zukunft des Gymnasiums angeht, für ein trojanisches Pferd hält. Das meint er ganz und gar nicht als Kompliment an Norbert Röttgen, den CDU-Herausforderer von Hannelore Kraft, der eigentlich der natürliche Bündnispartner der FDP sein müsste.

"Ach Norbert"

Ist er aber nicht. "Ach Norbert", entfährt es ihm in einer Fernsehdiskussion kaum hörbar. Lindner bemüht sich nach Kräften, Stimmen aus dem CDU-Lager abzuwerben. Beispielsweise mit Sprüchen wie diesem: "Schade, dass der glaubwürdigste Sozialdemokrat in NRW und der Klügste aller Grünen der CDU angehören: Karl-Josef Laumann und Norbert Röttgen."

Ansonsten - auch das ist das überall propagierte "neue Denken" - hält sich Lindner mit persönlichen Attacken zurück. Er geißelt die Gebots- und Verbotsmentalität von Sozialdemokraten und Grünen, aber eben auch der Union, attackiert die Piraten ("Linkspartei mit Internetanschluss") und treibt seinen Spaß immer wieder mit der Union. Deren Mindestlohnmodell, spottet er in Essen, sei so vage, "dass es auch von den Piraten kommen könnte".

Seriosität und Sachlichkeit gepaart mit Schärfe - das ist sein Anspruch. Seine Partei ("Das ist wieder meine FDP") soll sich in "Stil und Substanz" von der Bundespartei unterscheiden (weshalb der Bundesvorsitzende auch nicht gerade oft den Weg in diesen Wahlkampf finden durfte). Lindner gibt unverdrossen den Anti-Rösler. So sehr, dass selbst Euro-Rebell Frank Schäffler ihn einen "Glücksfall" nennt. Der Erfolg gibt Lindner bisher Recht. Aus den bitteren zwei Prozent der Winterumfragen sind stabile sechs geworden. Lindner kokettiert damit. Beispielsweise auf dem Landesparteitag: "Wir sollten bis zum Wahltag keine Umfragen mehr lesen", ruft er in den Saal. "Für uns zählt die Umfrage am 13. Mai."

Nun denn: Der Wahltag kann kommen. Was dann wird, lässt Lindner im Wahlkampf offen. Standardspruch: "Mir geht es um die Inhalte." Heißt umgekehrt: Ausgeschlossen ist nichts wirklich. In der Frühphase des Wahlkampfs hat er unvorsichtig von den sozialliberalen Errungenschaften früherer Jahre gesprochen, um dann schnell wieder zurückzurudern. Denn diese Koalitionsbotschaft, das war klar, hätte die Ampel aus Roten und Grünen und Gelben kräftig blinken lassen, hätte nicht "Neues Denken" signalisiert, sondern altes Machtstreben.

Was nicht ist, kann ja noch werden. Denn auch das ist klar: Christian Lindner, der für seine Landespartei in diesen Wochen alles versucht, hat nichts zu verlieren. Deshalb wird er am Wahlabend so oder so neue Macht haben - und immer noch erst 33 Jahre alt sein.

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