Die Bonner Kandidaten im Plakat Von glaubwürdig bis grimmig

BONN · In der ganzen Stadt blicken sie von den Wahlplakaten - die Kandidaten für die Landtagswahl am 13. Mai. Mit gewinnendem Lächeln und plakativen Forderungen buhlen sie um die Gunst der Wähler. Nur: Wie gelungen sind die Auftritte der Kandidaten? Wie wirken sie auf den Betrachter? Der GA bat Experten, die Plakate der Kandidaten zu analysieren, die im Wahlkreis 29 gegeneinander antreten.

Zu Wort kommen der Kommunikationsexperte Pit Rauert, Martin Kitz von der Bonner Werbeagentur Kitz Kommunikation, der Marketingexperte Professor Jens Böcker von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und die Psychologische Psychotherapeutin Sabine Trautmann-Voigt, Leiterin der Köln-Bonner Akademie für Psychotherapie. Mit Bernhard Smolarz schicken auch die Piraten im Wahlkreis 29 einen Kandidaten ins Rennen, von ihm gibt es aber bislang kein Plakat.

Norbert Röttgen:

Pit Rauert: Auf mich wirkt Herr Röttgen auf diesem Plakat gequält und müde, als habe man ihn zu diesem Lächeln lange überreden müssen. Und was will der Slogan "Verantwortung statt Verschuldung?" uns sagen? Dass die SPD-Regierung verantwortungslos war oder dass eine CDU-Regierung keine Schulden machen wird? Ist das glaubwürdig? Die Unterzeile "Unser Land verdient das Beste" ist auch nicht klarer.

Martin Kitz: "Verantwortung statt Verschuldung" ist eine gelungene Headline, die sich des klassischen Stilmittels gleichlautender Anfangssilben bedient. "Unser Land verdient das Beste" ist wiederum eine der Parolen, die jeder mit Ja beantworten kann und insofern fast bedeutungslos. Mit seinen grauen Haaren und seinem jugendlichem Gesichtsausdruck wirkt er seriös, strahlt aber dennoch jugendlichen Charme aus.

Jens Böcker: Von den Plakaten das beste, er wirkt konzentriert und glaubwürdig. Klare Aussage, gut und humorvoll.

Sabine Trautmann-Voigt: Röttgen lächelt mit der unteren Gesichtspartie, während die Augen den Betrachter freundlich und zugleich fordernd anschauen: ein nicht ganz eindeutiges Lächeln. Der leicht nach rechts geneigte Kopf in Verbindung mit einer vollständig fokussierenden Zugewandtheit des Oberkörpers vermittelt den Willen, Informationen zu geben und gleichermaßen aufzunehmen. Die drei Personen im Hintergrund spiegeln die Züge des Akteurs im Zentrum wider, der so auf den Betrachter wirkt, als sei er in ernsthafter Mission unterwegs.

Bernhard "Felix" von Grünberg:

Martin Kitz: So stellt man sich doch einen Opa vor. Brille, Glatze, Bart und gewinnend lächelnd. Ins Auge sticht auf den zweiten Blick der in einem Ei verpackte Hilferuf "Ich brauche Ihre Erststimme". Leider ohne Begründung. Die Aufteilung der Flächen ist gestalterisch stimmig. Das Bild von von Grünberg ist in Ordnung, aber auch nicht mehr. Es wirkt wie ein Passbild aus einer Zeit, in der man noch auf dem Foto lächeln durfte. Hintergrund und Anzug sind leider etwas farblos und strahlen ebenso wenig Dynamik aus wie die Körperhaltung. Aufgrund des Spruchs "Die soziale Stimme Bonns" macht wohl keiner sein Kreuz bei von Grünberg. Aber deshalb kann man sich ja informieren. Nur wo? Das steht nicht auf dem Plakat. Schade.

Jens Böcker: Eher sympathisch, Typ freundlicher Nachbar. Der Hinweis auf die Erststimme wirkt etwas verzweifelt. Wenig Inhalt, setzt fast schon auf den Mitleidseffekt.

Sabine Trautmann-Voigt: Bern-hard von Grünberg präsentiert sich frontal und ist dem Betrachter auf diese Weise vollständig, ohne Wenn und Aber, direkt zugewandt. Entgegenkommend, mit offenen Augen und einem "echten" Lächeln ausgestattet, das man an der kompletten Enervierung der Augenringmuskeln erkennen kann, ist "Felix" der sympathische, gleichzeitig aber auch der seriöse, ältere Herr, der uns mit seiner "Breitseite" vertrauensvoll zugewandt ist, von einem roten Accessoire, der fein gemusterten Krawatte, nur vorsichtig begleitet: Er wirbt mit seiner Person, weniger mit seiner Partei.

