Yanna Schneider Folge 25: Der Traum von Rio platzt an Heiligabend

Bonn · Es sind mit die letzten Sonnenstrahlen des Jahres, die Yanna Schneider an diesem Tag in einem Bonner Café tankt. Sie genießt den Cappuccino und die Ruhe. Ruhe, fast schon ein Fremdwort für die 19-Jährige. Das vergangene Jahr war für die Bonner Taekwondoka eine Achterbahn der Gefühle.

Rhein statt Rio: Yanna Schneider wird nicht zu den Olympischen Spielen nach Brasilien fahren. FOTO: BARTSCH

Rhein statt Rio: Yanna Schneider wird nicht zu den Olympischen Spielen nach Brasilien fahren. FOTO: BARTSCH

Ein rasantes Auf und Ab - immer unterwegs zwischen Uni, Trainingslager und Turnieren. "Es war sicherlich nicht mein erfolgreichstes Jahr, aber es war extrem lehrreich", sagt Schneider.

Ihre bislang bitterste sportliche Lektion hat die Studentin der Wirtschaftspsychologie erst vor wenigen Tagen lernen müssen. Ausgerechnet an Heiligabend. Im Kreise der Familie verbringt Schneider das Weihnachtsfest. Dann, am späten Abend, erhält die 19-Jährige die E-Mail, auf die sie seit einigen Tagen gewartet hat: Nachricht vom Taekwondo Bundestrainer. In wenigen Zeilen erklärt Carlos Esteves, dass Yanna Schneider nicht für die Olympia-Qualifikation in Istanbul berücksichtigt wird. Der Olympia-Traum von Rio platzt ausgerechnet am Fest der Liebe. Die weihnachtliche Idylle ist von jetzt auf gleich getrübt. "Da ist die Stimmung natürlich gekippt. Ich habe ein ganzes Jahr alles hintenangestellt. Privates, aber auch Berufliches. Ich habe nur auf diesen einen Traum hingearbeitet", sagt die Bonnerin. "Als der geplatzt ist, wollte ich erstmal nur alleine sein."

Für das Qualifikationsturnier in Istanbul, die letzte Chance auf Olympia, musste sich der Bundestrainer für zwei von drei Athletinnen entscheiden. Anna-Lena Frömming war bereits gesetzt, die Entscheidung sollte also zwischen Yanna Schneider und Rabia Gülec aus Nürnberg fallen. Die Wahl fiel auf die WM-Dritte von 2013. "Sportlich akzeptiere ich die Entscheidung absolut", sagt Schneider. "Auch wenn wir 2015 gleichauf waren, hat Rabia in den vergangenen Jahren bei den großen Turnieren im Gegensatz zu mir Medaillen gewonnen."

Die Art und Weise der Nachrichtenüberbringung nimmt Schneider nicht so sportlich auf. "Um 22.30 Uhr an Heiligabend erfahre ich von der Nichtnominierung", sagt sie. "Per E-Mail. Es wäre doch so leicht gewesen, mir das persönlich mitzuteilen. Wir hätten uns auf einen Kaffee treffen können." Persönlich ist die Nachricht von Esteves nicht. Erst auf Nachfrage gibt er an, dass rein sportliche Gründe entscheidend gewesen seien. "Dann hat die Entscheidung offenbar schon vor dem Trainingslager in Thailand festgestanden", so Schneider. "Ich war vermutlich nur dabei, um den anderen beiden einen gewissen Druck zu machen." Neben den Reisestrapazen bedeutete Thailand für Schneider auch hohe Kosten. Die Reise ihrer Trainingspartnerin bezahlte sie aus eigener Tasche und mit Hilfe des Stützpunktes und von Sponsoren.

Die Nachricht an Schneider brachten die Verantwortlichen am späten Heiligabend noch auf den Weg. Für Nachfragen aber sind sie seit den Festtagen auch über den Jahreswechsel nicht erreichbar. Von der Deutschen Taekwondo Union (DTU) erfolgte auf GA-Anfrage lediglich eine kurze schriftliche Stellungnahme. Darin erkläre DTU-Sprecher Patrick Upmann, der Verband sei "sich seiner Funktion im Hinblick der Olympischen Spiele in Rio 2016 und seiner Verantwortung gegenüber Athleten, Trainern und Beteiligten bewusst". Upmann verwies darauf, dass die DTU "gerade bei Nominierungen zu Olympia und den dazugehörigen Qualifikationen" den verantwortlichen Bundestrainern, Trainern und Vereinen ihren Entscheidungsspielraum belasse.

Lautenschläger kritisiert DTU

Die Vorgehensweise sorgte aber bei Schneiders Heimtrainer Dimitrios Lautenschläger für Unverständnis. Lautenschläger postete einen emotionalen Brief bei Facebook. "Ich frage mich wirklich, wer in der DTU diese glorreiche Idee hatte, dem Mädchen das an Heiligabend mitzuteilen", schreibt Lautenschläger. Und: "Ich möchte mich hier als Assistenz-Bundestrainer der DTU ganz klar von dieser Vorgehensweise distanzieren und schäme mich für diese Art und Weise." Auch Lautenschläger betont, dass die sportliche Entscheidung zu akzeptieren sei (siehe Interview unten). An einer Untersuchung des Vorgangs aber wird nach Veröffentlichung der Kritik kaum ein Weg vorbeiführen. "Wir möchten den Verantwortlichen die Möglichkeit geben, den Sachverhalt ausführlich zu schildern", heißt es in dem DTU-Schreiben. "Wir werden auf die Urlaubsrückkehrer warten und sie dann zum geschilderten Vorgehen befragen."

Schneider hat sich mit der Nichtberücksichtigung längst arrangiert. "Mir bleibt ja nicht viel anderes übrig", sagt sie. Jetzt hat die Bonnerin viel Zeit - und genießt diese auch. Es scheint, als sei eine schwere Last von ihren Schultern gefallen. Den Jahreswechsel verbrachte sie mit Freunden in Hamburg. Ende Januar stehen Klausuren an, ein Skiurlaub ist geplant. "Natürlich werde ich Sport machen. Doch die Taekwondo-Halle werde ich vorerst nicht betreten." Wer Schneider kennt, weiß, dass dieser Zustand nicht lange anhalten kann. Schon jetzt freut sie sich auf die neue Halle, die Lautenschläger in Buschhoven aufbaut - eine reine Taekwondo- Sportstätte. "2016 findet ja auch wieder eine EM statt. Da werde ich auf Medaillenjagd gehen. Und es stehen wieder Grands Prix an", sagt Schneider.

Die Bonnerin lebt für den Sport und für ihren Traum. Ans Aufgeben ist bei ihr nicht zu denken. "Ich habe mich in nur einem Jahr in die Top-20 der Weltrangliste vorgearbeitet. Jetzt habe ich fast vier Jahre Zeit, mich in die Top 6 zu verbessern", sagt sie. Ein Platz, der die direkte Olympia-Qualifikation bedeuten würde. Eine Hiobsbotschaft zu Weihnachten wäre dann so gut wie ausgeschlossen.

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