WCCB - Die Millionenfalle, Teil 86 Viele Wahrheiten - Der erste WCCB-Prozess erreicht die Ziellinie

BONN · Der erste Strafprozess rund um den Bauskandal des World Conference Center Bonn (WCCB) gegen Ex-Investor Man-Ki Kim und Co. geht nach 103 Verhandlungstagen in die Endphase: Ab Dienstag nimmt die Bonner Wirtschaftsstrafkammer die Schlussvorträge entgegen.

Der Chefankläger: Oberstaatsanwalt Fred Apostel.

Der Chefankläger: Oberstaatsanwalt Fred Apostel.

Foto: dpa

Die Wahrheit ist ein großes Wort. Wird man die um das Debakel des World Conference Center Bonn (WCCB) eines Tages tatsächlich herausfinden? Wer hat den 150- oder 200-Millionen-Schaden der Stadt Bonn angerichtet? Eine einzelne Person? Oder waren es mehrere Akteure im teils fahrlässigen, teils bewussten Zusammenwirken? Was war Wirkung von welcher Ursache? Wer ist letztlich verantwortlich?

Doch diese Fragen wurden seit September 2011 im ersten WCCB-Prozess vor der Wirtschaftsstrafkammer nur tangiert und im Kern nicht verhandelt. Verhandelt wird nicht, was die Öffentlichkeit interessiert, sondern was die Staatsanwaltschaft anklagt. Sie hat Kausalitätsstränge seziert, individuell zugerechnet und angeklagt, sofern sie die Beweise für stichhaltig hielt.

Insgesamt wurden mehr als 50 "selbstständige Handlungen", die strafwürdig sind, herauspräpariert und zehn Personen, den Angeklagten, zugeordnet. Jeder zweite ist ein städtischer Bediensteter, darunter mit Friedhelm Naujoks, Arno Hübner und Eva-Maria Zwiebler auch ehemalige oder aktuelle leitende Angestellte. Zehn Angeklagte verteilt auf drei Verfahren, zwei hat das Gericht noch nicht zugelassen.

Die Beweisaufnahme im ersten Verfahren ist nach rund 110 Verhandlungstagen, diversen Video-Schaltkonferenzen und richterlichen Reisen rund um den Globus beendet. Heute beginnen die Staatsanwälte ihr Plädoyer. Ein Tag wird dazu nicht reichen. Dann sind die Verteidiger dran, anschließend haben die Angeklagten das letzte Wort. Danach beraten die Richter acht Tage lang, ob Man-Ki Kim (Investor), Ha-S. C. und Wolfditrich Thilo (beide Kims Rechtsberater) schuldig oder unschuldig sind, bevor sie am 6. März ihr Urteil sprechen.

Um ein Korruptions-Labyrinth strafrechtlich aufzuarbeiten, muss die Öffentlichkeit damit leben, dass mögliche Schuldige von überlasteten Gerichten und unterbesetzten Staatsanwaltschaften profitieren. Auch von der bizarren WCCB-Konstruktion: Letztlich konnten drei private GmbHs (alle seit 2009 insolvent) mehr oder weniger autark mit einem 100-Millionen-Kredit agieren, der durch Bonns Bürgschaft abgesichert war.

So geriet die Baukasse zum Selbstbedienungsladen: Cabrios für Ehefrauen, Schulgeld für die Kinder, sechsstellige Darlehen nach Dubai und Virginia, kostspielige private Wohnungsrenovierungen, private Darlehen, dazu Gehälter von bis zu 40.000 Euro pro Monat - alles letztlich Steuerzahlergeld, aber strafrechtlich schwer zu fassen. Und kaum geeignet, vor Gericht glaubhaft den Christen zu mimen, wie es Kim versuchte. Angeklagt wurde nur das strafrechtlich Eindeutige - die Spitze des Eisbergs.

Da jedoch nicht nur Staatsanwälte mit Zeit und Personal haushalten müssen, sondern auch ein Gericht, wirft es früh Ballast ab. So haben die Richter im Mai 2012 den Angeklagten Michael Thielbeer, dem Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr im besonders schweren Fall vorgeworfen wurde, laufen lassen. Dem Ex-WCCB-Berater der Stadt, Hyundai-/Kim-Befürworter und späteren Hyundai-Angestellten sollen von Kim und C., so die Anklage, "300.000 Euro netto" versprochen worden sein, "wenn er sich erfolgreich" bei der Stadt für einen Zuschlag des Projekts an SMI einsetze.