Angelica Maria Kappel:

Martin Kitz: Fast ungeschminkt, soweit man das erkennen kann, und mitten in der Natur. Also alles im grünen Bereich. Ohne die puristische Grundstimmung des Fotos zu verändern, hätte man auf unkompliziertem Wege etwas mehr herausholen können. Die grüne Fläche ist von links nach rechts, also aufsteigend angelegt. Von Dynamik zu sprechen, wäre übertrieben. Im linken Bereich sieht man einen Strahleneffekt, der dem Plakat etwas Strahlkraft verleiht. Eine gute Entscheidung. Der Text folgt dem Muster der anderen Parteien, sich inhaltlich knapp zu halten. Obwohl das doch schon sehr, sehr knapp ist. Dafür der Vorteil: Man kann das Plakat immer wieder aufhängen weil: Kein Datum, kein Wofür, kein Wogegen, keine Stadt, kein Wahlkreis. Positiv ist die relativ gut sichtbare Internetadresse.

Sabine Trautmann-Voigt: Angelica Maria Kappel zeigt sich lediglich mit ihrem Kopf und ihrem unbekleideten Hals. Die Ehrlichkeit, mit der das komplett naturbelassene Gesicht in eindeutig freundlicher und ungeschminkter Aufrichtigkeit "rüberkommt", ist ohne Zweifel ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber den Körpersignalen aller anderen Kandidaten. Mit ungestellter Mimik und unter Verzicht auf weitere schmückende Körpersignale wird sogar das biologische Alter der Kandidatin eingestanden: Nichts ist wegretouchiert. Der Blick des Betrachters wird allerdings nicht direkt von der Kandidatin erwidert, was in Kombination mit dem Blumenarrangement im Hintergrund einen leicht verschleierten Eindruck hinterlässt: Natürlich - ja. Klar und fokussiert - eher nicht!

Franziska Müller-Reich:

Martin Kitz: Ein Brett vorm Kopf hat sie nicht, aber der Balken über der sympathisch wirkenden Franziska ist doch etwas massiv, erdrückt sie etwas und lässt sie klein wirken. Fünf eckige Kästen in unterschiedlichen Farben und Größen sind sicher nicht die allerbeste Gestaltungslinie, um Dynamik, Einsatzbereitschaft oder Modernität auszudrücken. Dies gilt ebenso für die Wahl der Schrift, die gerade, klassisch und statisch wirkt. Aber falls man diese Attribute zum Ausdruck bringen möchte, dann ist das ganz gelungen. Insgesamt eine schlüssige Bild-Headline-Kombination. Leider ist die Internetadresse kaum zu erkennen.

Jens Böcker: Nicht glaubwürdig, sie wirkt, als müsse sie da beim Fototermin sitzen, das Lächeln ist fast ängstlich. Bild und Text passen nicht zusammen, das Bild ist zu freundlich für das ernste Thema.

Sabine Trautmann-Voigt: Fran-ziska Müller-Rech lächelt jugendlich, unbeschwert und heiter den Betrachter an. Ihr Grübchen auf der Wange und ihre locker auf die Schulter fallenden Haare verstärken das unbefangene, frische Outfit ebenso wie die locker offen stehende himmelblaue Bluse, unter der ein einfaches T-Shirt hervorschaut. Wie zufällig erscheint sie leicht aus der Mittellinie heraus geraten zu sein: Die linke Schulter angelehnt, die Arme locker vor der Brust verschränkt, verweist diese Körperhaltung auf Flexibilität und spielerische Leichtigkeit, die in ein zartes, blau-gelbes Farbenspiel hineinchoreographiert ist: Die Jugend, die Studenten sollen sich vermutlich angesprochen fühlen.

Michael Aggelidis:

Pit Rauert: Viel Rot, wenig Kopf. Soll wohl sagen: Die Linie (Rot) und die Botschaft sind wichtig. Der Kopf einer unter anderen. "Millionärsteuer" kann man wohl heute so schreiben. Weniger holprig wäre das Wort, wenn es mit zwei "s" geschrieben wäre. Die Angaben "Für Bonn in den Landtag! Bonn I, Wahlkreis 29" hätte man sich sparen und dafür den roten Block unten verkürzen können: Die Plakate hängen doch wahrscheinlich nur im Wahlkreis. Der QR-Code ist natürlich der Hit. Die Linke gibt sich hier modern. Schade nur, dass die Seite, auf die der User gerät, so ganz und gar nicht für Smartphones optimiert ist. Standard-Wahlplakat ohne Witz, ohne Pepp, ohne Hingucker und ohne Nutzenversprechen.

Jens Böcker: Setzt auf Sozialneid, streng, eher unsympathisch, grimmig. Aggressiv im Stil von Media-Markt und Bild-Zeitung. Sehr positiv ist der QR-Code.

Sabine Trautmann-Voigt: Michael Aggelidis präsentiert sich mit einem zupackenden Blick, die Augen ernst und ausgesprochen gerade fokussierend auf das Gegenüber gerichtet. Die mimische Analyse lässt keinen eindeutigen Gefühlsausdruck zu: Kein klares Lächeln umspielt den geringfügig und einseitig nach links gehobenen Mundwinkel. Die rechte Schulter kommt dem Betrachter leicht entgegen, der Körper steht weniger im Mittelpunkt als der in den Vordergrund gebrachte "Charakterkopf." Solch eine Haltung wird häufig bei herausfordernder beziehungsweise provokativer Rhetorik verwendet. Der Betrachter bleibt dem fixierenden Blick des Kandidaten verhaftet.

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