Michel Descombes Laufen, sammeln, Freude machen

Bonn · 190 Marathons in den vergangenen 30 Jahren, 30 Mal in Folge Berlin-Marathon, häufiger Gast auch in Bonn: Michel Descombes ist in der Laufszene bekannt wie ein bunter Hund.

Für den Deutsch-Franzosen ist es angesichts der 50-jährigen Freundschaft beider Länder eine Selbstverständlichkeit, am Sonntag beim größten Laufevent der Region in der Bundesstadt an den Start zu gehen. Wo auch immer er in den letzten Jahrzehnten gelaufen ist, überall sorgt der 71-Jährige für ausgelassene Stimmung. Monsieur Baguette, Laufclown oder Spaßpräsident - das sind die Bezeichnungen, die er in all den Jahren über sich vernommen und gelesen hat.

Die meisten mit Genugtuung. "Der Sport ist ein Geschäft geworden, dabei sollte er doch vor allem eines vermitteln, nämlich Freude", sagt Michel. Das wird er auch in Bonn als Teilnehmer am Halbmarathon tun: "Bevor ich die Ziellinie überquere, gehe ich auf den letzten Metern hin und her, begleite die letzten Läufer und sorge für Stimmung unter den Zuschauern."

In Trier beim renommierten Silvesterlauf setzte er vor wenigen Jahren dem weltbesten Läufer Haile Gebrselassie nach dessen Sieg im Ziel eine Krone auf. Der Laufclown hatte sich in den Zielraum geschmuggelt. Wider den tierischen Ernst im Sport, das ist die eine Berufung des früheren Bankers, der mit 55 in den Ruhestand gegangen ist.

Seine andere Mission liegt im Wirken für karitative Zwecke. Auffallend wegen seiner stets in französischen Nationalfarben gehaltenen Verkleidung, hat der Spaßpräsident bei zahlreichen Veranstaltungen gesammelt. Zum Beispiel für Menschen mit Epilepsie, geistiger Behinderung und psychischen Beeinträchtigungen oder für krebskranke Kinder.

Michels erfolgreichstes Projekt liegt bereits 24 Jahre zurück, es war gleichzeitig die Geburtsstunde von Monsieur Baguette in einer Ära großen politischen Umbruchs. 200 Jahre nach der Französischen Revolution und kurz vor dem Fall der Berliner Mauer. "Damals habe ich im Elysée-Palast in Paris einen von Jacques Chirac und Francois Mitterand unterzeichneten Brief für Freundschaft und Frieden in Europa abholen dürfen, um den dann laufend nach Berlin zu bringen", erzählt Descombes, der einst der Liebe wegen nach Deutschland kam.

Im hessischen Ebsdorf, 90 Kilometer entfernt von Frankfurt, hat er Wurzeln geschlagen. "Mein Herz ist in Frankreich geblieben, aber in Deutschland bin ich Zuhause", sagt der überzeugte Europäer. "Mit der Verkleidung möchte ich nicht die Nationalität feiern, sondern auf Freundschaften zwischen den Ländern aufmerksam machen."

Damals, 1989, lief Descombes erstmals verkleidet. Den Weg von der französischen Hauptstadt legte er in 60-Kilometer-Etappen zurück, um in West-Berlin dem dortigen Oberbürgermeister Walter Momper die Friedensbotschaft zu überreichen. "Das war mein größtes Erlebnis als Läufer - ich erinnere mich vor allem mit Freuden an die Kinder, die mich unterwegs immer wieder für kleine Strecken begleiteten." Der Erfolg der Aktion in Zahlen: 30 000 Euro Erlös für UNICEF.

Laufen ist für den Deutsch-Franzosen Lebensfreude, Philosophie und Jungbrunnen zugleich: "Es hat meiner Gesundheit über die Jahre mehr genutzt als geschadet." Selbst nach einer Operation wegen eines genetisch bedingten Bandscheibenvorfalls. "Die Ärzte rieten mir zunächst ab", erinnert Descombes: "Aber dann meinte ein Orthopäde, ich solle neben dem Laufen das Stretching nicht vernachlässigen. Das half." Heute fährt der flotte Siebziger zur Abwechslung auch Rad. Und macht Tai Chi, ein ganzheitliches Training für Körper, Geist und Psyche aus der chinesischen Kultur.

Jeden März verbringt Descombes seit Jahren auf Gran Canaria. Des Klimas wegen. Vor gut einer Woche ist er nach Deutschland zurückgekehrt. Persönlichen Ehrgeiz hat der Mann, der es Mitte der 80er Jahre immerhin auf Bestzeiten von 2:51 Stunden im Marathon (42,195 km) und 1:18 Stunde für die halbe Distanz brachte, längst abgelegt.

"Ich bin auf der Insel jeden Tag ein bis zwei Stunden gelaufen", erzählt er mit spürbarer Zufriedenheit in der Stimme: "Aber sehr langsam. Schließlich musste ich das Tempo üben, das ich in Bonn laufen will." Einen Zielsprint wird man von ihm nicht sehen, aber jede Menge glücklicher Gesichter von Menschen, die der laufende Spaßpräsident auf den letzten Metern begleitet.

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