Auch sei die Entlohnung "über Scheinverträge" ausbezahlt worden. Thielbeers Verteidiger Joachim Albert hielt, keine Überraschung, dagegen: "Dieses Beweiskonstrukt der Staatsanwaltschaft entbehrt jeder Realität." Dann folgte ein Stück Prozessökonomie: Das Gericht bot an, das Verfahren gegen 150.000 Euro Auflage einzustellen, und Thielbeer musste nicht lange überlegen; er nahm den "Freispruch zweiter Klasse" an. Der Anwalt gilt weiter als nicht vorbestraft.

Zur "Sache Thielbeer" war es vor Gericht eher lau zugegangen. Zwar waren während des WCCB-Projekts unter den Angeklagten handfeste Feindschaften gereift, doch mutmaßliche Bestecher und mutmaßlich Bestochene hatten sich auf eine Art Schweigeallianz geeinigt. Und wo kein Bestecher, da auch kein Bestochener. Bemerkenswert: Nicht einmal fiel das Wort "Schmiergeld".

Nun spricht Insolvenzverwalter Christopher Seagon, so eine Mitteilung des Arbeitsgerichts, unverhohlen von "Schmiergeldzahlungen" und fordert mehr als 400.000 Euro von Thielbeer für die Insolvenzmasse zurück. Zivilrechtlich stehen Thielbeer ohnehin unruhige Zeiten bevor. So bastelt die Stadt Bonn nach GA-Informationen ebenfalls an einer Schadenersatzklage gegen ihn. Das wird nicht die einzige bleiben. Auch die Sparkasse brütet. Sie hat den WCCB-Chefcontroller Naujoks im Visier. Als städtische Bedienstete prüften er und Kollegen im Auftrag der Sparkasse KölnBonn die Abflüsse aus der WCCB-Baukasse - offenbar mit Tomaten auf den Augen und nach eigenen Worten "nur stichprobenartig".

Auch das Thema Libyen tauchte bisher vor Gericht kaum auf. Ein weites Feld. Während sich in Bonn die ersten Baukräne drehten, war Kim auf Projektjagd im Maghreb (s. Millionenfalle 21). Solch eine Anbahnungsphase kostet. Ob Bonns Gelder für die Akquise verwendet wurden? In den Akten finden sich dazu einige Aussagen von verhörten Personen.

Hintergrund: Revolutionsführer Gaddafi durfte ab Ende 2003, nach der Aufhebung der Sanktionen wegen des Lockerbie-Attentats (1988), wieder Öl verkaufen und wollte die Infrastruktur ausbauen. Um einige Projekte buhlte Kim. Auch Young-Ho Hong, der ebenfalls angeklagte WCCB-Bauchef, flog mit nach Tripolis. Doch eines Tages bootete Kim ihn aus. Seitdem war Kim "mehr Feind als Freund", wie Hong dem GA einmal anvertraute.

Von Kims Projekt blieben nur rostende Bagger übrig. Er wollte Geschäfte machen, die aber letztlich Hong machte. Während seiner Libyen-Reise mit Kim hatte er ausreichend Kontakte geknüpft, die ihm den Auftrag "Neuplanung der Fakultät für Ingenieurwissenschaften der Al-Fateh-Universität " einbrachte. Zudem hatte er eine imposante Referenz im Rucksack: das WCCB. Noch Ende 2010 erhielt Hong Millionen-Überweisungen aus Tripolis. Monate später fegte der Bürgerkrieg im Zuge des Arabischen Frühlings nicht nur das Gaddafi-Regime, sondern auch Hongs Geschäfte weg.

Kim hat das alles genau beobachtet. In seinem letzten Statement vor Gericht kritisierte er seine Ungleichbehandlung durch die Justiz: "Während ich mich vom Gefängnis aus verteidigte, genossen die früheren Mitarbeiter der Stadt Bonn und andere das Privileg der Freiheit. Sie können weiter arbeiten, ihr soziales und Familienleben genießen (...). Einem der Beklagten wurde sogar gestattet, in ein Land wie Libyen zu reisen." Damit meinte er Hong. Doch der Libyen-Faktor, wahrscheinlich ein Abflussrohr der WCCB-Baukasse, war für die Bonner Ermittler nie ein Thema. Oberstaatsanwalt Fred Apostel sagt: "Die Handlungen, die der Angeklagte Kim dort begangen haben könnte, unterliegen nicht der deutschen Gerichtsbarkeit." Außerdem: "Von dort hätten wir sowieso keine Rechtshilfe erhalten."

