Interview Kriminalbiologe Mark Benecke über den Fall Ulmen und die Konsequenzen

BONN · Die Gründung einer DNA-Vermisstendatenbank regt der renommierte Kriminalbiologe Mark Benecke an. Damit könnten Vermisstenfälle und nicht identifizierbare Tote besser in Zusammenhang gebracht werden. Den Vorschlag machte der Kriminologe im GA-Interview, nachdem ein DNA-Abgleich geholfen hatte, den Tötungsfall Trudel Ulmen aufzudecken.

Der Fall Trudel Ulmen ist gelöst, ihr früherer Mann hat gestanden, sie 1996 erstickt zu haben. Sie hatten vor wenigen Wochen gesagt, der Fall stinke zum Himmel. Wie kamen Sie darauf?
Mark Benecke: Es gab viele Widersprüche in den Aussagen des Mannes. Was für mich das Auffälligste war, dass das Auto der damals Vermissten auf dem Parkplatz an ihrem Arbeitsplatz, der Reha-Klinik, gestanden haben soll, es aber von niemandem gesehen wurde. Insgesamt hat sich der Mann auffällig verhalten, als er in der Reha-Klinik nach seiner Frau fragte. Wenn die Frau tatsächlich durchgebrannt wäre, hätte er sich anders verhalten müssen.

Schon 1996 ist die Leiche von Trudel Ulmen gefunden worden, aber erst jetzt konnte die Identität durch eine DNA-Analyse geklärt werden. Inwiefern war damals schon die DNA-Analyse gang und gäbe?
Benecke: Schon 1996 war die DNA-Analyse gang und gäbe und technisch kein Problem mehr. Allerdings war der Test damals noch teurer. Es wurden aber seinerzeit schon tote Vietnamsoldaten nachtypisiert. Wenn man eine Lehre aus dem Fall Ulmen ziehen will, dann sollte man eine DNA-Vermisstendatenbank einrichten. Die gibt es meines Wissens nach noch nicht. Das Bundeskriminalamt hat lediglich eine DNA-Datenbank für Täter. Man muss sich aber bewusst sein, dass dies den Steuerzahler etwas kostet.

Was hat sich in Sachen DNA-Analyse seit 1996 verändert?
Benecke: Vor allem das politische Bewusstsein, dass man zur DNA-Analyse greift. Oft ist es ja das letzte Mittel. Technisch sind die Analysegeräte immer kleiner geworden.

Wieso kann die direkte DNA aus dem Gewebe der vermissten Person schneller zu einem Ergebnis führen als die von direkten Verwandten?
Benecke: Weil man doppelt so viele Informationen hat. Die Mutter vererbt nur die Hälfte ihres DNA-Strangs an das Kind. Bei einer direkten Probe ist es der komplette Satz. In der Praxis spielt das aber keine große Rolle. Ich schränke ein: Das ist Ansichtssache. Ich halte es im Fall Trudel Ulmen aber für egal.

Das FBI hat damals das Gesicht der unbekannten Toten von Aegidienberg rekonstruiert. Die Ähnlichkeit mit Trudel Ulmen war nicht gerade frappierend.
Benecke:
Gesichtsrekonstruktionen können klappen, müssen aber nicht. Ich habe auch schon schlechte Erfahrungen gemacht. So oder so kann man sich nicht darauf verlassen.

[kein Linktext vorhanden]Warum hat der Täter die Leiche seiner Frau ausgerechnet in einem Waldstück bei Aegidienberg vergraben?
Benecke: Das ist nicht ungewöhnlich, dass Täter ein Stück weit fahren und dann kurz hinter der Autobahnabfahrt halten. Das FBI hat vor ein paar Jahren alle nicht identifizierbaren Leichen mit einem Pünktchen auf der Landkarte der Vereinigten Staaten verzeichnet. Heraus kamen Linien entlang der Highways.

Wo hat damals die Polizei nach Ihrer Wahrnehmung Fehler gemacht?
Benecke: Ich weiß es nicht. Tatsächlich kommen bei diesem Fall zwei Probleme zusammen. Es gibt viele Vermisste, die nicht wirklich vermisst sind. Da kann es durchaus vorkommen, dass man dem nicht mit voller Kraft nachgeht. Das andere Problem ist, dass immer weniger kriminalistische Spuren ausgewertet werden. Das hat mit der Ausbildung der Kriminalpolizisten zu tun. Die ist heutzutage sehr breit angelegt und weniger spezialisiert. Das kann dazu führen, dass Spuren unbeachtet bleiben. Das wird künftig nicht besser.

Könnte eine solche Verkettung von Pannen auch heute noch passieren?
Benecke: Ja, hier spielt das Problem der falschen Grundannahme eine Rolle. Polizisten alleine lösen keine Fälle, und Spuren allein führen auch nicht zur Aufklärung. Wichtig ist das Zusammenspiel aller Faktoren.

Der Bruder von Trudel Ulmen hat sich nie damit zufrieden gegeben, dass seine Schwester verschollen sein soll.
Benecke: Ja, er hat ein ungewöhnliches Verhalten gezeigt. Meistens reagieren Verwandte in einem solchen Fall nur emotional. Hier handelte der Bruder aber zugleich sehr rational. Wir wünschen uns häufiger solche Verwandten, die nicht aufgeben.

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