Ungeklärt blieb auch: Wer von der Stadt hat mit wem von der Sparkasse die 74,3-Millionen-Bürgschaft, später auf 104,3 Millionen aufgestockt, eingefädelt? Die Richter bohrten zwar, aber nicht tief oder hoch genug. Keiner der damals auf den Kommandobrücken von Sparkasse und Stadt Handelnden landete im Zeugenstand. Denkbar, dass "Bohrphase zwei" im nächsten WCCB-Prozess folgt. Denn eigentlich war das Bonner Prestigeprojekt nach der Investorprüfung beendet: Die Sparkasse wollte, so die Beweisaufnahme, SMI Hyundai/Kim nicht einen Euro Kredit geben.

Geklärt wurde indes, folgt man den vielen Volksvertretern im Zeugenstand (s. Millionenfalle 81), dass der Stadtrat bei seiner Entscheidung Ende 2005 pro SMI Hyundai/Kim glaubte: Die Sparkasse gab nach Prüfung grünes Licht für den Investor; SMI Hyundai ist Teil des Weltkonzerns, der die Fußball-WM 2006 in Deutschland sponserte; die Stadt hat keine Millionen-Bürgschaft während der Bauphase übernommen.

Nur ein erlauchter Kreis von Eingeweihten bei der Stadt wusste, dass alles Hokuspokus und das SMI/Kim-Fundament ein Wackelpudding war. Alles diente nur dem Ziel, das Okay des Rates zu erreichen. Insofern haben Kim und C. den Rat nicht alleine betrogen. Auch ist "Millionenfalle I" zu korrigieren: Die "vier Klicks im Internet", um SMI Hyundai als Firma ohne Nabelschnur zum Weltkonzern zu enttarnen, waren von der Sparkasse durchaus gemacht worden. Und die Stadtspitze kannte das Ergebnis.

Fest steht auch: Die Aufarbeitung der Schuldfragen rund um das WCCB wird länger dauern als dessen Fertigstellung. In zwei weiteren Prozessen könnten zudem letzte Geheimnisse gelüftet werden. Dazu gehört auch die feine Unterscheidung zwischen "Wahrheit" und "tatsächlicher Wahrheit" (Kim). Eine Frage interessiert Bonns Bürgerinnen und Bürger am meisten: War ihre ehemalige OB Bärbel Dieckmann, gegen die nicht mehr ermittelt wird, selbst Akteurin beim WCCB-Treiben? Oder nur vage informiert? Oder ist sie von ihren eigenen Mitarbeitern gar betrogen worden?

WCCB für Einsteiger

Im Dezember 2005 entschied der Stadtrat: SMI Hyundai Corporation wird Investor des WCCB. Er sollte 40 Millionen Euro Eigenkapital beisteuern. Das Land NRW gab einen Zuschuss von 35,79 Millionen, der Bund das Grundstück im Wert von rund 43 Millionen, und ein 74,3-Millionen-Kredit der Sparkasse an die Bauherrn-GmbH des Investors rundete die Finanzierung ab.

Doch das Eigenkapital blieb aus, trotzdem durfte Investor Man-Ki Kim losbauen. Bei der Kapitalakquise Kims kamen schließlich "Heuschrecken" aus Zypern und Hawaii ins Spiel, weshalb die WCCB-Eigentümerschaft eines Tages fernab Bonns und später beim Insolvenzverwalter lag. Das erschwerte eine Zukunftslösung erheblich und bedeutete zusätzliche Millionen-Kosten für die Stadt Bonn.

Im April 2010 berichtete das Rechnungsprüfungsamt in seinem WCCB-Bericht, dass die Stadt Bonn entgegen der Ratsvollmacht für den Kredit bereits während der Bauphase haftete. Zudem sei die Erhöhung der städtischen Bürgschaft um weitere 30 Millionen (2009) nur zu rund 50 Prozent dem Bau zugute gekommen. Mit dem anderen Teil sei das fehlende Eigenkapital von SMI/Kim aufgefüllt worden.

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